Eine Frau geht in einer Menschenmenge
ORF.at/Roland Winkler
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chronik

Wien ist toleranter geworden

Der sprichwörtliche Grant gehört immer noch dazu, aber Wien ist freundlicher geworden, freilich mit Ausnahmen. Zu dieser Erkenntnis kommt Stadtpsychologin Cornelia Ehmayer-Rosinak, nachdem sie sich nach 20 Jahren erneut mit dem „Wesen Wien“ beschäftigt hat.

Auch 20 Jahre nach der ersten Befragung waren rund zwei Drittel der Befragten der Meinung, dass die Wiener mehr granteln als Menschen in anderen Städten. Aber immer öfter wird das Verhalten der Mitmenschen ambivalent erlebt: Die Menschen „werden als unfreundlich, aber auch als herzlich, als grantig, aber auch schmähführend oder gemütlich wahrgenommen“, berichtete Stadtpsychologin Cornelia Ehmayer-Rosinak bei der Präsentation der Ergebnisse am Donnerstag.

Die Ambivalenz zeigt sich demnach auch beim Verhältnis zur Multikulturalität. Diese werde prinzipiell als zu Wien gehörend empfunden. Zugleich empfänden Zugewanderte Wien aber als unfreundlich. Generell wünschen sich die Wiener laut Ehmayer-Rosinak mehr Toleranz, Frieden und weniger Fremdenfeindlichkeit. Gerade die Covid-19-Pandemie habe offenbar dazu geführt, dass man sensibler auf die Bedürfnisse der Mitmenschen reagiert und man in der Nachbarschaft wieder mehr Kontakte pflegt, vermutet sie.

„Da hat sich echt was geändert“

Das Grätzel wird der Erhebung zufolge überhaupt als wichtig empfunden. Zugleich wird Wien laut Ehmayer-Rosinak selbst als „Dorf“ wahrgenommen – also als sehr lebenswerte Stadt, die sich dadurch auszeichnet, dass man nicht immer nur das Gefühl hat, in einer Großstadt zu leben. Ein Bild hat sich laut der Psychologin aber ebenfalls ergeben: Der öffentliche Raum wird immer wichtiger.

Hier sahen die Befragten offenbar relativ großen Nachholbedarf. Immer wieder wurde laut der Studie urgiert, Verkehr zu reduzieren und auch Parkplätze wegzunehmen. Sogar Forderungen, ganz Wien autofrei zu machen oder zumindest SUVs zu verbieten, wurden laut. „Da hat sich echt was geändert“, zeigte sich die Stadtpsychologin überzeugt. Auch mehr Öffis und generell mehr Mitsprache wurden immer wieder verlangt.

Der typische Wiener hat einen Bierbauch

Gefragt wurde auch, ob es „typische“ Wienerinnen oder Wiener noch gebe. Dies wurde großteils bejaht, auch wenn die Geschlechter hier höchst unterschiedlich beurteilt wurden. Wienerinnen haben demnach frisierte Haare und sind geschminkt, die Männer zeichnen sich hingegen durch Bierbauch und Glatze aus. Insgesamt wurden die Bewohner der Hauptstadt als „ein bisschen schlampig, ein bisschen elegant“ beschrieben.

Erhebungen 2003 und 2023

2003 hat Cornelia Ehmayer-Rosinak erstmals versucht, das Wesen Wien zu begreifen. In Zielgruppeninterviews wurden die Teilnehmer gebeten, über ihr Leben in Wien zu berichten. Damals war das Klischee, dass viele Menschen in der Stadt eher zur unfreundlichen Sorte gehören, offenbar noch zutreffender. Jedenfalls erlebten viele der Befragten die ruppige Art als etwas belastendes, das sie im Alltag nervt. Jetzt, 20 Jahre später, kann sie zumindest die Frage in den Raum stellen, ob „hinter dem Granteln doch das goldene Wienerherz“ steckt.

Laut Ehmayer-Rosinak handelt es sich bei der aktuelles Studie um eine Follow-up Erhebung, die online geführt wurde. Sie spricht von einer „nicht repräsentativen, qualitativen Studie“, für die 77 Personen online befragt wurden.