Stiegen führen zum Eingang des Wiener Landesgerichts, auf einer Tafel steht „Landesgericht für Strafsachen Wien“
APA/Georg Hochmuth
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chronik

Neuer Prozess – auf Jänner vertagt

Ein zu elf Jahren Haft verurteilter Mann stand heute erneut vor Gericht. Denn das Urteil wurde möglicherweise zu Unrecht gefällt. Der Prozess wurde nach der heutigen Verhandlung auf Jänner vertagt

Ein 48-Jähriger ist im Februar 2022 in Wien womöglich zu Unrecht wegen Beteiligung an einem Mordanschlag zu einer elfjährigen Haftstrafe verurteilt worden. Eine Wiederaufnahme des Verfahrens wurde auf Basis neuer Beweismittel genehmigt, der Mann im Mai 2022 enthaftet. Am Montag ist am Wiener Landesgericht erneut gegen den 48-Jährigen verhandelt worden. Seine beiden Verteidiger, Michael Dohr und Marcus Januschke, zeigten sich von einem Freispruch überzeugt.

Die Staatsanwältin sah das anders. „Die Beweislage ist nach wie vor erdrückend“, sagte sie zu Beginn der Verhandlung. Der Angeklagte habe „die Tatausführung gefördert“ und zwar im Wissen, „dass das Opfer sterben soll“. Der 48-Jährige bekannte sich im Anschluss zu diesem Vorwurf „nicht schuldig“ und machte in weiterer Folge von seinem Schweigerecht Gebrauch. Er war zu keinen weiteren Angaben bereit.

Mordanschlag in der Hippgasse

Ausgangspunkt der ganzen Sache ist ein Mordanschlag auf einen Mann, der am frühen Morgen des 20. November 2018 in der Hippgasse in Ottakring mit einem länglichen, rohrförmigen Werkzeug niedergeschlagen und lebensgefährlich verletzt wurde. Er erlitt unter anderem ein Schädel-Hirn-Trauma und einen Schädelbruch. Der 48-Jährige geriet in weiterer Folge in Verdacht, dem unmittelbaren Täter – dieser verbüßt wegen versuchten Mordes eine lebenslange Freiheitsstrafe – ein Honorar von 10.000 Euro bezahlt zu haben.

Nun gibt es aber gravierende Indizien, denen zufolge der 48-jährige Mann womöglich vom Drahtzieher des Mordkomplotts bewusst falsch belastet wurde. Zwei Zeugen, die mit dem wegen Anstiftung zum versuchten Mord zu lebenslanger Haft verurteilten Drahtzieher Kontakt im Gefängnis hatten, behaupten, dieser hätte ihnen gestanden, er habe den 48-Jahren aus Rache in die Sache mithineingezogen. Ob das tatsächlich so war, muss jetzt ein Schwurgericht unter Vorsitz von Richter Andreas Böhm prüfen. Die Staatsanwältin bezeichnete die zwei neuen Zeugen als „mehr als fragwürdig“. Es handle sich um „Häftlinge“.

Schwiegervater bestellt Anschlag

Wie die Ermittlungen nach dem Anschlag vom November 2018 ergaben, hatte der ehemalige Schwiegervater des niedergeschlagenen und lebensgefährlich verletzten Mannes den Anschlag bestellt – aus gekränkter Ehre, weil dieser ein außereheliches Verhältnis mit seiner Schwägerin eingegangen war und mit ihr auch noch ein Kind gezeugt hatte. Das passte dem türkischstämmigen Immobilienunternehmer, der die Ehe seiner Tochter arrangiert hatte, überhaupt nicht, er wollte den Ex-Schwiegersohn daher beseitigen lassen.

Zu diesem Zweck suchte er nach einem Killer, den er nach längerer Suche gegen ein entsprechendes Entgelt auch fand. Nachdem der Mordanschlag gescheitert war, konnten die dafür Verantwortlichen nach langwierigen Ermittlungen ausgeforscht und festgenommen werden. Der Ex-Schwiegervater des Opfers wurde im Oktober 2019 vom Wiener Landesgericht wegen Anstiftung zum Mord, der unmittelbare Täter im vergangenen Februar wegen versuchten Mordes verurteilt.

