ABD0077_20231213 – WIEN – …STERREICH: ++ HANDOUT ++ Szene aus einer Probe von „Lass uns die Welt vergessen. Volksoper 1938“, aufgenommen am Montag, 11. Dezember 2023, in Wien. Die UrauffŸhrung findet am Donnerstag, 14. Dezember 2023, statt. – FOTO: APA/VOLKSOPER WIEN/BARBARA PALFFY – ++ WIR WEISEN AUSDR†CKLICH DARAUF HIN, DASS EINE VERWENDUNG DES BILDES AUS MEDIEN- UND/ODER URHEBERRECHTLICHEN GR†NDEN AUSSCHLIESSLICH IM ZUSAMMENHANG MIT DEM ANGEF†HRTEN ZWECK UND REDAKTIONELL ERFOLGEN DARF – VOLLST€NDIGE COPYRIGHTNENNUNG VERPFLICHTEND ++
VOLKSOPER WIEN/BARBARA PALFFY
VOLKSOPER WIEN/BARBARA PALFFY
KULTUR

Volksoper stellt sich NS-Vergangenheit mit Operette

Die Volksoper Wien hat sich für eine ungewöhnliche Form der Geschichtsaufarbeitung entschieden. Mit der gestrigen Uraufführung der Operette „Lass uns die Welt vergessen – Volksoper 1938“ erinnert das Haus am Wiener Gürtel an jene Künstlerinnen und Künstler des Hauses, die im Zuge der NS-Verfolgung wegen ihrer jüdischen Herkunft vertrieben oder ermordet wurden.

Der niederländische Regisseur Theu Boermans baute ein Stück im Stück rund um die letzte Operettenproduktion, die 1938 kurz vor dem „Anschluss“ Österreichs an Nazi-Deutschland an der Volksoper neu produziert worden war. Dieses Werk trug den Titel „Gruß und Kuss aus der Wachau“ und stammte aus der Feder des Komponisten Jara Benes.

Eine Probensituation als Einstieg in die Geschichte

Boermans lässt das Publikum an den damaligen Proben zu dieser leichten Heirats- und Liebesgeschichte und an den verschiedenen Reaktionen, die der Nationalsozialismus unter den Künstlern der Volksoper auslöste, teilhaben – von Begeisterung und Mitläufertum bis hin zur Solidarität mit den jüdischen Kollegen, die fliehen mussten oder deportiert wurden. Ein Hauch der Konstruktion von Ernst Lubitschs Film „Sein oder Nichtsein“ schimmert durch diese Konstruktion.

Uraufführung „Lass uns die Welt vergessen“

Die Volksoper feiert ihr 125-jähriges Bestehen mit der Uraufführung des Stücks „Lass uns die Welt vergessen“. Dabei beschäftigt sich das Opernhaus mit dem dunkelsten Kapitel der eigenen Geschichte, nämlich der Vertreibung und Ermordung von jüdischen Ensemblemitgliedern im Jahr 1938. Die Premiere findet am Donnerstagabend statt.

Lob für die dramaturgische Umsetzung der Forschung

„Eindrucksvoll wird die Geschichte des Unterhaltungstanzes des Ensembles der Volksoper 1938 auf dem Vulkan der sich abzeichnenden nationalsozialistischen Machtübernahme präsentiert“, hält der Zeithistoriker Oliver Rathkolb in einer Reaktion für ORF.at fest: „Die zunehmende Ausgrenzung und rassistische Verfolgung der Ensemblemitglieder jüdischer Herkunft wird auf der Basis der umfassenden Forschungen von Marie-Theres Arnbom perfekt dramaturgisch immer wieder thematisiert und bis in die tragischen Einzelschicksale nach 1938 hinein erzählt.“

Misslungen, so Rathkolb, sei leider im ersten Teil die Darstellung des Schuschnigg-Regimes und der Figur des Kanzlerdiktators selbst, wobei die 40 Prozent ehemals sozialdemokratischer Wähler überhaupt nicht vorkämen. „Auch der Einsatz von aufgeblasenen Propagandavideos des autoritären Regimes und Adolf Hitlers hinterlassen den Eindruck des armen Opfers. Tatsächlich war Schuschnigg total überfordert, verstand sich als vehement katholischer Kulturdeutscher und hatte es bis wenige Tage vor dem sogenannten Anschluss verabsäumt, eine breite antinazistische Allianz zu formieren“, erinnert Rathkolb.

Erst in der geplanten Volksbefragung hätte er sich der Kräfte versichern wollen, die auch bereit gewesen wären, gegen den „Anschluss“ zu kämpfen, so Rathkolb: „Doch Schuschnigg wollte ‚kein deutsches Blut‘ vergießen und knickte ein.“

Szene aus „Lasst uns die Welt vergessen“
Barbara Palffy / Volksoper

Ein Spiel mit musikalischen Kontrasten

Die israelische Keren Kagarlitsky setzte als Komponistin und Dirigentin musikalische Kontraste, indem sie für die Neuproduktion „Lass uns die Welt vergessen“ die teils jazzigen Melodien von Jara Benes mit eigener Musik und mit Werken von Schönberg und Mahler kombinierte.

Das Publikum ließ sich von Kagarlitskys Leistung und von Boermans’ Erzählung sichtlich berühren. Viel Applaus gab es für das heutige Ensemble, welches das künstlerische Volksopern-Team des Jahres 1938 noch einmal zum Leben erweckte. Darunter war damals etwa auch Fritz Löhner-Beda, der nicht nur als Librettist der Lehar-Operette „Land des Lächelns“ bekannt ist, sondern auch als Texter des „Buchenwaldliedes“, das er im gleichnamigen Konzentrationslager schrieb. Er wurde 1942 im KZ Auschwitz ermordet.