KULTUR

Walter Arlen verstorben

Der Komponist und Musikkritiker Walter Arlen ist im Alter von 103 Jahren verstorben. 2011 wurde er in seiner Heimatstadt Wien mit dem Goldenen Verdienstzeichen des Landes geehrt. Kurz vor seinem Tod war er noch in der Netflix-Doku „Alles, was die Nazis hassen“ zu sehen.

Walter Arlen war einer der Letzten jener Epoche, die so klingende Namen wie Billy Wilder, Hedy Lamarr, Erich Wolfgang Korngold und Arnold Schönberg umfasste. Dabei war das musikalische Erweckungserlebnis des am 31. Juli 1920 als Walter Aptowitzer in Ottakring Geborenen eher ungewöhnlich: Im großelterlichen Kaufhaus am Brunnenmarkt, dem „Warenhaus Dichter“, hatte ein Verwandter, der später in den USA als Psychologe zum „Vater der Motivforschung“ gewordene Ernest Dichter, eine Grammofonanlage zur Musikbeschallung installiert – eine unerhörte Innovation in der damaligen Zeit.

„Mir hat das so gefallen, dass ich die Lieder mitgesungen habe.“ Damals darunter: das populäre Wienerlied „Wenn die letzte Blaue geht“, das Arlen im Jahr 2000 als eine seiner letzten Kompositionen paraphrasierte.

Martyrium in der NS-Zeit

Das Gesangstalent des Buben war jedenfalls damals so auffällig, dass er als Fünfjähriger dem später als Verfasser des Schubert-Werksverzeichnisses berühmt gewordenen Musikwissenschafter Otto Erich Deutsch vorgestellt wurde. Dieser konstatierte absolutes Gehör und empfahl Klavierstunden und Musikausbildung. Doch weder diese Expertise noch Konzert- und Opernerlebnisse an der Seite seiner Eltern begründeten – von Klavierstunden abgesehen – eine solide musikalische Ausbildung. „Ich war für die Übernahme der Leitung im Warenhaus vorgesehen. Als ich mit 15 endlich den Mut hatte, meine Eltern nach Stunden in Harmonielehre und Komposition zu fragen, war die Antwort: Mach zuerst deine Matura“, erzählte Arlen 2011 im APA-Interview.

Doch mit dem „Anschluss“ wurde alles anders. Schon in der Nacht auf den 13. März 1938 drangen SA-Männer plündernd in die elterliche Wohnung ein, misshandelten ihn und verhafteten den Vater. Für die Familie begann ein Martyrium aus Demütigungen, Verfolgung, Enteignung und Repressalien. Dank amerikanischer Verwandter gelang dem 18-Jährigen schließlich am 14. März 1939 die Ausreise in die USA.

Dort begann er unter neuem Namen, sich eine Existenz aufzubauen, „aber mit der Musik war zunächst einmal Schluss“. Die Unterstützung der Familie Pritzker sicherte das ökonomische Überleben: „Fanny Pritzker hat ihrem Pelzhändler gesagt: Give him a job. Und er hat geantwortet: Yes, Mrs. Pritzker.“

Eigene Kompositionen in der Pension

Dennoch wurde aus Walter Arlen letztlich kein Kürschner, und er landete am Ende doch bei der Musik: 1947 wurde er Assistent des Komponisten Roy Harris, 1952 begann seine Arbeit als Musikkritiker bei der „Los Angeles Times“, 1969 gründete er die Musikabteilung an der Loyola Marymount University in Los Angeles, deren Vorstand er bis 1998 war. „Ich habe nie viel verdient, aber immer viel gearbeitet“, lautete seine Lebensbilanz.

Selbst zu komponieren, das hat Walter Arlen erst in der Pension wieder aufgenommen. „Das war ein Blödsinn, dass ich so lange nichts geschrieben habe. Aber ich habe immer befürchtet, dass dann jemand sagen könnte: ‚Der schreibt so an Dreck – und mich kritisiert er‘“, resümierte der Jubilar jüngst im „Kurier“-Interview. Dennoch umfasst sein Oeuvre Kammermusik, Lieder, Songs und Stücke für Klavier.

Vorlass für Musiksammlung der Wienbibliothek

Mit seiner Geburtsstadt Wien, die wiederzusehen bei der ersten Rückkehr 1965 auch aufgrund des nicht versiegten Antisemitismus und der geringen Restitutionsanstrengungen schmerzhaft war, hat Walter Arlen erst in letzten 20 Jahren seinen Frieden gemacht. Sichtbares Zeichen: Arlen hatte seinen Vorlass der Musiksammlung der Wienbibliothek übergeben. 2011 wurde Arlen mit einem Gesprächskonzert und der Überreichung des Goldenen Verdienstzeichens des Landes Wien gewürdigt. Zum 100. Geburtstag 2020 feierte man den Jubilar ausgiebig im Filmarchiv und im ORF.

Die Universität für Musik und darstellende Kunst (mdw) zollte Arlen am Montag in einer Stellungnahme ihren Respekt: „Arlens Bereitschaft, seine Lebensgeschichte mit dem Exilarte Zentrum der #mdwwien zu teilen, zeugt von seinem Bedürfnis, das öffentliche Verständnis für das Thema ‚Exil‘ stark zu fördern. Seine Musik, die schon weltweit Herzen und Seelen berührte, lebt in der laufenden Arbeit des Zentrums weiter, wo sie auch in der Zukunft eine Inspirationsquelle für zahlreiche Interpret_innen bleiben wird!“

„Brücken nach Österreich“

„Walter Arlen hat uns seine Kunst nicht vorenthalten, nein, er hat Brücken nach Österreich geschlagen. Er hat uns mit seinen Werken, die seine schmerzhaften Erinnerungen in die universelle Sprache der Musik übertrugen, Momente des Glücks und der Bewegtheit geschenkt. Walter Arlen war ein lebendiges Beispiel für die Kostbarkeit des Lebens und für den Glauben an Versöhnung“, reagierte Kunst- und Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer (Grüne) in einer Aussendung.

„Der aus Wien vertriebene, spätere Musikkritiker und Komponist hat wesentlich zur Verbreitung und zum Austausch der österreichischen Musiktradition beigetragen. Der kontinuierliche Austausch mit seiner Heimatstadt, etwa mit dem Verein exil.arte, trug wesentlich dazu bei, dass Vergangenheit und Erinnerung nicht verloren gehen“, hieß es von Kulturstadträtin Veronika Kaup-Hasler (SPÖ) in einer Aussendung.

Zeitzeuge in Netflix-Dokumentation

Kurz vor seinem Tod trat Walter Arlen noch in der Netflix-Dokumentation „Alles, was die Nazis hassen“ auf. Regisseur Benjamin Cantu thematisiert dabei Berlins erste queere Community Anfang der 1930er Jahre. Cantu wollte Arden dabei „den Raum geben, seine Geschichte im Film zu erzählen. Es hat uns alle sehr berührt, dass jemand mit so einer langen und bewegten Biografie noch so nah an seinen Gefühlen aus seiner Jugend sein kann“, so Cantu in einem Interview.