Wissenschaft

Wasserbaulabor setzt neue Maßstäbe

Nach drei Jahren Bauzeit wird heute in Wien-Brigittenau direkt an der Donau ein „weltweit einzigartiges“ Wasserbaulabor der BOKU Wien eröffnet. Das Besondere daran ist, dass hier Abläufe in Flüssen im Originalmaßstab erforscht werden können. Erste Testläufe versprechen weitreichende Erkenntnisse.

Dabei geht es um Hochwasserschutz, Ökologie, Wasserkraft, Schifffahrt und alle Prozesse, die unter dem Einfluss des Klimawandels in Flüssen ablaufen. Das Wasser wird durch das Öffnen eines Wehrs direkt aus der Donau abgezweigt, es durchströmt die riesige Halle des neuen Gebäudes direkt hinter dem Nussdorfer Wehr wie ein kleiner Fluss und wird am anderen Ende in den Donaukanal ausgeleitet, erklärt der Initiator und wissenschaftliche Leiter des Wasserbaulabors der Universität für Bodenkultur (BOKU) Wien, Helmut Habersack.

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Das neue Wasserbaulabor der BOKU
APA/Eva Manhart
Das neue Wasserbaulabor der BOKU
APA/Eva Manhart
Halle mit Kanälen im Wasserbaulabor
Christoph Gruber | BOKU-IT
Wasserbaulabor Gebäude
Christoph Gruber | BOKU-IT
Wasserbaulabor Gebäude
Christoph Gruber | BOKU-IT
Wasserbaulabor
Christoph Gruber | BOKU-IT
Menschen schauen runter auf Kanal im Wasserbaulabor
Christoph Gruber | BOKU-IT
Menschen legen rosa Teststeine ins Flussbett im Wasserbaulabor
Christoph Gruber | BOKU-IT
Helmut Habersack BOKU Wien im Wasserbaulabor
Christoph Gruber | BOKU-IT
 Wasser rinnt im Wasserbaulabor
ORF Wien/Doris Manola
Rinne im Wasserbaulabor am Donaukanal, Wasser sprudelt aus Öffnung
ORF Wien
Schäumendes Wasser rinnt im Wasserbaulabor ab
ORF Wien/Doris Manola
Mann in Labormantel und Schutzausrüstung mit Lasergerät
ORF Wien/Doris Manola
Zwei Männer mit Schutzbrillen
ORF Wien/Doris Manola
Gebäude Wasserbaulabor am Donaukanal
ORF Wien

Es gibt zwei unterschiedlich große Kanäle in der Halle, die in ihrer Größe flexibel sind. Der große Kanal kann mittels flexibler Module und Wände auf eine Gesamtlänge von 90 Meter und 25 Meter Breite erweitert werden. Die maximale Wassertiefe beträgt 3,50 Meter.

„Das gibt es weltweit nicht“

„Das Einzigartige global gesehen ist, dass wir bis zu 10.000 Liter pro Sekunde Durchfluss durch die Halle leiten, indem wir einfach nur Schützen aufmachen müssen“, so Habersack. Durch die Wasserspiegeldifferenz zwischen der Donau und dem Donaukanal von drei Metern benötigt man keine Pumpen. „Das gibt es weltweit nicht, und damit sind wir in der Lage, hier eins zu eins Versuche zu machen“, sagt Habersack im „Wien heute“-Interview.

Skalierungen wie bei kleineren Modellversuchen im alten BOKU-Wasserlabor sind kaum mehr nötig, schwärmt Habersack: „Wir brauchen etwa die Steine und auch andere Elemente wie Bäume oder Fische nicht mehr verkleinern. Das stimmte bisher in der Verkleinerung mit der Natur oft nicht überein.“

Theorie und Praxis klaffen auseinander

Bei der Ausleitung aus der Donau hält ein Rechen Fische aus der Donau zurück, kommen kleinere Fische dennoch durch, schwimmen sie einfach durch die Halle und wieder hinaus. In der Halle können neben anderen Versuchen in zwei unterschiedlich großen Rinnen Naturphänomene wie Sohlerosion, Versandung, Hochwasser, Austrocknung, ökologische Prozesse und die Wechselwirkung zwischen Fluss und Grundwasser unter Laborbedingungen erforscht werden.

Wasserbaulabor in Brigittenau wird eröffnet

Am Montag eröffnet nach drei Jahren Bauzeit am Brigittenauer Sporn ein weltweit einzigartiges Wasserbaulabor der BOKU Wien. Wasser aus der Donau wird direkt abgezweigt und fließt durch das Gebäude, sodass Forschende Versuche in Originalgröße durchführen können.

