Der Wiener Stadttempel
APA/Florian Wieser
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Chronik

Stadttempel-Vorfall: Verdächtige ausgeforscht

Nach dem Herunterreißen einer israelischen Fahne vom Stadttempel in Wien hat die Polizei eine 17-jährige Verdächtige ausgeforscht. Für viel Kritik sorgt unterdessen, dass der Stadttempel bisher nicht rund um die Uhr bewacht war.

Die 17-Jährige ist laut einer Aussendung der Polizei geständig, was Sachbeschädigung angeht, sie bestreitet aber den Vorwurf der Verhetzung. Die beiden anderen beteiligten Personen will sie erst kurz vor dem Vorfall kennengelernt haben. Sie sollen sie zu der Aktion bewogen haben. Zudem betonte die junge Frau, stark alkoholisiert gewesen zu sein. Die 17-jährige Österreicherin wurde auf freiem Fuß angezeigt.

Der Vorfall ereignete sich laut Polizei in der Nacht auf Samstag, gegen 2.00 Uhr, und ist durch ein Video dokumentiert. Zu sehen ist, wie ein junger Mann die nun ausgeforschte 17-Jährige auf die Schulter nimmt, die dann die Fahne herunterreißt. Daneben steht eine junge Frau und imitiert ein Maschinengewehr.

Türsteher versuchte einzuschreiten

Der Türsteher einer Bar in der Seitenstettengasse versuchte noch einzuschreiten, wie er im Interview mit „Wien heute“ schilderte. Er sei gerade mit einem Kunden beschäftigt gewesen, als er mitbekommen habe, dass die Fahne heruntergerissen werde, sagt Michael: „Ich bin hingegangen und hab dann geschrien – he, was machst du da, sowas macht man nicht. Und dann ist er weitergelaufen, dieser Junge.“

Stadttempel erst seit Samstagabend dauerbewacht

Die Wiener Polizei teilte am Sonntagvormittag mit, dass der Objektschutz für den Stadttempel am Samstagabend „auf eine permanente Überwachung umgestellt“ worden sei. Von vielen Seiten kam am Sonntag Kritik auf, warum bisher nicht einmal die Hauptsynagoge Wiens rund um die Uhr bewacht wurde. Befeuert wurde die Diskussion durch einen Bericht des „Kurier“, laut dem die Wiener Polizei eine entsprechende Weisung der Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) zurückgewiesen habe.

Die Wiener Polizei relativierte diese Darstellung. Es habe nur den Auftrag für eine einmalige 24-Stunden-Sicherheitsmaßnahme gegeben. Diese habe man dann auf eine effektivere Maßnahme abgeändert: „Das Ziel des Schutzes von Menschen wurde damals der permanenten Bewachung leerstehender Gebäude übergeordnet“, hieß es. Das sei im Einvernehmen mit der DSN und dem Innenministerium passiert. „Die Wiener Polizei nimmt die derzeitige herausfordernde Sicherheitslage mehr als ernst“, betonte Polizeipräsident Gerhard Pürstl.

Auch grüner Koalitionspartner fordert Aufklärung

Offene Kritik bzw. Skepsis am Vorgehen der Polizei kam von mehreren Seiten. Der Schutz der jüdischen Gemeinschaft müsse mehr sein als eine Regierungsshow, kritisierte die SPÖ-Sprecherin für Gedenkkultur, Sabine Schatz, das bisherige Fehlen einer 24-Stunden-Bewachung. Die NEOS-Sprecherin für Innere Sicherheit, Stephanie Krisper, forderte eine rasche und lückenlose Aufklärung und Konsequenzen.

Allgemeiner fiel die Kritik der FPÖ an Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) aus, da dieser keinen Asylstopp veranlasse. Jeder Islamist, der unter dem Deckmantel Asyl nach Österreich komme, stelle eine potenzielle Gefahr dar, befand Sicherheitssprecher Hannes Amesbauer.

Doch selbst beim grünen Koalitionspartner ist man mit dem Schutz der jüdischen Einrichtungen offenbar nicht zufrieden. Der Abgeordnete David Stögmüller verwies auf die Unterstützung des Bundesheers für den 24-Stunden-Schutz jüdischer Einrichtungen. Er wolle Aufklärung, warum das nicht passiere.

