Essenslieferantinnen Lieferando
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Essensbotinnen mit Belästigungen konfrontiert

Essen liefern ist spätestens seit der Pandemie für viele Personen zum Hauptberuf geworden. Eine wissenschaftliche Studie zeigt jetzt, dass die Botinnen und Boten oft unter prekären Arbeitsbedingungen arbeiten und Frauen laut der Studie oft mit Belästigungen konfrontiert sind.

Homeoffice und Lockdowns haben nicht nur dazu geführt, dass die Lieferservice-Branche mehr gebraucht wurde, sondern, dass auch die Arbeitsbedingungen zum Thema werden. Dazu gibt es jetzt eine erste wissenschaftliche Studie, die zeigt, dass der Job für zwei Drittel der Beschäftigten eben kein Nebeneinkommen ist und dass vor allem Frauen mit schlechteren Bedingungen und Belästigungen konfrontiert sind.

„Nicht nur Studierendenjobs“

Acht von zehn Essenszusteller sind männlich, das Durchschnittsalter liegt bei etwa 30 Jahren, zeigt die Befragung. Die meisten Zusteller bzw. Zustellerinnen kommen aus Österreich, Deutschland, Ungarn, Italien oder Rumänien. Aus Drittstaaten sind Bürger aus Syrien, Afghanistan, der Türkei und dem Jemen vertreten. Etwa ein Drittel der Boten studiert, die Mehrheit (54 Prozent) befand sich zum Zeitpunkt der Umfrage aber nicht in einer Ausbildung. Das sind die Erkenntnisse der wissenschaftlichen Studie des Europäischen Zentrums für Wohlfahrtspolitik und Sozialforschung, die von Gewerkschaften und der Arbeiterkammer organisiert wurde.

Arbeitsbedingungen für Essenslieferanten

Für viele ist Essen ausliefern in der Pandemie zum neuen Hauptberuf geworden. Eine Studie zeigt, dass der Job für zwei Drittel der Beschäftigten kein Nebeneinkommen ist und, dass vor allem Frauen unter schlechteren Bedingungen arbeiten und auch mit sexuellen Belästigungen konfrontiert sind.

„Bemerkenswert ist, dass ein überwiegender Teil den Job eben nicht als Student, nebenbei, super flexibel, wie auch immer macht – so wie das bis jetzt dargestellt wurde – sondern wirklich davon lohnabhängig ist und das von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eigentlich als Beruf wahrgenommen wird“, so Robert Walasinksi, Experte für Plattformarbeit beim Österreichischer Gewerkschaftsbund (ÖGB).

In der Studie „Erfahrungen von FahrradzustellerInnen“ wird festgehalten, dass es 4.500 Essenslieferantinnen und -lieferanten in Österreich gibt. Rund 1.500 davon in Wien. 300 haben an der Befragung für die Studie teilgenommen: 60 Prozent der Befragten arbeiten mehr als 16 Wochenstunden und sind auf das Einkommen angewiesen. Etwa ein Viertel unterstützt mit ihrem Einkommen außerdem andere Familienangehörige.

35 Prozent der Frauen mit Belästigungen konfrontiert

Ein weiteres Ergebnis: Viele Firmen würden sich wenig darum kümmern, den Job für Frauen attraktiver zu machen. Sechs von zehn Botinnen sind schon einmal beleidigt, 35 Prozent schon mit Annäherungsversuchen konfrontiert gewesen. Die Ergebnisse würden zeigen, dass es sich bei Übergriffen, insbesondere auf Fahrerinnen, nicht um Einzelfälle, sondern um ein weit verbreitetes Problem handle. Das könne auch eine Erklärung sein, warum der Anteil an weiblichen Zustellerinnen mit 15,5 Prozent ausgesprochen niedrig sei, so die Studienautoren.

