Vier Frauen auf Podium bei Pressekonferenz
ORF Wien/Hubert Kickinger
ORF Wien/Hubert Kickinger
Religion

Über 1.300 Übergriffe auf Muslime

Muslimische Menschen sind in Österreich immer wieder mit Übergriffen und Rassismus konfrontiert. Über 1.300 Fälle von antimuslimischem Rassismus verzeichnete die Dokustelle Österreich im Vorjahr – die meisten davon in Wien.

Im Vorjahr verzeichnete die Dokumentations- und Beratungsstelle Islamfeindlichkeit und antimuslimischer Rassismus (kurz Dokustelle Österreich) 1.324 Fälle von antimuslimischen Übergriffen. Der Großteil davon, 82 Prozent, ereigneten sich online – wie Hasskommentare oder Verhetzung.

Bei der Präsentation des mittlerweile achten „Antimuslimischer-Rassismus-Reports“ erkannte man zahlreiche Fälle von Hass im Netz, aber auch intensivere rassistische Polizeigewalt. „Jeder Fall ist ein Fall zu viel“, so Rechtsberaterin Dunia Khalil von der Dokustelle.

112 direkte Übergriffe in Wien

Derzeit leben rund 285.000 Musliminnen und Muslime in Wien. In 112 Fällen waren Musliminnen und Muslime in Wien direkt von den rassistischen Übergriffen betroffen – Anspucken, Ohrfeigen, das Runterreißen des Kopftuchs nennt die Dokustelle als Beispiele.

Rassismus gegen Muslime

Muslime sind in Österreich immer wieder von Übergriffen und Rassismus konfrontiert. Über 1.320 Fälle von antimuslimischen Rassismus wurden in Österreich im Vorjahr verzeichnet.

1.080 Fälle beobachtete man österreichweit im Internet, 244 Fälle „offline“, sagte Khalil. Letztere passieren etwa im Bildungsbereich, im Arbeitsumfeld oder beim Zugang zu Dienstleistungen. Bei 31,6 Prozent handelt es sich um Ungleichbehandlung, bei 21,7 Prozent um Beleidigung und bei 18,9 Prozent um Vandalismus.

Vermehrt Frauen betroffen

„Die Täter nutzen die Anonymität der Öffentlichkeit“, schlussfolgerte Khalil, die auch bei der rassistischen Polizeigewalt in Österreich steigende Tendenzen festmachte. Dabei handle es sich etwa um körperliche Gewalt oder unerklärliche Anhaltungen. Vermehrt sind Frauen von antimuslimischem Rassismus betroffen – 98 Frauen stehen 37 Männern gegenüber.

Verbreitung von Hass im Netz

Bei den im Internet – etwa in den sozialen Netzwerken – verzeichneten Fällen handelte es sich in 92,3 Prozent um die Verbreitung von Hass. Dieser wurde etwa in Verbindung mit bestimmten politischen Ereignissen sichtbar. Der Anfang 2022 bekanntgewordene Sideletter der Koalitionsparteien zum Thema Kopftuchverbot für Lehrerinnen habe eine Flut an Hasskommentaren ausgelöst. Der Krieg in der Ukraine wiederum zeige, dass Geflüchtete aufgrund ethnischer Zugehörigkeit ungleich behandelt werden, so Khalil.

Probleme sieht die Leiterin der Dokustelle, Rumeysa Dür-Kwieder, auch in „befangenen“ wissenschaftlichen Arbeiten zu Muslimen. Sie kritisierte etwa die umstrittene Studie, für die muslimische Schülerinnen und Schüler aus dem Regelunterricht geholt wurden und etwa dazu befragt wurden, ob Muslime nur mit ihresgleichen befreundet sein oder Frauen für unsittliches Verhalten bestraft werden sollen. Aus solchen Studien würden schließlich Maßnahmen gegen Muslime abgeleitet, so Dür-Kwieder.

Zahlen stellen nur „Momentaufnahme“ dar

1.061 Fälle verzeichnete man noch 2021, wobei die Sprecherinnen betonten, dass die Zahlen nur eine Momentaufnahme darstellen. Nach einem Schwerpunkt auf Vernetzung habe man diesmal vermehrt Fälle aus den Bundesländern betreut. Für die Dokustelle sei es ein Jahr des Wachstums gewesen, so Dür-Kwieder. Zum ersten Mal habe man eine Grundfinanzierung für die zuvor ehrenamtliche Tätigkeit bekommen, es gebe nun etwa einen Ausbau der psychosozialen und rechtlichen Beratung.

Ähnliche Beobachtungen gebe es in ganz Europa, so Ojeaku Nwabuzo von der Interessenorganisation European Network Against Racism, deren Mitglied die Dokustelle ist. In Österreich brauche es einen Nationalen Aktionsplan (NAP) gegen Rassismus, der aufzeigt, was antimuslimischer Hass ist und wie man dagegen vorgehen kann. Mit dem Report gehen auch für die Dokustelle politische Forderungen einher – „konkrete Maßnahmen, um Betroffene zu schützen“, so Vorstandsmitglied Ümmü Selime Türe.

Zahlreiche Forderungen

Diese beinhalten neben der Ausarbeitung und Umsetzung des NAP etwa die Anerkennung von antimuslimischem Rassismus als gesamtgesellschaftliches Phänomen sowie eine rechtlich verankerte Arbeitsdefinition dessen. Beim Gestalten von Maßnahmen und Strategien gegen Rassismus soll die Regierung rassismuskritische zivilgesellschaftliche Akteure einbinden.

Handelsbedarf sieht Dür-Kwieder schließlich bei Politik und Medien, die antimuslimischen Rassismus ansprechen sollen: „Den Schutz vor Diskriminierung können wir nur dann bieten, wenn wir als Gesamtgesellschaft das Problem beim Namen nennen und wir es ernst nehmen mit den freien demokratischen Rechten eines jeden Individuums in Österreich.“

Unterstützung von IGGÖ

Unterstützung erhält die Dokustelle von der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ), deren Präsident Ümit Vural in einer Aussendung ebenfalls einen NAP fordert: „Die Politik ist dazu angehalten, sich unmissverständlich gegen jedwede Form von rassistischer Diskriminierung gleichermaßen auszusprechen.“ Die Dokustelle Österreich besteht seit 2014 und ist eine zivilgesellschaftliche Anlaufstelle mit dem selbst erklärten Ziel, antimuslimischen Rassismus sichtbar zu machen und Betroffene zu unterstützen.

Innenministerium zeigte sich „verwundert“

Aus dem Innenministerium zeigte man sich gegenüber „Wien heute“ in einer schriftlichen Stellungnahme „verwundert“: „Wir sind über diese weder fundierten, noch statistisch belegbaren Pauschalverurteilungen verwundert. Wenn der Verdacht des Fehlverhaltens von Polizistinnen oder Polizisten besteht, gibt es hierfür vorgesehene Meldestellen (z.B. Bürgerservice, Beschwerdestellen der Landespolizeidirektionen, Polizeiinspektionen).“