Chronik

Obdachlosenmorde: Polizei tappt im Dunkeln

Nach den tödlichen Attacken auf Obdachlose hat die Polizei weiterhin keinen konkreten Verdacht. Allerdings gehen die Ermittler nach wie vor den „etlichen Hinweisen“ nach, die seitens der Bevölkerung eingegangen sind.

„Die Kriminalisten prüfen sie und beziehen sie in die Ermittlungen ein. Außerdem unterstützen zusätzliche Ermittler des Ermittlungsdienstes des LKA die amtshandlungsführende Mordermittlungsgruppe bei der Überprüfung der Hinweise“, hieß es am Dienstag.

In Wien kam es im Sommer bisher zu drei brutalen Angriffen auf Obdachlose, die in zwei Fällen mit dem Tod der Opfer endeten. Am 12. Juli war ein Mann erstochen auf einer Parkbank am Handelskai in Wien-Brigittenau aufgefunden worden. In Wien-Leopoldstadt wurde eine Frau mehr als eine Woche später durch Stiche und Schnitte schwer verletzt. Zuletzt kam es in der Nacht auf den 9. August zu einer Messerattacke in Wien-Josefstadt, wobei der Mann seinen Verletzungen erlag.

„Keine Auseinandersetzungen vor der Tat“

Aufgrund der ähnlichen Verletzungsmuster, Tatzeiträume und der Opfergruppe geht das Landeskriminalamt (LKA) von einem Zusammenhang zwischen den Attacken und einer Täterschaft aus. Das Motiv für die Taten ist weiterhin unklar: „Die bisherigen Ermittlungen haben ergeben, dass es vor der Tat keinerlei Auseinandersetzungen mit den Opfern gegeben hat und den Opfern auch nichts geraubt wurde“, so die Polizei.

Ungeklärt ist auch, ob der Täter bzw. die Täterinnen aus dem Obdachlosenmilieu stammen oder nicht. „Es werden beide Möglichkeiten in Betracht gezogen. Es ist im jetzigen Ermittlungsstadium zu früh, hier etwas kategorisch auszuschließen“, hieß es. Einen Zusammenhang zwischen kolportierten Überfällen von Jugendlichen mit Messern und den Taten schließt die Polizei derzeit aus. Auch gab es im Vorfeld keine ähnlichen Attacken auf Obdachlose.

Mehrere Präventivmaßnahmen

„Diese zwei Mordfälle in der Obdachlosenszene sind in der jüngeren Vergangenheit für sich alleinstehend. Natürlich gab es und gibt es wie in jeder Gesellschaftsgruppe Delikte, unter anderem auch gegen die körperliche Integrität, denen die Polizei nach einer Anzeige auch konsequent nachgeht. Es gab aber keine Häufung von Körperverletzungen an Obdachlosen, da diese auch kriminalstatistisch gar nicht für sich allein kategorisiert werden“, so die Polizei.

Um weitere Taten zu verhindern, wurde der Streifendienst an Orten, an denen sich vermehrt wohnungslose Menschen aufhalten, sensibilisiert und verstärkt. Auch der Austausch zwischen Betreuungseinrichtungen für Wohnungslose und der Polizei wurde intensiviert.

Streetworker aufgestockt

Seitens der Stadt Wien und von NGOs reagierte man ebenfalls bereits auf die Attacken. So wurden etwa die Betreuung der Menschen durch Streetworker aufgestockt und 90 zusätzliche Nachtbetten zur Verfügung gestellt. Diese werden auch „gut angenommen“, sagte Susanne Peter, Teamleiterin Streetwork der Caritas. Allerdings gebe es auch einige Obdachlose, die nicht in geschlossenen Räumen mit anderen Menschen zusammen sein können und nicht einmal im Winter in den Notquartieren Schutz suchen.

Laut der Wohnstatistik der Statistik Austria waren 2021 in Österreich knapp 20.000 Menschen als obdachlos oder wohnungslos registriert, 60 Prozent davon in Wien. Die Schätzung der Anzahl von Menschen, die tatsächlich obdachlos sind, ist schwierig, da es einen unbekannten Anteil an nicht registrierten Personen gibt. Man geht aber in Wien in etwa von 1.500 Personen aus.

Nichterreichbarkeit als Problem

Ein großes Problem bei dieser Gruppe ist die Erreichbarkeit: Zwar wissen die Streetworker über die Aufenthaltsorte vieler Bescheid, aber nicht von allen – zudem haben die meisten auch keinen Zugang zu Medien und wissen demnach vielleicht gar nichts von den Attacken. Die Caritas bat daher die Bevölkerung, „mit offenen Augen durch die Stadt zu gehen“ und Obdachlose bei der Gruft der Caritas zu melden, damit Streetworker Kontakt aufnehmen können.

„In Solidarität mit allen Menschen, die von Wohnungs- und Obdachlosigkeit betroffen sind“, findet am Donnerstag um 17.00 Uhr auf der Mariahilfer Straße Ecke Neubaugasse in Wien eine Kundgebung statt. „Wir fordern nicht nur die sofortige und ganzjährige Öffnung von Notquartieren, um Menschen, die auf der Straße leben müssen, Schutz zu bieten, sondern auch sicheren Wohnraum für alle“, sagte Kai Nemiete, Sprecherin der Gruppe „Zwangsräumungen verhindern“, die gemeinsam mit anderen Initiativen die Kundgebung organisiert.