Die Betriebsrätin des Lieferservices Mjam Adele Siegl berichtete gegenüber „Wien heute“ von diesen Erfahrungen: „Zum Beispiel, dass man auf der Straße angelacht wird. Unter dem Motto ‚Ah, eine Frau als Kurierin‘ – was schon Fehl am Platz ist. Aber es gibt tatsächlich auch sexuellen Übergriffen und Belästigungen. Das kenne ich von Restaurantmitarbeitern aber auch intern von Kollegen“, so Siegl.

„Unter weiblichen Ridern ist der Anteil derer, die mit Beleidigungen (58 Prozent) und ungewollten Annäherungsversuchen (35 Prozent) konfrontiert waren, besonders hoch“, heißt es in einer von der Arbeiterkammer Wien geförderten Befragung des Europäischen Zentrums für Wohlfahrtspolitik und Sozialforschung. Die Ergebnisse würden zeigen, dass es sich bei Übergriffen, insbesondere auf Fahrerinnen, nicht um Einzelfälle, sondern um ein weit verbreitetes Problem handle. Das könne auch eine Erklärung sein, warum der Anteil an weiblichen Zustellern mit 15,5 Prozent ausgesprochen niedrig sei, so die Studienautoren.

Boten nutzen Privathandys

Aber auch Kunden würden oft zu weit gehen, berichtete Siegl: „Nachdem wir sie anrufen, weil sie die Türnummer nicht angegeben haben, oder nachdem sie nicht erreichbar waren, schreiben sie mir dann persönlich und wollen mich auf einen Kaffee einladen.“ Auch umgekehrt gibt es laut Siegl Vorkommnisse, „dass zum Beispiel, Lieferanten Kundinnen belästigen und unangemessene Nachrichten nach der Essenszustellung schreiben.“

„Man könnte sich auch Fragen, wieso hat ein Bote, eine Botin mit seinem oder ihrem Privathandy die Privatnummern von Kundinnen und Kunden“, stellte der Experte für Plattformarbeit Walasinksi in den Raum. Eine potentielle Antwort liefert die Studie: Die Unternehmen würden sich durch die Auslagerung der Handy-Kosten Geld sparen. Genauso wie bei den freien Dienstnehmer-Verträgen.

Anstellungen für bessere Arbeitsbedingungen

Astrid Schöggl, Referentin für Digitales bei der Arbeiterkammer Wien, geht davon aus, dass eine Anstellung auch ein besseres Arbeitsverhältnis für die Lieferantinnen und Lieferanten bringen würde. „Wir gehen davon aus, dass ein besserer Schutz für die Arbeitnehmerinnen und -nehmer gegeben ist, sobald sie in einem Angestelltenverhältnis sind. Bis jetzt war das so, dass man das selbst durchklagen musste. Auf europäischer Ebene liegt jetzt ein Entwurf vor dass die Plattform selbst den Beweis antreten muss, dass das kein Angestelltenverhältnis ist“, so Schöggl.

Die Umfrage legt dar, dass viele Fahrer und Fahrerinnen nicht über ihre Arbeitsrechte Bescheid wissen. Nur die Hälfte der Befragten weiß, dass es einen Kollektivvertrag für Fahrradboten gibt. Ein Angestelltenverhältnis liegt aber dann vor, wenn man finanziell und ökonomisch vom Arbeitgeber abhängig ist. Was aber genau – laut Studie – bei zwei Drittel der befragten Essenslieferantinnen und -lieferanten der Fall ist. Überraschend sei auch, dass mehr als die Hälfte der Rider bei Mjam und Lieferando nicht über die Existenz der Betriebsräte in diesen Unternehmen Bescheid wisse.

Ein Fünftel der Befragten ist Gewerkschaftsmitglied. Rund 43 Prozent zeigen sich bereit, in naher Zukunft einer Gewerkschaft beizutreten. Unterstützung durch die Gewerkschaften wünschen sich die meisten Fahrer und Fahrerinnen hinsichtlich ihres Gehalts, ihrer Arbeitsbedingungen und ihrer Beschäftigungssicherheit in Form von Kündigungsschutz und ausreichend Aufträgen.