Börse von außen
APA/Helmut Fohringer
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Wirtschaft

Wiener Börse: Zinswende gut für Börsengänge

Der Chef der Wiener Börse, Christoph Boschan, rechnet sich für 2023 und die nächsten Jahre gute Chancen auf Börsengänge aus. Die Zinswende der EZB mache Börsengänge gegenüber Fremdfinanzierungen wieder attraktiv. Die Umsätze an der Wiener Börse waren 2022 höher als anderswo.

Das Jahr 2022 war für den Leitindex ATX trotz „deutlich veränderter Faktoren“ gar nicht so schlimm. „Unser Nationalindex ist da, wo er stand als die Ukrainekrise zum vollen Ausbruch kam“, sagte Boschan im Interview mit der APA. Für 2023 ist Boschan leicht optimistisch. „Alle bekannten Faktoren sind wohl mehr oder weniger eingepreist und jede positive Veränderung kann auch wieder zu Zuwächsen an den Märkten führen“, erklärte der Börsechef.

Für langfristige Anleger zähle aber ohnehin die Durchschnittsrendite über mehrere Jahre hinweg, da komme es auf ein gutes oder schlechtes Jahr nicht an. „Durchschnittsrendite im ATX bei sechs Prozent seitdem er berechnet wird, also 1991, das ist es, worauf es ankommt“, sagte Boschan.

Fokus auf klassische Geschäftsmodelle

Dass die Umsätze an der Wiener Börse 2022 höher als anderswo waren, liegt laut Boschan auch daran, welche Unternehmen an der Wiener Börse gelistet sind. Inflation und steigende Zinsen bewirkten eine „Reorientierung auf ergebnisorientierte Geschäftsmodelle“, weg von den Unternehmen mit den zukünftigen Gewinnversprechen. „Da waren natürlich die österreichischen Werte mit ihrer klassischen Ausrichtung – Öl, Stahl, Versorger, Banken und Versicherungen, die das finanzieren – ganz weit vorne“.

Als Unternehmen profitiert die Wiener Börse von den Handelsumsätzen. Da diese aber schwanken und schwer planbar sind, gewinnen andere Standbeine zunehmend an Bedeutung. „All diese anderen Geschäftsbereiche zusammen sind mittlerweile wesentlich größer als der Handelsertrag“, so Boschan. Für 2022 erwartet er ein Ergebnis in der Nähe des Rekordergebnisses des Vorjahres.

Weltweit kaum Börsengänge

2022 gab es an der Wiener Börse keinen Börsengang. „Es hätte fast einen gegeben, soviel kann ich sagen, da kamen die nicht beeinflussbaren Marktumstände dazwischen“. Boschan verwies darauf, dass es in ganz Europa und auch weltweit kaum Börsengänge gab. Die Ausnahme sei Porsche gewesen, aber der Porsche-Börsegang sei ein Sonderfall und nicht repräsentativ für den Gesamtmarkt.

Schon 2023 könnte in puncto Börsengänge besser werden als 2022, meint Boschan. „Ich bin jetzt nicht besonders pessimistisch, was die nächsten Jahren angeht.“ Es gebe viele Unternehmen, die auf das richtige Zeitfenster warten und schon vorbereitet sind.

Wie der Börsenchef erläuterte, haben die Nullzinsen der vergangenen Jahre Börsengänge gebremst. Wenn man als Unternehmen einerseits den Kredit hinterhergeworfen bekomme und ein IPO andererseits Geld koste, „ist es klar, wie die Finanzierungsentscheidung ausgeht“, so Boschan.

Brauchen jetzt Energie „aus allen Quellen“

Auch für die CO2-freie Zukunft, also für die Energiewende und die Dekarbonisierung der Industrie, werde es Eigenkapital brauchen. „Das ist wirklich ein aberwitziger Irrglaube, dass das alles kreditfinanziert werden kann“, sagte Boschan. Um eine Deindustrialisierung Europas zu vermeiden, brauche es Energie „aus allen Quellen“, Erneuerbare allein würden – zumindest derzeit noch – nicht ausreichen.

Boschan sprach von einer „unglaublichen Schizophrenie, die sich dieses alte Europa leistet zulasten des Rests der Welt“. Erdgas dürfe von überall herkommen, „wir karren es ran aus den entlegensten Ecken der Welt, überall darf es herkommen, nur nicht von uns. Wir sitzen alle – Österreich und Deutschland, beide – auf erheblichen Frackinggas-Vorräten. Dazu kann man stehen, wie man will, ich beurteile das nicht politisch und ich positioniere mich hiermit auch nicht politisch, aber ich empfinde das schon als schreiende Bigotterie, dass wir es von überall rankarren, mit einer CO2-Bilanz, die auch verheerend ist, nur von uns selbst darf es nicht kommen“.