Justizanstalt Stein
APA/HANS KLAUS TECHT
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Politik

Hacker fordert Gespräche über Justizreform

Mit einer Reform des Maßnahmenvollzugs werden im September Insassen aus Anstalten für geistig abnorme Rechtsbrecher ohne Auflagen und Nachbetreuung entlassen. Wiens Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) fordert rasche Gespräche mit dem Bund.

Ein psychisch kranker 16-Jähriger wird wegen Körperverletzung und Widerstand gegen die Staatsgewalt in den Maßnahmenvollzug eingewiesen. Weil es in seinem Heimatbundesland zu wenig Plätze gibt, lebt er in verschiedenen Anstalten, zuletzt in einer forensisch-therapeutischen Klinik, früher als Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher bezeichnet. Heute ist der junge Mann 19 Jahre alt. Nach drei Jahren Isolation von der Außenwelt soll er im Herbst entlassen werden – ohne Nachversorgung, ohne Betreuung, ohne Auflagen.

Kritik an dieser Maßnahme kommt nicht nur aus Wien, sondern auch aus anderen Bundesländern. In psychiatrischen Einrichtungen und Kliniken in den Bundesländern herrscht Ratlosigkeit, sie sind jetzt schon heillos überlastet. Doch das Justizministerium argumentiert trotzdem, dass die Entlassenen im „normalen“ Gesundheitssystem besser aufgehoben seien.

Gewichtige Bedenken würden ignoriert

Er wisse nicht einmal, wie viele solcher Entlassungen es in Wien geben werde, sagte Peter Hacker (SPÖ), Stadtrat für Gesundheit und Soziales, im ORF-Radio. Es gebe überhaupt keine Kommunikation, er sei froh, dass die Diskussion nun die Öffentlichkeit erreiche. Das Gesetzesvorhaben sei im Dezember 2022 im Parlament beschlossen worden – nicht einstimmig. Es habe gewichtige Bedenken von mehreren Seiten gegeben, den Bundesländern, der psychiatrischen Gesellschaft, der Kinderpsychiater, des Verbands der Gewaltschutzzentren.

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Man sei nicht dagegen, den Maßnahmenvollzug weiterzuentwickeln: „Aber es gibt null Vorbereitung darauf“, sagte Hacker. Es sei bekannt, dass die Kinderpsychiatrie unter ganz besonderem Druck stehe, lange verlangte Verbesserungen in der Ausbildung blieben aber aus. „Und dann kommt dieses Gesetz daher, es wird einfach kommentiert, die Länder müssen sich darum kümmern. Kein Mensch spricht mit uns“, so Hacker.

Peter Hacker
ORF
Peter Hacker

Bund „stiehlt sich aus Verantwortung“

Hacker erinnerte an mehrere erfolglose Versuche, Gespräche mit Justiz- und Gesundheitsministerium zu führen. Man müsse aber besprechen, welche Maßnahmen es brauche. Und vor allem sei zu klären, wo die notwendigen Ressourcen geschaffen werden sollen. Und den Bundesländern würden auch die rechtlichen Instrumente fehlen. Die Psychiatrie sei nicht der verlängerte Arm des Maßnahmenvollzugs.

Das Gesundheitswesen sei nicht nur alleine Ländersache, es sei Sache des Bundes und der Länder. „Wir fordern schon seit langer Zeit zum Beispiel, dass es Psychotherapie gibt für alle, die sozialversichert sind. Das ist eindeutig Bundessache“, so Hacker. Und weiter: „Wenn es um die Frage der psychiatrischen Versorgung, erst recht wenn es um die Verknüpfung geht, psychiatrische Versorgung, psychosoziale Versorgung, pädagogische Versorgung, ist es definitiv keine Ländersache.“

Sein Eindruck sei, dass sich der Bund hier „sehr unelegant aus seiner Verantwortung stiehlt“. Laut Hacker geht es nicht nur um die ambulante Betreuung. Es gehe auch „um ein riesiges Feld davor“: pädagogische Maßnahmen, Wohngemeinschaften, pädagogische Sozialarbeit, Begleitung. Weiterentwicklung sei gut, sich aber nicht um die Frage zu kümmern „Was ist die Konsequenz?“ sei schlecht. Es sei korrekt, dass es für die Menschen, um die es bei der Reform eigentlich gehe, keine Lösung gibt. Der Bund könne nicht ein Gesetz machen und sagen, die Länder seien zuständig.

Reform „nicht zu Ende gedacht“

Auch die Soziologin Veronika Hofinger von der Uni Innsbruck ist der Meinung, dass die Reform des Maßnahmenvollzugs nicht zu Ende gedacht worden sei: „Bisher konnte man aus der Maßnahme nur bedingt entlassen werden, hatte einen Wohnplatz, Bewährungshilfe, Auflagen, musste seine Medikamente nehmen, und hier geht das völlig verloren, weil hier keine Möglichkeit mehr besteht, sie anzuweisen.“

In Vorarlberg hat es gerade erst ein Vernetzungstreffen mit Vertretern und Vertreterinnen von Nachsorgeorganisationen und des Gesundheitswesens gegeben. Dabei sagte die Präsidentin des Landesgerichts Feldkirch, Angela Prechtl-Marte: „Es gibt schlicht zu wenig Platz und Geld für psychisch kranke Menschen.“ Die Folge sei, die Menschen würden in anderen Bundesländern untergebracht. Damit seien sie aber von ihren Familien und ihrem sozialen Netz abgeschnitten.

Insgesamt mehr als 50 Menschen

Der Generaldirektor für den Straf- und Maßnahmenvollzug im Justizministerium, Friedrich König, versuchte im ORF-Radio zu relativieren. Es gehe um neun Erwachsene, die mit 1. September 2023 entlassen würden, weil sie zum Zeitpunkt der Tat Jugendliche waren und mittlerweile 15 oder mehr Jahre im Maßnahmenvollzug verbracht hätten. König bestätigte, dass es insgesamt um mehr als 50 Menschen gehe. Hier werde aber jeder Einzelne gerichtlich überprüft.