Stromleitung Zug
ORF Wien
ORF Wien
Verkehr

ÖBB warnen vor gefährlichen Stromunfällen

Mit einer Kampagne reagieren die ÖBB auf eine Häufung von Unfällen mit Bahnstrom, an Gleisanlagen sowie Eisenbahnkreuzungen. Wien verzeichnet einen „drastischen Anstieg“ von Unfällen meist junger Männer, die – beim Klettern auf Waggons – einen Stromschlag erlitten.

Österreichweit gab es vergangenes Jahr an Bahnübergängen 66 Kollisionen mit Zügen, zwölf Menschen starben dabei. Die ÖBB wollen nun mit einer drastischen Sicherheitskampagne aufrütteln, Aufmerksamkeit schaffen und zum Nachdenken anregen. Viele wissen nicht um die Gefahren, die von Bahnanlagen ausgehen. Slogans wie „riskiert riskiert eliminiert“ oder „ignoriert ignoriert skalpiert“ sollen das nun ändern und Bewusstsein für die sichere Benutzung schärfen.

Unwissenheit und Leichtsinn

Vorgestellt wurde die laut Eigenangaben „maximal aufmerksamstarke Sicherheitskampagne“ am Donnerstag in Wien. Besonders Kinder und junge Erwachsene begeben sich demnach häufig aus Unwissenheit und Leichtsinn in Lebensgefahr. Zu ihnen gehörte auch der 18-jährige Nino Laitinen. Am 26. Februar 2022 war er auf dem Praterstern auf einen Zug geklettert und von einer Leitung am Kopf getroffen worden, erzählte er.

Junger Mann in Rollstuhl auf Bahngleis
ORF Wien
Nino Laitinen kletterte auf dem Praterstern auf einen Zug, wurde von einer Leitung am Kopf getroffen und sitzt seither im Rollstuhl

Oberärztin Viktoria König von der Uniklinik für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie der MedUni/AKH Wien operierte den jungen Mann. „Nino wurden Rückenmuskel und ein Teil vom Oberschenkel an den Kopf transplantiert“, schilderte die plastische Chirurgin.

Lebensgefährlicher Stromlichtbogen auch über Distanz

Strom kann in Form eines Lichtbogens auch über eine Distanz von mehreren Metern lebensgefährlich sein. Durch den Lichtbogen der Stromleitung gibt es bei den Opfern Eintritts- und Austrittsstellen, meist sind Kopf und Fuß besonders stark betroffen, berichtete die Ärztin. An den Unfall selbst hat der junge Mann keine Erinnerung. Nino sitzt seither im Rollstuhl, hat unter anderem auch Nervenschäden im Bein davongetragen. „Man muss nicht bei jedem Blödsinn dabei sein“, appelliert er bei der Pressekonferenz.

ÖBB Sicherheitskampagne

Um die Anzahl an Unfällen unter Beteiligung von Schienenfahrzeugen zu reduzieren, haben die Bundesbahnen eine Werbe-Kampagne für mehr Sicherheit geplant.

Auf der MedUni werden pro Jahr im Schnitt ein bis zwei Starkstromverletzte behandelt, meistens handelt es sich dabei um Arbeitsunfälle, berichtete König. Im Vorjahr gab es jedoch einen „drastischen Anstieg an Trainsurfern und Trainclimbern“. Sie wurden vom Lichtbogen mit 15.000 Volt getroffen, „die wenigsten wussten über diese Gefahr Bescheid“. Sieben Unfallopfer gab es im Vorjahr, „zwei haben es nicht mal zu uns geschafft, ein 21 Jahre alter Bursche ist am Aufnahmetag verstorben“, schilderte die Medizinerin.

„In der Stromquelle gefangen“

Bei derartigen Unfällen sind die Patienten „in der Stromquelle gefangen und fangen nicht selten zu brennen an, ehe sie akut weggeschleudert werden.“ Durch den Sturz aus großer Höhe – etwa von Zugsdächern – gibt es schwerwiegende Begleitverletzungen wie Brüche und Schädel-Hirn-Traumata. Dazu kommen die Stromverletzungen, die oft auch unsichtbar sind, etwa wenn die Muskulatur oder die Niere stark geschädigt wird.