Schon der seit Jänner laufende Testbetrieb habe gezeigt, dass manche Prozesse – wie vermutet – anders ablaufen als in früheren, kleineren Modellversuchen, so Habersack. Und auch alte Berechnungen stimmen nicht immer: „Wir haben schon gesehen, dass alte Formelansätze mit der Wirklichkeit nicht immer zusammenpassen. Es hängt wahrscheinlich mit der Schwankung der Fließgeschwindigkeit zusammen und mit Wirbelbildungen, die auftreten.“ Auch Computer arbeiten laut dem Wasserbauexperten weiterhin oft mit den alten Formeln. Das könnte sich ändern.

„Donau hat komplett gestörten Sedimenthaushalt“

Auch eine Wasserkraftturbine steht für Experimente bereit. Ein großer Schwerpunkt ist aber der gestörte Sedimenthaushalt von Flüssen und im Speziellen der Donau: „Die Donau hat einen komplett gestörten Sedimenthaushalt.“ Sedimente sind Sand und Steine, die im Fluss transportiert werden. Und dieses Sediment kommt in der Donau offenbar „nicht mehr an in Wien, weil es oben in den Bergen und Flüssen schon zurückgehalten wird“, erklärt Habersack.

„Damit hat man dann das Problem, dass sich die Donau eingräbt. Und wenn sie sich eingräbt, sinkt der Wasserspiegel, auch im Nationalpark.“ Das führe dann gegebenenfalls zu einem Austrocknen des Nationalparks, „und wir wollen erreichen, dass dieses Sedimentkontinuum wiederhergestellt wird“.

Folgen für Wasserkraftwerke und Donau-Rückbau

Aus den Forschungsergebnissen können außerdem etwa Rückschlüsse für die Schifffahrt, den Wasserkraftwerksbau und auch für den geplanten teilweisen Rückbau der Donau gemacht werden. Das von Habersack koordinierte EU-Projekt „DANUBE4all“ mit einem Budget von 8,5 Mio. Euro begann im Jänner 2023, läuft über fünf Jahre und verfolgt das Ziel, erstmals einen Donau-Rückbauaktionsplan unter Einbeziehung der Bevölkerung zu entwickeln, so Habersack. Neue Kraftwerke müssten etwa nun so gebaut werden, dass sie Sedimente durchschleusen können.

Helmut Habersack BOKU Wien im Wasserbaulabor
Christoph Gruber | BOKU-IT
Laborleiter Helmut Habersack hat hier viel vor, im August finden zudem drei große Konferenzen in Wien statt, die er koordiniert

Im Donau-Delta etwa kommen laut Habersack wegen Sedimentablagerungen in Staubecken von Kraftwerken und anderen Querbauwerken pro Jahr um 60 Prozent weniger Schwebstoffe an: Die Folge sind Küsten- und Sandstranderosionen.

„Menschenversuche“ für Katastropheneinsätze

Und auch mit Menschen wird hier schon bald experimentiert werden. Im Sommer soll es Versuche zu Hochwasser geben, bei denen sich Menschen in die Rinne stellen. „Die Menschen stehen drinnen, sind natürlich mehrfach gesichert, es geht um den Zeitpunkt, wann man sich nicht mehr halten, nicht mehr stehen kann im Wasser. Dann wissen wir, welche Fließgeschwindigkeit tritt zu dem Zeitpunkt auf, kombiniert mit der Wassertiefe. Dann halten wir diesen Zeitpunkt fest. (…) Das ist ja von Mensch zu Mensch auch unterschiedlich. Das hängt von der Größe ab, von der Masse des Menschen, aber auch vom Verhalten, von der Strömung, vom Schuhwerk. Und da gibt es keine ausreichenden Grundlagen“, so Habersack über die bevorstehenden Versuche.

Auch Ausstellungen geplant

Die EU, Klimaministerium, Wissenschaftsministerium, Wirtschaftsministerium, Landwirtschaftsministerium und die Länder Niederösterreich und Wien teilten sich die Errichtungskosten von ca. 49 Mio. Euro. Den Großteil stemmte mit 26 Mio. Euro dabei die EU. Die BOKU selbst übernahm unter anderem den Grundstücksankauf.

Neben der Forschung sind im oberen Stockwerk des neuen Wasserbaulabors künftig auch Ausstellungen im Public Lab geplant – vor allem für Schulklassen, Lehrerkräfte und natürlich für alle, die sich für die Donau, den Wasserbau und die Gewässerforschung interessieren.