Chronik

Aktivist verletzt: Gericht bestätigt Polizeigewalt

Das Verwaltungsgericht Wien hat am Donnerstag der Maßnahmen- und Richtlinienbeschwerde eines „LobauBleibt“-Aktivisten stattgegeben. Demnach wurde dem Mann im Polizeianhaltezentrum Rossauer Lände eine Rippe gebrochen.

Der Vorfall ereignete sich am 19. Februar 2022. Das polizeiliche Vorgehen gegen den 49-Jährigen, der nach einer Räumung des Protestcamps in der Lobau zwecks Identitätsfeststellung ins Polizeianhaltezentrum gebracht worden war, war laut dem Verwaltungsgericht mehrfach rechtswidrig.

„Dass die Gewaltanwendung unverhältnismäßig war, wird man schwer bestreiten können“, hatte Verwaltungsrichter Wolfgang Helm bereits nach der Einvernahme des Klimaaktivisten und der anschließenden Befragung von zwei Polizisten gesagt. Wie er dann wenig später in seiner ausführlichen Urteilsbegründung darlegte, hatte die Polizei „mit unverhältnismäßiger Körperkraft“ gegen den 49-Jährigen agiert, um von diesem ein Lichtbild anfertigen zu können.

Polizei muss 2.397 Euro zahlen

Gegen gesetzliche Bestimmungen wurde seitens der Polizei weiters verstoßen, indem dieser mit einer gebrochenen Rippe „ohne ausreichende ärztliche oder medizinische Behandlung zu lange angehalten wurde“, wie der Richter formulierte.

Die Wiener Landespolizeidirektion muss dem Aktivisten binnen 14 Tagen 2.397 Euro an Aufwandsersatz für Schriftsätze und sonstige Kosten leisten. Gegen dieses Erkenntnis ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Bürstmayr: Unabhängige Beschwerdestelle „unerlässlich“

Es sei „unerlässlich“, so „rasch als möglich“ eine unabhängige Beschwerde- und Ermittlungsstelle zu vermuteten oder erwiesenen polizeilichen Übergriffen umzusetzen, reagierte der grüne Sicherheitssprecher Georg Bürstmayr in einer Aussendung. Man sei diesbezüglich mit der ÖVP in der Endabstimmung: „Ein Begutachtungsentwurf könnte in wenigen Wochen auf den Weg gebracht werden.“ Bürstmayr kritisierte zudem das „Abstreiten bis zum bitteren Ende“ als „wirkliches Führungsversagen“ seitens der Polizei.

„Das Verwaltungsgericht hat den Fall genau untersucht, eine unabhängige Entscheidung getroffen und die Amtshandlung für rechtswidrig erkannt. Das ist sehr erfreulich“, sagte Clemens Lahner, der Anwalt des Klimaaktivisten nach der Verhandlung. „Viel besser wäre es aber, wenn es endlich eine unabhängige Stelle gäbe, die solche Vorfälle mit polizeilichen Ermittlungsbefugnissen untersuchen kann und nicht erst auf Antrag und auf das finanzielle Risiko der Betroffenen hin aktiv wird.“

Erfreut über den Ausgang des Verfahrens zeigte sich auch die „LobauBleibt“-Bewegung. In einer Presseaussendung wurden „stärkere Maßnahmen gegen Polizeigewalt“ sowie „ein Ende der Attacken auf die Klimabewegung vonseiten der Politik“ eingefordert. Auch die Aktivistinnen und Aktivisten verlangten die Einrichtung einer schon lange von der Regierung versprochenen unabhängigen Beschwerdestelle für vermutete oder erwiesene Polizeiübergriffe.

Mit Knie „ins Kreuz gesprungen“

Der 49-Jährige war nach der Räumung des Protestcamps gegen die Stadtstraße mit drei weiteren Aktivistinnen und Aktivisten – zwei Frauen und ein Mann – zum Zweck der Identitätsfeststellung festgenommen und ins Polizeianhaltezentrum gebracht worden. Dort „igelte“ er sich zunächst auf einer Sitzbank ein, weil er sich nicht fotografieren lassen wollte. Drei bis vier Beamte zogen ihn dann auf den Fußboden, wo er weiter bestrebt war, sein Gesicht mit seinen Unterarmen und Händen zu bedecken.

Ein Polizist sei ihm daraufhin mit einem Knie „ins Kreuz gesprungen“, bestätigte der „LobauBleibt“-Aktivist im Verwaltungsgericht. Das habe eine Fraktur der elften Rippe und eine Thoraxprellung zur Folge gehabt – was seitens der Polizei bestritten wurde. Dort vermutete man unter Bezugnahme auf einen polizeilichen Amtsarzt, dass im Spital, in dem der Rippenbruch festgestellt wurde, womöglich gar keine frische Verletzung dokumentiert worden sei.