Innenminister verteidigt Polizei

Innenminister Karner verteidigte am Sonntag das Vorgehen der Polizei, die bisher sichtbar nur zu den Öffnungszeiten der Synagoge präsent war. Der Polizei sei bewusst gewesen, dass die Gefahr für jüdische Einrichtungen derzeit besonders groß sei, so Karner in der ORF-„Pressestunde“. Daher habe man Präsenz und verdeckte Präsenz erhöht. Vorrangig sei aber zunächst der Schutz von Menschen unter anderem vor jüdischen Schulen, Geschäften und Sporteinrichtungen gewesen.

Karner betonte auch, dass er sich – wie auch die Wiener Polizei – mehrfach mit Oskar Deutsch, dem Präsidenten der Israelitischen Religionsgesellschaft und Kultusgemeinde, ausgetauscht habe, weil hier enge Abstimmung wichtig sei.

ORF-„Pressestunde“ mit Innenminister Karner

Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) stellt sich den Fragen von Doris Vettermann von der „Kronen Zeitung“ und des Innenressortchefs des ORF, Hans Bürger.

Verfassungsschutz ermittelt

Wie Deutsch betonte, habe die Kultusgemeinde die Fahne im Gedenken an mehr als 1.400 Ermordete und 200 Verschleppte gehisst. Das Herunterreißen der Fahne nannte er eine „antisemitische, terrorverherrlichende Tat“.

Die alarmierten Einsatzkräfte stellten die heruntergerissene Fahne später sicher, sie war vor dem Stadttempel liegen gelassen worden. Ein Zeuge wurde laut Polizei beim Versuch, die Frau anzuhalten, von einem anderen Mann im Gesicht verletzt.

Eine Sicherung der Videos von Kameras in der unmittelbaren Tatortnähe wurde veranlasst. Es ermittelt das Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung Wien, und zwar wegen des Verdachts der Verhetzung, Sachbeschädigung und Körperverletzung.

Nehammer verurteilt Vorfall „aufs Schärfste“

Einig war man sich in der Politik in der Verurteilung der Tat. Für Antisemitismus und Israel-Hass sei kein Platz in der Gesellschaft. Er gehe davon aus, dass die Täter rasch ausgeforscht werden, meinte Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP). Fast wortgleich äußerte sich Karner.

Für Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) ist es „vollkommen inakzeptabel“, dass es in der aktuellen Situation zu einer „derartigen antisemitischen Provokation“ vor dem Wiener Stadttempel kam. NEOS-Obfrau Beate Meinl-Reisinger hofft auf „entsprechende strafrechtliche Konsequenzen“.

Ludwig: „Stolz auf jüdische Gemeinde“

Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) verurteilte den Vorfall auf Twitter (X) ebenfalls „aufs Schärfste“. Antisemitismus habe keinen Platz in Wien: „Wir sind stolz auf unsere lebendige jüdische Gemeinde“, schrieb Ludwig. Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr (NEOS) nannte den Vorfall „einfach gestört“: „Ich erwarte hier eine harte Bestrafung für diesen offenen Antisemitismus.“

„Wir müssen geeint gegen Antisemitismus auftreten“, forderte der Wiener ÖVP-Chef Karl Mahrer. Nach der Ausforschung der Täter müsse an den Ursachen gearbeitet werden. Nach dem „jahrelangen Integrationsversagen“ von SPÖ und NEOS brauche es „ein neues Prinzip bei der Integration: hinschauen statt wegschauen“, so Mahrer.

„Ich kann nicht verstehen, dass die Synagoge in Wien nicht gut genug bewacht war“, betonte die Chefin der Wiener Grünen, Judith Pühringer, auf Twitter. „Alle Jüdinnen und Juden in Wien müssen sich sicher fühlen können.“

Antisemitische Vorfälle stark gestiegen

Unterdessen ist die Zahl der antisemitischen Vorfälle nach dem Hamas-Terrorangriff auf Israel in Österreich signifikant gestiegen. Eine Sonderauswertung der Antisemitismusmeldestelle der Israelitischen Kultusgemeinde Wien (IKG) zeigt hochgerechnet ein Plus von 300 Prozent.

Ausgewertet wurde dabei der Zeitraum von 7. bis 19. Oktober. Gezählt wurden ausschließlich jene Vorfälle, die in dieser kurzen Zeit verifiziert werden konnten. Insgesamt wurden 76 antisemitische Vorfälle gemeldet, etwa eine eingeschlagene Fensterscheibe eines koscheren Lebensmittelgeschäfts – mehr dazu in Viel mehr antisemitische Vorfälle seit Hamas-Angriff.