chronik

Freispruch für „falschen E-Scooter-Fahrer“

Ein Prozess um einen von einem E-Scooter-Fahrer schwer verletzten Wiener hat am Mittwoch am Landesgericht stattgefunden. Der vermeintlicher Täter wurde fälschlicherweise angeklagt. Der Mann arabischer Herkunft wurde rechtskräftig freigesprochen.

Der Betroffene hatte am späten Nachmittag des 25. Oktober 2022 gemeinsam mit einem Arbeitskollegen gerade ein Bürogebäude am Belgradplatz in Favoriten verlassen, als er am Gehsteig von dem Gefährt erfasst und niedergestoßen wurde. Statt wie geplant im Herbsturlaub landete der Familienvater auf der Intensivstation eines Spitals.

Schädelbruch und Hirnblutungen

Er hatte beim Aufprall am Beton einen Schädelbruch, Hirnblutungen und ein Schädel-Hirn-Trauma davongetragen, schilderte nun der 47-Jährige im Grauen Haus. An den Folgen leidet er noch heute, 13 Monate später, während er an den Unfall selbst keine Erinnerung hat. Er hatte den laut Augenzeugen-Berichten mit weit überhöhter Geschwindigkeit dahinrasenden E-Scooter nicht kommen gesehen, die Kollision traf den 47-Jährigen daher wie aus dem Nichts.

Mit seinen gegen den Unfallverursacher gerichteten Schmerzengeld- und Schadenersatz-Ansprüchen dürfte der 47-Jährige vorerst nicht weiterkommen. Denn wie sich in der Verhandlung herausstellte, handelte es sich bei dem Angeklagten, dem die Staatsanwaltschaft grob fahrlässige Körperverletzung anlastete, nicht um den Täter. Die Staatsanwältin zog nach dem Beweisverfahren den Strafantrag zurück, der vermeintlich Schuldige – ein 42 Jahre alter Mann arabischer Herkunft – wurde rechtskräftig freigesprochen.

Noch nie E-Scooter gelenkt

Der 42-Jährige hatte sich bis in die Morgenstunden des 25. Oktober 2022 in einer Bar am Belgradplatz – also unweit vom Unfallort – befunden. Er habe „bis 6.00 Uhr durchgemacht“, berichtete er dem Gericht. Wo er sich zum Unfallzeitpunkt – 15.40 Uhr – befunden habe, wisse er dagegen nicht mehr. Er habe jedenfalls noch nie einen E-Scooter gelenkt: „Ich fahre nicht ein Mal Fahrrad.“

Auf die Spur des Mannes war man bei den Ermittlungen gekommen, weil der Begleiter des Unfallopfers den E-Scooter-Lenker angehalten und an der Fahrerflucht gehindert hatte. Der Fahrer nannte eine Telefonnummer und zeigte eine Bankomatkarte her, auf der sich der Name des Angeklagten befand, der jüngere Arbeitskollege des Unfallopfers fotografierte diese mit seinem Handy. Dann drängte der E-Scooter-Lenker, der den Angaben des Arbeitskollegen zufolge alkoholisiert wirkte, auf die Weiterfahrt, indem er vorgab, er müsse sein Kind vom Kindergarten abholen. Er konnte damit entkommen.

Falsche Telefonnummer genannt

Denn wie sich in weiterer Folge zeigte, hatte er dem Zeugen eine falsche Telefonnummer genannt. Und auch die vermeintlich heiße Spur – die Bankomatkarte – stellte sich nicht als der vermutete sichere Treffer bei der Täter-Suche heraus: Dem Angeklagten war die Karte vermutlich in der Bar entwendet worden, nachdem er – nach durchzechter Nacht wahrscheinlich entsprechend alkoholisiert – bezahlt hatte. Der 42-Jährige hatte diese noch am 22. Oktober 2022 als gestohlen gemeldet und sich eine neue ausstellen lassen.

Letztlich überzeugte Einzelrichter Markus Müller aber das Foto, das der Arbeitskollege des Unfallopfers angefertigt hatte, davon, dass der Angeklagte nicht der Täter sein konnte. Am Foto war nämlich neben der Bankomatkarte die linke Hand des Mannes, der die Karte dem Zeugen vorgewiesen hatte, mitabgebildet. Darauf war deutlich sichtbar eine markante Verletzung an einem Finger zu sehen, die – wovon sich der Richter überzeugte – der Angeklagte nicht aufweist. Dafür hat dieser ein markantes Tattoo am Daumen derselben Hand, was auf der Fotografie komplett fehlte.

Angeklagter konnte nicht identifiziert werden

Als der Arbeitskollege des 47-Jährigen, der ursprünglich den Angeklagten anhand einer ihm von der Polizei vorgelegten Bildermappe mit zehn Männern arabischer Abstammung als Täter bezeichnet hatte, diesen im Verhandlungssaal nicht identifizieren konnte („Vom Gesicht her bin ich mir nicht sicher“) und überdies angab, er habe sich mit dem E-Scooter-Fahrer ohne Schwierigkeiten auf Deutsch verständigen können, war der Freispruch Formsache. Der Angeklagte spricht kein Wort Deutsch, ohne Dolmetsch wäre er nicht einmal zur Angabe seines Geburtsdatums und seiner Adresse in der Lage gewesen.