Ernst Geiger auf einem Archivbild aus 2021
APA/Harald Schneider
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Chronik

Chefermittler schrieb Krimi über Unterweger-Fall

Der frühere Leiter der Wiener Mordkommission, Ernst Geiger, hat ein neues Buch zum wahrscheinlich spektakulärsten österreichischen Kriminalfall geschrieben – dem Fall Jack Unterweger. Am Sonntag erscheint sein auf Fakten basierender Krimi „Mordsmann“.

Es sei ein „True-Crime-Thriller, der die Seelen eines Killers und seines Jägers ausleuchtet“, heißt es in der Buchbeschreibung. Der Krimi erscheint fast genau 30 Jahre nach dem Tod Unterwegers: Am 29. Juni 1994 war Jack Unterweger wegen neunfachen Mordes an Prostituierten zu lebenslanger Haft verurteilt worden und hatte wenige Stunden später Suizid verübt.

Von dem einzigartigen Fall war Geiger als damaliger Leiter der Mordkommission in Wien „fast schon besessen“, wie er im APA-Gespräch sagt. Das habe durchaus dramatische Auswirkungen auf sein Privatleben gehabt. Nun verarbeitete der pensionierte Topermittler die Causa zum Roman.

Buchinweise

Ernst Geiger: „Mordsmann“, Verlag Edition a, Taschenbuch, 464 Seiten, 21 Euro

Malte Herwig: „Austria Psycho“, Molden Verlag, Hardcover, 128 Seiten, 22 Euro

Kein beiläufiges Morden

„Mordsmann“ sei „kein Sachbuch, aber auf Fakten basierend.“ Er habe nichts dazuerfunden, betont Geiger, lediglich in manchen Fällen einige Personen zu einer einzigen fiktiven Figur zusammengefasst. So tritt im Roman eine Psychologin auf, die der Fantasie des Autors entstammt: „Aber ihre psychologischen Expertisen sind aus verschiedenen Gutachten zusammengefasst und komprimiert“, erläutert Geiger.

Schonungslos der Wahrheit entsprechend, gibt er die Mordfälle wieder: Denn bisher seien „die Opfer immer zu kurz gekommen“. Außerdem wollte Geiger der Darstellung entgegentreten, der „Häfenliterat“ Unterweger habe beiläufig gemordet: „Er hat die Frauen oft stundenlang in seiner Gewalt gehabt, sie gequält, misshandelt und getötet.“

Jack Unterwege zu Prozessbeginn am 20.04.1994 in Graz
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Jack Unterweger vor Begin des Prozesses 1994 in Graz

„Die ganze österreichische Kulturszene war auf seiner Seite“

Unterweger war „ein Manipulator“, hält Geiger fest, „er hat schnell erkannt, wen er manipulieren kann und wen nicht. Bei mir ist ihm das nicht gelungen, daher war er mir gegenüber auf Konfrontationskurs. Er nannte mich in seinem letzten Buch, das er im Gefängnis schrieb, Geifer statt Geiger.“

Bis zum Schluss fürchtete der Ermittler, dass Unterweger davonkommt: „Er konnte lügen und hat alle an der Nase herumgeführt. Und er hatte eine große Fürsprecherschar, die ganze österreichische Kulturszene war auf seiner Seite und ein großer Teil der Medien und der Intellektuellen. Außerdem hatte er gute Anwälte.“

Sendungshinweis

Ein Interview mit Ernst Geiger und unter anderem Jack Unterwegers letzter Geliebten, der bekannten Strafverteidigerin Astrid Wagner, sehen Sie am Montag in der Sendung „Thema“, ab 21.10 Uhr in ORF 2

Auch Zweifel der Polizei Thema

„Mordsmann“ zeichnet ein vielseitiges Bild, beschäftigt sich mit der Persönlichkeit des Täters, mit den Folgen seines Vorgehens für seine Opfer, deren Familien und seine Geliebten, aber auch mit den Zweifeln der Polizei: „Man dachte, das kann nicht passen“, erzählt Geiger.

