Elodie Grethen, Oh my darling, 2023. House of inciting Passion
Wolfgang Thaler
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Kultur

Vienna Art Week im Haus der Leidenschaft

Ein leerstehendes Gebäude ist eine Woche lang einer der Schauplätze der Vienna Art Week. Wo früher Werkstätten und Wohnungen untergebracht waren, befindet sich in der Rosinagasse 19 nahe dem Westbahnhof nun die Schau "House of Inciting Passion“.

„Wir wollten durchaus einen Kontrapunkt zu den vergangenen Jahren setzen“, sagte Robert Punkenhofer, künstlerischer Leiter der Art Week, am Freitag bei der Programmpräsentation. Deshalb habe man ein grundsätzlich positives Thema rund um Liebe und Leidenschaft ausgewählt, um es in einem „Spannungsbogen von jungen Künstlerinnen und Künstlern bis hin zu etablierten Positionen“ divers aufzufächern und so „ein Panorama der Gegenwartskunst“ in der Stadt zu bieten. „Ziehen Sie sich warm an“, riet Punkenhofer – und das ist durchaus wörtlich zu verstehen, denn Heizung gibt es im „Haus der Leidenschaft“ in Rudolfsheim-Fünfhaus keine (mehr).

Stickereien mit queeren Sexszenen

Ganz dem Motto „Incitinig Passion“ (Leidenschaft entfachen) verpflichtet, geht es im Erdgeschoß der sich über rund 1.000 Quadratmeter großen und auf drei Etagen verteilten Schau gleich ordentlich zur Sache. Dort hängen die „Queer Phantasies“ von Lars* Kollros als Eyecatcher. Auf großen Baumwollvorhängen finden sich explizite Stickereien mit queeren Sexszenen.

Fotostrecke mit 6 Bildern

House of inciting Passion: Ramiro Wong, Celebrations: Rehearsals For A Theater Of Hospitality, 2023.
Wolfgang Thaler
House of inciting PassionRudi Molacek, Die Gärten des Rudi, 2023
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House of inciting Passion
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House of inciting Passion
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House of inciting Passion
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Im ersten Stock war bis vor kurzem Österreichs erste Alpaka-Weberei, gegründet 1920, untergebracht. Sie wird nun ebenfalls als Ausstellungsdisplay genutzt. Dorthin gelangt man über den kleinen Innenhof und das Stiegenhaus. Die Räume der Firma Lemmermayer verströmen insofern eine besondere Aura, als hier vieles noch nicht entrümpelt wurde. So muss man sich seinen Weg bahnen zwischen Sperrholz, Stellagen, Büro- und Sitzmöbel oder Kaffeegeschirr. Zuweilen ist auf den ersten Blick nicht gleich ersichtlich, was hier Kunst und was Hinterlassenschaft ist.

An den Wänden hängen noch alte Kalender, Fotos und – auch nicht unpassend zum Festivalmotto – Pin-ups. Da fügt sich Ashley Hans Scheirls Filmarbeit aus den 90ern mit dem Titel „1/2 Frösche Ficken Flink“ ganz gut ein. Der Warnhinweis „Explicit Content“ ist hier mehr als berechtigt.

Herztöne von Straßenarbeiterinnen

Jugendfrei ist hingegen David Merans Beziehungsskulptur „Ich schau, ich will nichts, als Deine Hände halten“, eine Referenz an Michelangelos göttliche und menschliche Hand, die sich nicht berühren. Auf Baudelaires „Blumen des Bösen“ wiederum verweist Assunta Abdel Azim Mohameds auf eine lange Papierrolle aufgebrachte Kugelschreiberzeichnung „Boshafte Blüten“, in der sich auf den ersten Blick schön anzuschauende rankende Pflanzen als gedärmartige Gebilde entpuppen.

Wozu Leidenschaft im politischen Kontext führen kann, verarbeitet Nayeun Park in seinen Vasenarbeiten „A Vase of Fighters“, „A Vase of Resistance“ und „A Vase of Freedom“. Im Stile der alten griechischen Keramikkunst, die oft mit Alltags- und Kriegsdarstellungen geschmückt war, Frauen aber stets als Besitz des Mannes zeigte, stellt Park im Gegensatz u.a. die gegenwärtigen Frauenprotestbewegungen im Iran dar.

Noch einmal ein Stockwerk höher, wurden ehemalige, teils ziemlich versiffte Wohnungen zu Ausstellungsräumen umfunktioniert. Auf Top 12 kann man etwa der sehr sphärischen Musikarbeit von Fatrin Krajka lauschen. Schräg gegenüber lädt Rudi Molacek in „Die Gärten des Rudi“, eine mit Blumenmotiven aller Art geschmückte frühere Bleibe. Intimer geht es auf Nummer 13 zu. Für ihre audiovisuelle Arbeit „Beat Body“ hat Anna Witt Straßenarbeiterinnen in Berlin gebeten, ihre Herztöne aufzunehmen. Zum wummernden Rhythmus haben Pole-Tänzerinnen eines Nachtclubs eine eigene Choreographie – zu sehen über drei Bildschirme – ausgearbeitet.

Mehr als 100 Gratis-Veranstaltungen

Wie zerstörerisch Leidenschaft auch sein kann, erfährt man im Beitrag von Li Xinho. Die chinesische Künstlerin arbeitet für ein fortlaufendes Kunstprojekt mit Opfern sexueller Übergriffe zusammen. Im Rahmen der Art-Week-Hauptschau stellt sie Lu Ping vor, die seit frühester Kindheit sexuellen Missbrauch durch ihren Vater ertragen musste.

Abseits des zentralen Schau bietet die vom Trägerverein Art Cluster Vienna mit 22 Mitgliedern veranstaltete Art Week seit jeher ein dicht gedrängtes Programm. Mit rund 70 Partnern sind mehr als 100 Veranstaltungen kostenfrei zugänglich. Aus fast 200 Positionen wurden rund 50 Künstler und Künstlerinnen ausgewählt, die am Samstag und Sonntag ihre Ateliers öffnen. Zu den Ateliers führen sechs Rundgänge, die Open Studio Day District Tours.

Darüber hinaus werden vier Gallery Tours am heutigen Freitag und Samstag angeboten, die zu insgesamt 13 ausgewählten Galerien führen. Betont wurde außerdem das erstmals breit angebotene Inklusionsprogramm. Die Vienna Art Week mit ihren in den vergangenen Jahren jeweils rund 35.000 Besucherinnen und Besuchern läuft bis 17. November.