Mann bereitet Kokain-Lines vor
APA/Guenter R. Artinger
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Chronik

EU-Drogenstudie erstmals mit Wien

Wie viel Cannabis und Kokain wird in Wien konsumiert? Erstmals gibt es auch Wiener Daten in der jährlichen Abwasserstudie der EU-Drogenbeobachtungsstelle EMCDDA. Das Ergebnis: Wien liegt im Vergleich mit anderen europäischen Hauptstädten im Mittelfeld.

Was die Toiletten hinuntergespült wird, lässt zahlreiche Rückschlüsse auf die Bevölkerung zu. Spätestens seit der Pandemie sind diese Abwasseruntersuchungen vielen ein Begriff, die etwa zeigen, wo es gerade viele Coronavirus-Infektionen gibt. Schon länger wird das Abwasser auch auf Rückstände von Drogen untersucht. Seit 2011 gibt es dazu eine europaweite Studie, durchgeführt im Auftrag der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMCDDA).

Wien hatte sich jedoch bisher nicht beteiligt. Heuer ist also erstmals ein Vergleich von Wien mit anderen europäischen Städten möglich. Sechs Substanzen wurden untersucht: Kokain, Cannabis, Methamphetamin (besser bekannt als „Chrystal Meth“), Amphetamin („Speed“), MDMA („Ecstasy“) und Ketamin. Jeweils eine Woche lang wurden im Frühjahr 2022 Proben aus Abwasseranlagen entnommen – in insgesamt 104 europäischen Städten, darunter 18 Hauptstädte, die hier für den Vergleich mit Wien herangezogen werden.

Platz sechs bei Cannabis, Platz zehn bei Kokain

Bei Cannabis entdeckte man die meisten Rückstände im Abwasser beispielsweise in Amsterdam – was wenig überrascht, weil die Droge dort ja legal ist. Wien liegt im Ranking der untersuchten europäischen Hauptstädte auf Platz sechs. Die gemessenen Cannabisrückstände sind mit 83 Milligramm pro 1.000 Personen knapp halb so hoch wie in Amsterdam. Auch bei Kokain liegt Amsterdam auf Platz eins, Wien auf Platz zehn. Der Abstand ist hier deutlich größer: In Amsterdam wurde die dreifache Menge an Kokainrückständen gemessen.

Rechercheverbund ECIJA

Dieser Artikel entstand in Zusammenarbeit mit dem European Cities Investigative Journalism Accelerator (ECIJA), in dem Medien aus verschiedenen Ländern Europas gemeinsam urbane Herausforderungen des 21. Jahrhunderts recherchieren. Finanziert wird der ECIJA über das Programm Stars4Media.

Auch bei MDMA („Ecstasy“) geht Platz eins an Amsterdam. Wien liegt hier nur auf Platz zwölf mit einem Zehntel der in Amsterdam gemessenen Menge. Bei Methamphetamin („Chrystal Meth“) landet Wien auf Platz acht, auf Platz eins ist hier mit großem Abstand Prag. Bei Amphetamin („Speed“) wurden die höchsten Konzentrationen in Berlin gemessen, in Wien die elfthöchsten. Für Ketamin gibt es keine Daten für Wien.

Berücksichtigt man alle untersuchten Städte, also nicht nur die Hauptstädte, landet Wien freilich noch einige Plätze weiter hinten. Denn nicht immer ist die Hauptstadt eines Landes auch das dortige Drogenzentrum. So ist beispielsweise Europas „Cannabishauptstadt“ Genf, noch vor Amsterdam, und Europas „Kokainhauptstadt“ Antwerpen. Wien liegt jedoch bei allen Substanzen über dem Median-Mittelwert aller untersuchten Städte – mit Ausnahme von Amphetamin.