Verurteilt als Beteiligungstäter

Mitangeklagt und verurteilt wurde im Vorjahr auch der 48-Jährige, wobei dafür ausschließlich die belastendenden Angaben des Drahtziehers ausschlaggebend waren. Dieser hatte behauptet, der 48-Jährige habe den Tatplan gekannt, die Geldforderung des gedungenen Killers in Höhe von 10.000 Euro entgegengenommen, die Ausstellung einer entsprechenden Rechnung in Aussicht gestellt und diese auch bezahlt. Der Mann wurde als Beteiligungstäter schuldig erkannt und sollte dafür elf Jahre im Gefängnis verbüßen.

Dann stellte sich allerdings heraus, dass der Drahtzieher des Mordkomplotts den 48-Jährigen womöglich fälschlicherweise angeschwärzt hatte. Ein Mithäftling des 58-jährigen ehemaligen Immobilienunternehmers wandte sich nämlich am 1. September 2022 in einem handschriftlichen Brief an Anwalt Marcus Januschke, einen der beiden Verteidiger des 48-Jährigen. Darin führte der Absender aus, der Drahtzieher habe ihm in der Justizanstalt Josefstadt und später während einer Busfahrt zur Justizanstalt Stein erzählt, er habe falsch gegen den 48-Jährigen ausgesagt und diesen in die Mordsache „hineingezogen“, um sich zu rächen.

Motiv Rache

Das Motiv: Der 48-Jährige soll in der Türkei im Besitz des 58-Jährigen befindliche Grundstücke verkauft haben und diesen dabei betrogen haben. „Er ist besessen von dem Rachegedanken. Mit seinen Lügen hat er das Hohe Gericht dazu gebracht, einen unschuldigen Menschen zu verurteilen“, hielt der Häftling in dem Brief fest. Der Schreiber nannte darin auch einen weiteren Häftling, der ebenfalls gehört habe, dass der 58-Jährige zu Unrecht jemanden belaste.

Diese beiden Männer bekräftigten nun in der zweiten Verhandlung gegen den 48-Jährigen unter Wahrheitspflicht vor den neuen Geschworenen ihre bisherigen Angaben. Der 58-Jährige habe sich rächen wollen, weil er davon ausgegangen sei, dass ihm der 48-Jährige Besitz und Vermögen weggenommen habe.

Drahtzieher belastet den Angeklagten

Nach einer Mittagspause wurde der Drahtzieher als Zeuge vernommen. Der 58-Jährige blieb bei seinen bisherigen Angaben und belastete den 48-Jährigen weiterhin: „Die ganzen Überweisungen hat der Angeklagte gemacht. Ich verstehe von den Online-Sachen nichts.“ Er sei nicht in der Lage, Online-Banking zu betreiben, präzisierte der Zeuge, daher habe der 48-Jährige die Überweisungen übernommen.

Darauf konfrontierte ihn Verteidiger Michael Dohr mit dem widersprechenden ursprünglichen Angaben. In einer früheren Aussage hatte der 58-Jährige die Überweisung von Geld an den als unmittelbaren Täter verurteilten Mann zugestanden. Darauf wurde es emotional, der 58-Jährige wies diese Vorhalte zurück und ging in scharfen Worten gegen den Angeklagten vor: „Der Plan von ihm ist, mir mein Vermögen wegzunehmen.“

Doch ein anderer Täter?

Daran anschließend trat der Mann in den Zeugenstand, der im Zusammenhang mit dem Mordkomplott als unmittelbarer Täter in einer Justizanstalt eine lebenslange Freiheitsstrafe verbüßt. Der Mann überraschte mit der deutlichen Aussage, der Angeklagte habe „mit der Sache nichts zu tun“. Er habe das in seiner eigenen Verhandlung schon anbringen wollen, „aber ich wurde unterbrochen“. Auch er selber sei „unschuldig“ und strebe nun ebenfalls eine Wiederaufnahme seines Verfahrens an: „Ich ersuche daher um eine Protokollabschrift der heutigen Verhandlung.“

Er kenne den wahren Täter, sagte der Mann, wobei er Unterlagen in die Höhe hielt. Es handle sich um einen inzwischen aus einer Haftstrafe entlassenen Bosnier. Nach dieser Entwicklung wurde einen Beweisantrag der Staatsanwaltschaft auf Ladung eines weiteren Zeugen stattgegeben. Die Verhandlung wurde daher auf den 9. Jänner vertagt.