Gericht

Pflegegeld erschlichen: Frau verurteilt

Eine 33-jährige Frau ist wegen erschlichenen Pflegegelds von einem Wiener Strafgericht schuldig gesprochen worden. Die Strafe – 22 Monate Haft – wurde für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.

Die Frau erhielt seit 2008 aufgrund der Diagnose Multiple Sklerose und ihrer angeblich daraus resultierenden Bettlägerigkeit Pflegegeld der Stufe sechs in der Höhe von monatlich 1.200 Euro, obwohl sie recht mobil war. Einer Ärztin fiel bereits 2018 die Ungereimtheiten auf, Anfang 2023 wurde die 33-Jährige ohne Rollstuhl beim Stehlen erwischt.

Der nicht rechtskräftige Schuldspruch in der Höhe von 22 Monaten erfolgte wegen schweren gewerbsmäßigen Betruges, Herbeiführung einer unrichtigen Beweisaussage und Diebstahls.

Familienmitglieder gaben sich als Pflegekräfte aus

Der Fall umfasste ursprünglich vier Angeklagte, auch die Eltern und der Ehemann der 33-Jährigen standen bereits vor Gericht. Das Verfahren der Frau wurde damals ausgeschieden, da sie zunächst nicht verhandlungsfähig war. Nun ging der Strafprozess auch gegen sie über die Bühne.

Die 33-Jährige bezog seit Oktober 2008 Pflegegeld der Stufe sechs. Damals war noch die MA40 (Sozial- und Gesundheitsrecht) für die Auszahlung zuständig. Nach einer Gesetzesreform im Jahr 2012 übernahm die Pensionsversicherungsanstalt (PVA) diese Aufgabe. 2018 fiel einer Ärztin auf, dass die Familienmitglieder der Frau, die ebenfalls alle Pflegegeld erhielten, sich gegenseitig als Pflegepersonen ausgaben.

Fersenschwielen machten Ärzte stutzig

Bei einer Überprüfung fiel sowohl dem Internisten als auch den Neurologinnen und Psychiaterinnen auf, dass die Frau trotz ihrer angeblichen Bettlägerigkeit Schwielen an den Fersen hatte. Der psychiatrische Gerichtsgutachter Siegfried Schranz, der die Frau aufgrund ihrer Zurechnungs- und Verhandlungsfähigkeit im Vorfeld des Prozesses untersuchte, entdeckte gar Schwielen und Hühneraugen an den Zehen der Frau, wie sie nur durch das Tragen von Stöckelschuhen entstehen würden.

Daraufhin wurde der Frau das Pflegegeld ab Mai 2019 gekürzt, weil man davon ausging, dass es ihr zumindest ab Anfang 2018 besser gegangen sei und stellte ein Rückzahlungsbescheid in der Höhe von fast 17.000 Euro aus, das Geld musste die Frau an die PVA zurückzahlen. Sie wurde daraufhin auf die Pflegestufe zwei zurückgestuft.

Frau klagte gegen Zurückstufung

Statt den bisher monatlichen 1.200 Euro erhielt die 33-Jährige nur noch 290 Euro, wogegen die Frau beim Arbeits- und Sozialgericht (ASG) klagte. Das Gericht nahm einen möglichen – zumindest versuchten – Schaden von 43.000 Euro an, da – wenn der Ärztin diese Widersprüchlichkeiten nicht aufgefallen wären – die nächste Überprüfung erst im Frühjahr 2024 stattgefunden hätte.

Im Februar 2023 wurde die 33-Jährige dann – wie auf Überwachungskameras zu sehen war – ganz normal gehend in einem Drogeriesupermarkt am Westbahnhof beim Stehlen eines Federpenals erwischt. „Das passt nicht zusammen, was ich gerade gesehen habe und die Begutachtung“, musste auch die eine Neurologin, die im Februar 2019 einen Hausbesuch bei der Frau gemacht hat, nach Ansicht der Überwachungsbilder zugeben.

„Hat in kein pathologisches Krankheitsbild gepasst“

Bei den Besuchen der Ärzte lag die 33-Jährige entweder in ihrem Bett oder saß in ihrem Rollstuhl. Auch dürfte die junge Frau versucht haben, eine psychische Erkrankung vorzutäuschen, indem sie sich verhaltensauffällig gab. Die Neurologin berichtete, dass die Patienten zunächst einen Schnuller in den Mund hatte und dann eine Zigarette rauchte, zudem ging sie verbal und tätlich aggressiv auf die Ärztin los, indem sie mit Stiften nach ihr schoss und unzusammenhängende Dinge sagte.

„Das hat in kein pathologisches Krankheitsbild gepasst“, sagte die Medizinerin. „Das war für mich als Neurologin komisch.“ Eine weitere Nervenärztin betonte, dass die 33-Jährige bei ihrem Besuch „klar im Geiste“ gewesen sei und eine „überschießende, überbetonte Reaktion“ zeigte, „wie wenn man auf der Bühne steht“. Ihr Verhalten habe nicht mit den Befunden zusammengepasst, sie ging von einer organischen Persönlichkeitsstörung aus.

„Gut eingespieltes Rollenverhalten“

Auch vor Gericht präsentierte sich die 33-Jährige so. Im Rollstuhl sitzend, gab sie auf die Fragen des Schöffengerichtsvorsitzenden Christoph Zonsics-Kral wirre Antworten. Sie meinte, sie sei im Spital und den Richter sprach sie ständig mit „Herr Doktor“ an. Wenn die Sprache auf das AKH kam, wo die 33-Jährige 2017 einmal wegen MS behandelt wurde, begann sie zu schreien, sodass sie mehrfach des Saales verwiesen wurde.

Auch als eine Zeugin betonte, dass sich die Frau vor dem Saal ganz normal mit ihrem Mann unterhalten würde, begann sie mit einer Schimpftirade. „Sie hat ein gut eingespieltes Rollenverhalten“, meinte da eine der Neurologinnen. Der Staatsanwalt sprach von einer „Scharade“. Der Gesundheitszustand sei nicht so schlecht gewesen, dass eine Pflegestufe sechs gerechtfertigt gewesen sei, sagte der Ankläger. Und auch wenn MS eine „Krankheit mit tausend Gesichtern“ sei, wie es eine Ärztin bezeichnete, könne man nach einer langen Bettlägrigkeit nicht plötzlich wieder gehen.