Chronik

Mutmaßlicher Mafia-Boss vor Gericht

Ein mutmaßlich führendes Mitglied einer serbisch-montenegrinischen Bande steht in Wien vor Gericht. Es geht um Suchtgifthandel im großen Stil. Der Prozess findet unter strengen Sicherheitsvorkehrungen statt.

Laut Anklage soll der 34-Jährige gemeinsam mit sechs Komplizen im Dezember 2019 in einer Garage in Wien einer anderen Bande mit Gewalt 13 Kilogramm Kokain und 106.000 Euro abgenommen haben. „Das Ganze war ein perfekt inszeniertes Szenario“, schilderte ein Ermittler dem Schöffensenat. Die Gruppierung des Angeklagten habe zum Schein vorgegeben, Kokain kaufen zu wollen.

Dafür seien eigens eine Lagerhalle angemietet und zwei Männer zum Übergabeort bestellt worden, wo der Angeklagte und seine Mittäter hinter aufgestellten Matratzen auf der Lauer lagen. Danach sollen sie mit brutaler Gewalt auf die anderen Männer losgegangen sein, sie zu Boden geschlagen und mit Füßen getreten haben. Einer der beiden sei mit einem Messer schwer verletzt worden.

Anwalt bezeichnet Anklage als „Arbeitshypothese“

„Ich war nicht Teil dessen, was in der Anklage steht“, so der Angeklagte. Seine Bande soll laut Bundeskriminalamt in ganz Europa, womöglich sogar weltweit, bekannt und neben Suchtgifthandel für brutale Delikte gegen Leib und Leben berüchtigt sein. Er bekenne sich „nicht schuldig“, sagte der 34-Jährige. Sein Anwalt Werner Tomanek wies darauf hin, dass sein Mandant in Österreich unbescholten sei. Die Anklage bezeichnete der Anwalt als „Arbeitshypothese“, die auf Chatprotokollen eines Kryptodienstes beruhe.

Sein Mandant werde von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machen und keine Fragen beantworten, kündigte Tomanek an. Fest steht allerdings, dass der 34-Jährige in Serbien bereits wegen Mordes eine elfjährige Freiheitsstrafe verbüßt hat. Dazu merkte der 34-Jährige knapp an: „Es ist unerhört, warum ich damals im Gefängnis sein musste.“ Danach gab es von seiner Seite keine weiteren Wortmeldungen mehr.

Drogenhandel in bisher unbekannten Dimensionen

Laut Staatsanwaltschaft war man dem Angeklagten und seiner Bande auf die Spur gekommen, weil diese über den vermeintlich abhörsicheren Kryptomessengerdienst Sky ECC freier und offener kommuniziert hatten. Die Chats seien über einen Server in Frankreich gelaufen, der in einer länderübergreifenden Kooperation von Polizeibehörden in Belgien, den Niederlanden und Frankreich geknackt werden konnte. In weiterer Folge wurden die Chats entschlüsselt.

Das hatte Ermittlungen gegen Kriminelle in zahlreichen europäischen Ländern zur Folge. Sie alle hatten sich Kryptomessengerdienste bedient, um ihre Machenschaften abzuwickeln. Die Chats, die den 34-Jährigen und seine Gruppierung betrafen, wurden über Europol den österreichischen Strafverfolgungsbehörden zur Verfügung gestellt.

Allein in Wien rund 200 Bandenmitglieder

Laut Bundeskriminalamt soll die Bande in Wien in einer bisher nicht da gewesenen Dimension Drogengeschäfte abgewickelt haben. Den Erkenntnissen des Bundeskriminalamts zufolge umfasste die kriminelle Organisation allein in Wien 200 Personen. Für mehrere 100 Kilogramm Suchtgift soll sie in der Stadt Abnehmer gefunden haben. Im Februar 2020 rückte der 34-Jährige an die Spitze des Wiener Ablegers vor.

Straftaten mit Fotos dokumentiert

Die begangenen Straftaten wurden offenbar auch regelmäßig mit Fotos dokumentiert, die Bilder in Gruppenchats gestellt. In Bezug auf den inkriminierten Raubüberfall soll der 34-Jährige konkrete Anweisungen erteilt haben. Während der Verhandlung wurden im Gerichtssaal Aufnahmen abgespielt, denn der Mann soll Audionachrichten Textnachrichten vorgezogen haben. Die beraubten Männer wurden auch – noch am Boden liegend – fotografiert, weswegen das Bundeskriminalamt die beiden identifizieren konnte.

Der niedergestochene Mann war in ein Spital gegangen und hatte angegeben, von einem Unbekannten attackiert worden zu sein. Er befindet sich derzeit in Kroatien in Haft. Er soll beim nächsten Verhandlungstermin in Wien als Zeuge aussagen. Der zweite überfallene Mann war bereits als Zeuge geladen. Er bestritt, einer der Männer auf einem Foto aus dem Chat zu sein. Dass dort auch ein Foto seines Reisepasses aufschien, begründete er damit, sein Pass sei ihm gestohlen worden. Den Angeklagten kenne er nicht. Nächster Verhandlungstermin ist der 9. Dezember.