Drogenkoordinator mit Wiener Zahlen zufrieden

Die Wiener Sucht- und Drogenkoordination bewertet die Zahlen für Wien jedenfalls positiv. „Insgesamt ist das ein sehr zufriedenstellendes Ergebnis, wiewohl sich das sehr schnell ändern kann“, sagte Geschäftsführer Ewald Lochner im ORF-Wien-Interview. Wien liege bei manchen Substanzen im Vergleich zu anderen Großstädten sogar „ganz weit hinten“, bei anderen werde doch eher mehr konsumiert, meinte Lochner. Insgesamt sei man im „unteren Mittelfeld“, befand er.

Schon vor der Teilnahme an der EMCDDA-Studie führte Wien eigene Abwasseruntersuchung durch. „Wir analysieren das Abwasser in Wien seit 2019 viermal im Jahr, jeweils zwei Wochen. Das heißt, wir haben immer sehr zeitnahe die Möglichkeit zu schauen, wie liegen wir hier“, so Lochner. Die Drogensituation habe sich in Wien während der Pandemie nicht verschlechtert. „Wir haben bei fast allen Substanzen eine relativ konstante Lage in Wien.“

„Größtes Problem sicher mit Alkohol und Nikotin“

Europaweit zeigt die Abwasserstudie laut EMCDDA, dass der Kokainkonsum nach einem kleinen Rückgang durch die Pandemie wieder auf einem Allzeithoch ist. Auch der Konsum von Chrystal Meth nimmt in Europa insgesamt zu. Bei Ecstasy sieht man laut der EU-Drogenbeobachtungsstelle hingegen nicht mehr dieselbe kontinuierlich steigende Tendenz wie vor der Pandemie.

In Wien beobachte man derzeit zwei Trends, schilderte der Geschäftsführer der Wiener Sucht- und Drogenkoordination. Zum einen würden immer mehr Benzodiazepine konsumiert. Das sind Medikamente, die etwa bei Angststörungen eingesetzt werden. Zum anderen sei sehr viel Ecstasy im Umlauf, und die Tabletten seien auch höher dosiert als früher. Aber: „Das größte Problem in Wien haben wir sicher mit Alkohol und Nikotin, weit abgeschlagen von allen anderen Substanzen.“ Daher müsse dort auch gesundheitspolitisch die Priorität liegen, so Lochner.

Die Abwasseranalysen sind für Lochner „ein Indikator von vielen“. Man könne damit auch nicht auf die tatsächlichen Konsumentinnen und Konsumenten schließen. Wichtig seien etwa auch der Austausch mit der Polizei und den Behandlungseinrichtungen sowie Analysen der Substanzen auf dem Markt. Diese Analysen führt in Wien die Beratungsstelle checkit! durch. Bei besonders bedenklichen Inhaltsstoffen und zu hohen Konzentrationen werden Warnungen ausgegeben. Das Analyseangebot können auch Menschen, die Drogen konsumieren, gratis und anonym in Anspruch nehmen.

Kufstein bei Cannabis und Kokain vor Wien

Untersucht wurde in der europaweiten Abwasserstudie auch, welche Drogen an welchen Wochentagen konsumiert werden. Für Wien zeigt sich dabei ein ähnliches Bild wie in den anderen untersuchten Städten. Cannabis wird praktisch an allen Wochentagen mehr oder weniger gleich stark konsumiert, am Wochenende sogar teilweise etwas weniger als unter der Woche. Kokain und insbesondere MDMA werden hingegen vermehrt am Wochenende genommen.

Ein interessantes Detail zeigt die Abwasserstudie auch noch auf: Auch für Österreich gilt offenbar, dass die Hauptstadt nicht unbedingt das Drogenzentrum sein muss. Bei den Cannabisrückständen im Abwasser liegt Wien erst auf Platz drei hinter Kufstein und Innsbruck. Auch bei Kokain ist Kufstein vor Wien – und zwar deutlich: Hier wurden 537 Milligramm an Rückständen in der durchschnittlichen Abwassermenge von 1.000 Personen gemessen, in Wien nur 371 Milligramm. Als eine mögliche Erklärung nennt Lochner ein Hoch im Skitourismus zum Zeitpunkt der Messung.