Hauptbahnhof
ÖBB/Wexplore
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chronik

Mutmaßlicher IS-Anhänger „hochgefährlich“

Am 11. September soll ein 17-Jähriger einen Terroranschlag auf dem Wiener Hauptbahnhof im letzten Moment abgebrochen haben. Jetzt liegt ein Islamismusscreening über den mutmaßlichen IS-Anhänger vor. Diesem zufolge gilt er als potenzieller Selbstmordattentäter.

Der 17-Jährige ist Anhänger der radikalislamistischen Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Er habe am 11. September auf dem Hauptbahnhof mit einem Kampfmesser einen Terroranschlag verüben wollen, gab er selbst an. Nach seiner Festnahme wurde er im Rahmen jugendgerichtlicher Erhebungen dem DyRiAS-Verfahren (Dynamische Risiko Analyse Systeme) unterzogen.

Damit lassen sich Radikalisierungsprozesse einschätzen. Es werden 13 relevante Verhaltensbereiche abgefragt, aus denen sich schließen lässt, ob bei einer Person eine gewaltorientierte Radikalisierung im islamistischen Bereich vorliegt oder nicht. Beim zum Zeitpunkt seiner Festnahme 16-Jährigen – er ist erst seit 9. November 17 – fiel das Ergebnis eindeutig aus.

Alle 13 Kriterien erfüllt

In sämtlichen 13 Bereichen bestätigte sich eine verfestigte Radikalisierung. Zudem waren vier Rote-Flaggen-Faktoren feststellbar: Der Jugendliche wollte in einer Gemeinschaft von IS-Anhängern leben und von diesen anerkannt werden. Er wollte daher in ein Kampfgebiet des IS ausreisen. Er hatte Zugang zu Waffen und einem extremistischen Umfeld. So verkehrte er etwa wöchentlich in einer Moschee in Meidling, in der Radikalislamisten, darunter auch der Attentäter vom 2. November 2020, ihre Gebete verrichtet und Predigten gehört hatten.

Zudem war er über Telegram, TikTok und Instagram mit Gleichgesinnten vernetzt und an Gruppenchats mit radikalen Inhalten beteiligt. So hatte er in einem Telegram-Chat mit 19 Islamisten nach einem vorangegangenen Streit mit seinem Vater den Anschlag auf dem Hauptbahnhof angekündigt, wobei er – wie er später selbst erklärte – ums Leben kommen und Eingang ins Paradies finden wollte.

„Hochrisikofaktoren“ für Gewalttaten belegt

Auf Basis des erwiesenen fortgeschrittenen Radikalisierungsprozesses und den Red Flags sind dem DyRiAS-Verfahren zufolge beim 17-Jährigen tatsächlich „Hochrisikofaktoren“ für potenzielle Gewalttaten belegt – auch unter Inkaufnahme des eigenen Todes. Dazu wird in den näheren Ausführungen der Jugendgerichtshilfe darauf verwiesen, der Jugendliche habe erzählt, unter „wiederkehrenden Suizidgedanken“ zu leiden, „wobei er eine Suizidabsicht auch bereits einmal gegenüber einem Freund aus der Moschee geäußert habe“.

Erst Tipp aus dem Ausland weckte Staatsschutz

Diese Erkenntnisse decken sich mit den Einschätzungen des Verfassungsschutzes. Das Wiener Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT) stuft den 17-Jährigen als „massiv radikalisiert“ ein. Dabei hatten die Staatsschützer den Jugendlichen bis zu seiner Festnahme gar nicht am Radar, weil die aktuelle Gesetzeslage den heimischen Behörden die Überwachung von Messengerdiensten unmöglich macht. Genau davor hatte aber der Leiter der Direktion Staatsschutz Nachrichtendienst (DSN), Omar Haijawi-Pirchner, in der Vergangenheit mehrfach gewarnt.

Erst als die DSN von einem ausländischen Partnerdienst Hinweise auf den 17-Jährigen sowie dessen auf Social Media gepostetes Bild in Kampfmontur erhielt, das dieser vor seinem Aufbruch Richtung Hauptbahnhof gepostet hatte, und mit eigenem Material abglich, wurde klar, dass der Bursch schon davor „im Rahmen von Observationsmaßnahmen in der radikalislamistischen Szene in Erscheinung trat“, wie von einem Staatsschutzbeamten in einem Bericht festgehalten wurde.

Mindestens zehn „Hochgefährder“ in Österreich

Die Sicherheitsbehörden gehen davon aus, dass sich mindestens zehn, nach den jüngsten Entwicklungen im Nahen Osten möglicherweise inzwischen mehr radikalislamistische „Hochgefährder“ in Österreich befinden, die jederzeit einen Anschlag verüben könnten. Neben dem 17-Jährigen vom Hauptbahnhof galt zuletzt vor allem ein gleichaltriger IS-Anhänger als ausnehmend gefährlich. Er war erst im vergangenen Jänner vom Wiener Landesgericht wegen terroristischer Vereinigung zu 21 Monaten teilbedingter Haft verurteilt worden.

Er hatte an seiner Schule IS-Propagandamaterial hergezeigt, das IS-Symbol auf einen Brückenpfeiler gesprayt und mit einer Machete mit dem IS-Emblem patrouilliert. Nur drei Monate nach seiner Enthaftung soll dieser 17-Jährige wieder IS-Propaganda betrieben und gemeinsam mit einem Mittäter einem auf einer Parkbank sitzenden Mann mit einem Luftdruckgewehr in den Oberschenkel geschossen haben. Ende November muss er sich mit seinem mutmaßlichen Komplizen neuerlich wegen terroristischer Vereinigung und versuchter schwerer Körperverletzung vor Gericht verantworten. Seit Mai sind die beiden wieder in Haft bzw. Gewahrsam.