„Der Unterweger lebt in einer schönen Wohnung, wie im Paradies, er hat jetzt alles. Er ist nach 15 Jahren vorzeitig aus der Haft, die Kulturszene liegt ihm zu Füßen, die Medien beachten ihn, er spielt Theater, er macht Lesungen und hat jede Menge von Frauen, eine Unternehmergattin kommt sogar für seinen Unterhalt auf, zahlt ihm die Wohnung und kauft ihm einen Mustang. Warum sollte das ein Mörder sein? Das schien absurd“, erinnert sich der damalige Chefermittler.

Die Beamten hatte lange nur Indizien, auch das wird in dem Roman behandelt. „Die Kriminaltechnik war damals in Österreich noch auf einem Niveau, auf dem wir den Fall nicht lösen hätten können“, gesteht Geiger. In der Schweiz und in den USA erhielt man in Sachen DNA-Analysen und Forensik Hilfe. In „Mordsmann“ erfährt man, wann und wie die Kriminalisten schließlich die Ermittlungen auf Unterweger fokussieren konnten.

Ernst Geiger auf einem Archivbild aus 2021
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Unterweger war „ein Manipulator“, sagt Geiger

Bereits Geigers dritter Roman

Es war Geigers größer Fall. Dieser habe ihn immer wieder beschäftigt, auch nach dem Urteil und dem Suizid Unterwegers in der Zelle kurz danach. Das Schreiben des Romans sei „eine Herausforderung“ gewesen, so Geiger, der allerdings im selben Atemzug hinzufügt: „Ich habe doch den besten Gesamtüberblick gehabt. Mir war es wichtig, als Zeitzeuge ein Gesamtdarstellung abzuliefern.“ Damit soll sich seine Arbeit etwa vom Film „Jack“ (2015) von Elisabeth Scharang unterscheiden, den Geiger als „romantische Verklärung“ bezeichnet.

„Mordsmann“ ist Geigers dritter Roman nach „Heimweg“ und „Goldraub“ sowie dem Sachbuch „Berggasse 41“ über die Wiener Polizei in der Nazizeit – und vielleicht sein letzter: „Meine Frau sagt, ich soll endlich damit aufhören“, schmunzelt er. „Jetzt habe ich einmal genug. Die sechs Jahre seit meiner Pensionierung waren eigentlich sehr arbeitsintensiv.“

Entlassung auf Bewährung im Mai 1990

Jack Unterweger war 1976 zunächst wegen Mordes an einer jungen Frau zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Im Mai 1990 wurde er auf Bewährung aus der Strafanstalt Stein entlassen – als Beispiel einer geglückten Resozialisierung.

Der „Häfenliterat“ konnte auf zahlreiche prominente Unterstützer bauen. Acht Jahre vor seiner Freilassung war Unterwegers angeblich autobiografischer Roman „Fegefeuer oder die Reise ins Zuchthaus – Report eines Schuldigen“ erschienen. „Fegefeuer“ wurde 1988 verfilmt, Unterweger schrieb weitere Bücher.

Festnahme nach Flucht in Miami

Unmittelbar nach seiner Entlassung aus der Haft begann der Steirer mit Leseabenden, die ihn durch ganz Österreich und ins Ausland führten. Diese Veranstaltungen sollten im Zusammenhang mit Prostituiertenmorden Bedeutung bekommen. Am 13. Februar 1992 erließ das Landesgericht Graz Haftbefehl. Ihm wurden zwischen September 1990 und Juli 1991 ein Mord in Prag, ein weiterer in Bregenz, zwei im Raum Graz, vier im Raum Wien und drei in Los Angeles zur Last gelegt.

Nach einer abenteuerlichen Flucht wurde Unterweger Ende Februar in Miami gefasst und Ende Mai 1992 nach Österreich überstellt. Am 20. April 1994 begann im Grazer Landesgericht der Prozess. Das Urteil wurde durch Unterwegers Suizid nie rechtskräftig.

Weiteres Buch zum Fall: „Austrian Psycho“

Am 25. Jänner erscheint mit „Austrian Psycho“ auch ein zweites Buch über Unterweger. Der deutsche Journalist und Autor Malte Herwig verwebt darin verbriefte Fakten, Gespräche mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen wie Elfriede Jelinek und Peter Handke sowie Aussagen Unterwegers zu einer dokumentarischen Erzählung, kündigte der Verlag an.