Debatte über alte und neue Rippenverletzung

„Das kommt mir reichlich seltsam vor, dass ein Unfallchirurg, sein Vorgesetzter, eine Röntgenologin und ein Gerichtsgutachter einen alten Rippenbruch nicht von einem frischen unterscheiden können“, hielt dazu Richter Helm fest. Der Aktivist berichtete daraufhin, er habe sich bei einem fünf Jahre zurückliegenden Fahrradsturz zwei mit dem Brustbein verbundene Rippen gebrochen. Die jüngste, verfahrensgegenständliche Fraktur habe allerdings die elfte Rippe hinten betroffen.

Der 49-jährige Mann schloss dezidiert aus, dass er sich vor seiner Festnahme bei der Räumung des Protestcamps gegen die Stadtstraße verletzt hatte bzw. ihm dort Verletzungen beigebracht wurden. Er sei damals an eine Konstruktion gekettet gewesen, die Polizisten – es handelte sich um Spezialkräfte der WEGA – hätten ihn „höchst professionell“ von dieser gelöst. Er sei dabei auch „höchst respektvoll behandelt“ worden, betonte der Aktivist.

Auf die Frage, weshalb er sich im Polizeianhaltezentrum nicht fotografieren habe lassen wollen, erwiderte der 49-Jährige zunächst: „Jegliche erkennungsdienstliche Maßnahme wie Fotos und Fingerabdruck kann verweigert werden.“ Das sei damals Grundsatzhaltung unter den Aktivistinnen und Aktivisten gewesen: „Es war bei uns Usus. Das haben damals alle Aktivisten gemacht.“ Mittlerweile verhalte er sich anders und sei zumindest bereit, seinen Namen zu nennen, verriet der Mann.

Entlassung nach knapp 24 Stunden

Der Aktivist hatte nach dem Kniestoß schmerzbedingt seinen passiven Widerstand aufgegeben und sich notgedrungen doch noch fotografieren lassen. Danach wurde er in eine Zelle gebracht, wo er die Nacht verbringen musste. Aufgrund seiner Schmerzen rief er seinen Angaben zufolge mehrmals nach einem Arzt und verlangte später auch Schmerzmittel. Er sei dann in der Zelle auch von einem Mediziner untersucht worden. Dieser habe auch die Stelle, an der die Rippe gebrochen war, ertastet, aber sinngemäß festgestellt, das sei „nicht lebensbedrohlich“ und ihm Haftfähigkeit bescheinigt, schilderte der 49-Jährige im Verwaltungsgericht.

Der Aktivist wurde erst am 20. Februar um 13.15 Uhr – und damit fast 24 Stunden nach seiner Festnahme – aus dem Polizeianhaltezentrum entlassen. Er ging unverzüglich in ein Spital, wo Röntgenbilder angefertigt und die beschwerdegegenständlichen Verletzungen festgestellt wurden.

Keine strafrechtlichen Folgen

Der Anwalt des 49-Jährigen, Clemens Lahner, stützte sich in seiner Maßnahmenbeschwerde auf die im Spital aufgenommene Krankengeschichte sowie ein gerichtsmedizinisches Gutachten, das seiner Ansicht nach die Darstellung seines Mandanten in zeitlicher Hinsicht und zum Geschehnisablauf untermauerte. Darüber hinaus bemängelte Lahner in einer Richtlinienbeschwerde, dass die Gewaltanwendung seitens der Polizei überhaupt nicht dokumentiert worden war. Auch damit hatte der Anwalt Erfolg, die fehlende Dokumentation wurde vom Verwaltungsgericht ebenfalls als rechtswidrig eingestuft.

Strafrechtlich blieb der Rippenbruch allerdings ohne Folgen. Die Staatsanwaltschaft Wien hatte gegen drei Polizisten, die im Polizeianhaltezentrum mit dem 49-Jährigen zu tun hatten und die als mögliche Verursacher der Fraktur infrage kamen, wegen Körperverletzung ermittelt.

Dieses Strafverfahren wurde eingestellt – laut Lahner war nicht erweislich, welcher der Beamten den Kniestoß ausgeführt hatte. „Naturgemäß hat keiner (der Beamten, Anm.) zugegeben, dass er es war. Und keiner hat etwas gesehen“, kommentierte Verwaltungsrichter Helm coram publico die für den betroffenen Klimaaktivisten ungünstige Beweislage.