Gerhard Jelinek
APA/Hans Punz
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Gesundheit

Spitäler: Patientenanwalt sieht ernsthaftes Problem

Qualitätsmängel, tödliche Behandlungsfehler und ein „sehr ernsthaftes Personalproblem in den Spitälern der Stadt“: Der Bericht der Wiener Pflege- und Patientenanwaltschaft (WPPA) ist am Mittwoch im Wiener Landtag präsentiert worden und sorgt wieder für Aufregung.

Der nun veröffentlichte Jahresbericht 2022 der WPPA dokumentiert die in den vergangenen Wochen viel diskutierte Ressourcenfrage im Gesundheitswesen. Der Bericht listet zahlreiche schwere Fehler in Spitälern und im niedergelassenen Bereich auf, teilweise mit tödlichem Ausgang. So starb ein 31-jähriger Patient, der wegen Schmerzen im linken Brustkorb in die Notfallambulanz eines städtischen Spitals kam und mit der Diagnose Muskelverspannung und Nervenschmerz nach Hause geschickt wurde.

Der 31-Jährige erlitt laut WPPA-Bericht einen Herzinfarkt und starb wenige Stunden nach seiner Entlassung. Ein Gutachten ergab, dass die Beschwerdesymptomatik „typisch für ein koronares Geschehen“ war. „Der Patient hätte aus dem Spitalsbereich nicht entlassen werden dürfen.“ Bei einem stationären Aufenthalt hätte bei Auftreten von Herzkammerflimmern rascher reagiert werden können, was die Überlebenschance deutlich erhöht hätte.

Liste von Behandlungsfehlern

Im Bericht finden sich weitere Beispiele für Behandlungsfehler: Eine 53-jährige Dialysepatientin starb in einem städtischen Spital an Blutverlust, weil eine Steck-/Drehverriegelung nicht korrekt durchgeführt wurde. Eine Überprüfung nach dem Vier-Augen-Prinzip habe es nicht gegeben. Bei einer 75-Jährigen mit akuten Schmerzen im linken Bein wurde in einem städtischen Krankenhaus ein Oberschenkelhalsbruch nicht erkannt und stattdessen ein Bandscheibenschaden diagnostiziert.

Eine 63-Jährige bekam ein Chemotherapeutikum verabreicht, das für die Bettnachbarin bestimmt war. Ein 22 Tage altes Neugeborenes wurde in einem Spital zu heiß gebadet und erlitt Verbrühungen. In einem Diagnosezentrum wurde bei einer 36-jährigen Patientin ein Schilddrüsenkarzinom verspätet erkannt, weil „eine erforderliche Messung des Calcitoninwertes verabsäumt“ wurde. Bei einem 18-Jährigen wurden beim Entfernen der Weisheitszähne die Seiten verwechselt.

Für WPPA „sehr ernsthafte Personalprobleme“

Die WPPA weist im Bericht auf sich häufende Gefährdungsanzeigen von Abteilungsleitern in verschiedenen Kliniken des Wiener Gesundheitsverbundes (WIGEV) im Herbst 2022 hin. „Die Direktion versuchte zwar, dies als teilweise übertriebene Aktionen zu relativieren, die in Wahrheit eher in die Kategorie ‚Belastungsanzeige‘ einzuordnen wären und von der Personal- bzw. Standesvertretung befeuert würden; die Häufung der Anzeigen in Kombination mit den Informationen über Bettenschließungen, OP-Verschiebungen etc. deuten aber doch auf sehr ernsthafte Personalprobleme hin.“

Außerdem verwies die WPPA auf die Gefahr der Mehrklassenmedizin. Klagen, dass man nur als Privatpatient schnell an einen OP-Termin kommt, sprächen gegen die Objektivität des Terminmanagements, heißt es. Laut WPPA deuten zudem manche Beschwerden (…) ebenfalls auf einen Zusammenhang mit Ressourcenproblemen hin. So wurde „einem Patienten mit Herzbeschwerden (…) eine Wartezeit von 40 Tagen für den Angiographietermin zugemutet. In der Wartezeit erlitt er einen Herzinfarkt.“

In Ambulanzen ortete die WPPA „zum Teil exorbitante Wartezeiten“, „mangelnde telefonische Erreichbarkeit, Betreuungsdefizite während des Wartens (die bis zu Abgängigkeiten von demenzerkrankten Patienten führten; in einem tragischen Fall sogar mit letalem Ausgang)“, Diagnosefehler und Schwierigkeiten, dringend benötigte Befunde zu erlangen.

WIGEV: „Unzählige Maßnahmen gegen Fachkräftemangel“

Seitens des WIGEV heißt es dazu, die Ausbildungsplätze im Pflegebereich würden massiv ausgeweitet. Derzeit seien rund 1.550 Pflegekräfte sowie rund 1.400 Ärzte in Ausbildung. Zu den stark gestiegenen Gefährdungsanzeigen heißt es, dass diese die Spitalsleitung rechtzeitig über Engpässe informieren sollen, um Lösungen finden zu können. „Eine Gefährdungsanzeige bedeutet nicht, dass die Patientenversorgung gefährdet ist, sondern soll rechtzeitig Maßnahmen ermöglichen, um Gefährdungen zu verhindern.“

Detail am Rande: Der WIGEV-Stellungnahme zufolge sank die Zahl der Vertragsärztinnen und -ärzte in Wien im Zeitraum 2012 bis 2021 von 1.993 um 275 auf 1.718, womit die Bundeshauptstadt als einziges Bundesland ein zweistellig negatives Prozentergebnis hatte (minus 13,8 Prozent). Gleichzeitig „explodierte“ die Zahl der Wahlmedizinerinnen und -mediziner. 2021 gab es in dem Bereich um 1.274 Wahlärztinnen und -ärzte mehr als 2012, ein Plus von 49,2 Prozent.

Arbeitsbedingungen müssen besser werden

WPPA-Leiter Gerhard Jelinek berichtete am Abend im „Wien heute“-Studio auch von Empfehlungen, die im Bericht angeführt sind. „Es müssen die Arbeitsbedingungen im Spital einfach verbessert werden, so banal das klingt. Das wird auch eine finanzielle Komponente haben. Es geht aber auch darum, dass das Personal einen verlässlichen Dienstplan hat, dass es die Möglichkeit von Teilzeitbeschäftigungen gibt. Wenn es das nicht gibt, dann laufen die wenigen Pflegekräfte und Ärzte, die wir im Spital haben, auch noch weg.“

Den Verantwortlichen attestierte Jelinek „ein Problembewusstsein“. Er setzte Hoffnungen in die Finanzausgleichsverhandlungen. Er erwartet, „dass sich wirklich alle, die etwas in diesem komplexen Gesundheitssystem mitzureden und zu zahlen haben, der Problemlage bewusst sind und gemeinsame Lösungen finden“.