(v. l. n. r.): Johann Pluy, Mitglied des Vorstands, ÖBB-Infrastruktur AG; Christian Schimanofsky, Geschäftsführer, Kuratorium für Verkehrssicherheit (KfV); Nino Laitinen, Unfallopfer (Bahnstrom); Viktoria König, Oberärztin, Universitätsklinik für plastische und rekonstruktive Chirurgie, Medizinische Universität Wien / AKH Wien bei der Präsentation einer ÖBB-Kampagne
APA/ÖBB/Tanzer
Johann Pluy (ÖBB-Infrastruktur), Christian Schimanofsky (KfV), Nino Laitinen (Unfallopfer), Viktoria König (Chirurgin am AKH; v. l. n. r.) bei der Präsentation der ÖBB-Kampagne

Drei bis vier Meter Abstand von Stromanlagen

Auch der 15-jährige Jakob wurde Ende des Vorjahres bei einem Stromunfall schwer verletzt. Der nunmehr wieder in seiner Heimat lebende Amerikaner meldete sich via Videobotschaft zu Wort und warnte vor Leichtsinnigkeiten. Er wollte in Hietzing Graffiti sprayen, als er von einem Lichtbogen getroffen wurde, ohne einen Zug zu berühren. Er verlor bei dem Unfall seinen rechten Arm und ist seither querschnittgelähmt.

„Bei ihm war die Eintrittsstelle der rechte Arm, er hatte eine Metallspraydose in der Hand gehalten“, berichtete die Chirurgin König. Die Experten rieten dazu, von Stromanlagen auf jeden Fall drei bis vier Meter Abstand zu halten. „Opfer von derartigen Unfällen sind meist männliche junge Patienten zwischen 14 und 25 Jahren. Sie wollen ein cooles Foto, die Aussicht genießen, haben Liebeskummer oder wollen auf dem Zug ein Bier trinken, einer war dabei, der Yoga machen wollte“, berichtete die Ärztin.

Eigenes Verhalten soll hinterfragt werden

Noch mehr Unfälle gab es 2022 bei unüberlegtem Überqueren von Bahnanlagen, laut Johann Pluy, Vorstand der ÖBB-Infrastruktur, waren es elf Unfälle, von denen fünf tödlich endeten. 66 Unfälle gab es an Eisenbahnkreuzungen, zwölf Menschen starben. „Jeder einzelne der Unfälle wäre vermeidbar gewesen“, sagte Pluy. „Heuer lagen wir hier im ersten Halbjahr deutlich unter 50 Prozent vom Vorjahr“, berichtete der ÖBB-Vorstand.

Bei all den Gefahrenquellen werden die möglichen Folgen drastisch unterschätzt, warnte er und verwies auf die jährliche Sicherheitskampagne. „Bewusstsein zu schaffen ist eine Daueraufgabe, man darf nie aufhören“, sagte Pluy. Die möglichen Folgen werden in den laut ÖBB „bewusst aufrüttelnden Sujets auf Bahnhöfen, in Print-, Online- und den sozialen Medien“ mittels 3-D-Figuren dargestellt. Das eigene Verhalten soll hinterfragt werden.

„Hauptunfallursache zu 99 Prozent Fehlverhalten“

„Hauptunfallursache für Unfälle an Eisenbahnkreuzungen ist in 99 Prozent der Fälle immer menschliches Fehlverhalten“, erläuterte Christian Schimanofsky, Direktor des Kuratoriums für Verkehrssicherheit (KFV). Das ist zum Beispiel mangelnde Aufmerksamkeit, fehlender Kontrollblick, Nichtanhalten bei einem Stoppschild oder die Missachtung des Rotlichts.

Stromleitungen und Zug
ORF Wien
Fast jeder Unfall des Vorjahres mit Bahnstrom, an Gleisanlagen sowie Eisenbahnkreuzungen hätte vermieden werden können

Eine kürzlich durchgeführte Umfrage unter 2.500 Führerscheinbesitzerinnen und -besitzern ergab den Bedarf an vermehrter Bewusstseinsbildung. So wissen beispielsweise 13 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher nicht, was das Verkehrsschild „unbeschrankter Bahnübergang“ bedeutet, sagte Schimanofsky. Dieses Zeichen kündigt einen nicht durch Schranken gesicherten Eisenbahnübergang an. KFV-Erhebungen würden immer wieder zeigen, dass Sicherungseinrichtungen – wie beispielsweise Schranken oder Lichtanlagen – ignoriert werden.

Die größten Fehler

„Aufgrund der Masseunterschiede der Verkehrsteilnehmerarten, die an Eisenbahnkreuzungen aufeinandertreffen, ist die Verletzungsschwere bei Kollisionen mit einem Zug im Vergleich zu anderen Unfällen sehr hoch. Prävention schützt und rettet Leben“, sagte der KFV-Direktor.

Falsch verhält sich laut Bahn, wer Gleise quert, um Wege zu verkürzen, oder auf abgestellte Waggons klettert. Damit wird auch – ohne die Leitung zu berühren – ein Stromüberschlag riskiert. Eisenbahnkreuzungen dürfen zudem weder unachtsam noch trotz Rotlichts bzw. herannahenden Zuges gequert werden. Nicht ignoriert werden darf auch die Sicherheitslinie auf dem Bahnsteig.