Paul Lendvai bei Patrick Budgen
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Lendvai: „Genug politische Heuchler“

Heuchelei ist Thema des aktuellen Buchs von Paul Lendvai. In der Interviewserie „Bei Budgen“ sprach er über die besondere Begabung von Ex-Kanzler Kurz, seine Position zum aufkeimenden Antisemitismus und darüber, warum Ruhestand für ihn kein Thema ist.

Journalist und Autor Paul Lendvai ist seit Jahrzehnten ein vertrautes Gesicht im Fernsehen, wenn es darum geht, das politische Geschehen zu analysieren. 1929 in Budapest geboren, ist er in den 1950er Jahren nach Wien gekommen. In seinem 20. Buch „Über die Heuchelei“ schreibt er, dass es in der österreichischen Politik Heuchler genug gebe.

Gefragt danach, wen er denn damit gemeint habe, antwortete Lendvai im TV-Interview „Bei Budgen“: „Nein, das würde zu lange dauern. Wenn ich hier alle Namen aufzählen würde, die ich getroffen habe oder die ich gekannt habe. Sie wissen, dass ein großer österreichische Schriftsteller , Thomas Bernhard gesagt hat, Das ist ein Land (…) der Verlogenheit (…)“ Man kenne viele Leute, wenn man sich mit Politik beschäftige, Namen würde er aber keine nennen.

Kurz als „Virtuose der politischen Heuchelei“

Es sei keine Partei allein von Heuchelei betroffen, er glaube, das hänge davon ab, ob eine Partei an der Macht sei, die Macht verloren habe und ob Politiker Macht erobern oder aufgeben müssten, so Lendvai weiter, das sei „wie man so schön sagt situationselastisch“. Den Namen von Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz erwähnt Lendvai allerdings doch in seinem Buch. „Da schreiben Sie wörtlich ‚Er war ein Virtuose der politischen Heuchelei. Warum?‘“, fragte Moderator Patrick Budgen.

Lendvais Antwort: „Warum? Das weiß ich nicht. Das ist eine Begabung. Er hat sehr intelligente Helfer gehabt, und er war von Anfang an ein politischer Schauspieler. Ich habe alle drei Filme gesehen, beschreibe ich in meinem Buch auch den interessantesten, den ein kroatischer und umstrittener Regisseur gemacht hat, auf Englisch. Und ich habe ihn gesehen, wie er auftrat. Und dann habe ich nicht alle Aufnahmen bei Herr Thomas Schmid gelesen oder gesehen. Aber was ich gelesen habe, das hat mir bewiesen (…) mit österreichischem Maßstab ist er oder war er virtuos.“

Nicht immer optimistisch, was Antisemitismus angehe

Vergleiche des Antisemitismus vor dem Zweiten Weltkrieg mit der aktuellen Situation nach der Hamas-Attacke auf Israel wollte Lendvai nicht ziehen, er sei befangen, man habe ihn mit 15 in Ungarn umbringen wollen. Er betonte aber: „In Österreich habe ich während meiner Laufbahn und meinem ganzen Leben persönlich keinen Antisemitismus gespürt.“ Er freue sich auch darüber, dass Österreichs Parteien inklusive FPÖ nach dem Terrorangriff eine Solidaritätsdeklaration unterschrieben hätten.

Aber es gebe auch Burschenschaften, wo bekanntlich Lieder gesungen wurden, dass sechs Millionen Opfer nicht genug seien, vielleicht könnte man noch eine Million schaffen. Und es gebe auch Migranten, die in der Schule, in der Familie all das gelernt haben, was die Grundlage des Judenhasses sei. Und da sei sehr, sehr viel zu tun bei der Bildung: „Und da bin ich nicht immer optimistisch. Aber ich glaube, so weit in Österreich haben wir noch bisher Glück gehabt“, so Lendvai.

Ruhestand für Lendvai kein Thema

Der 95-jährige Lendvai denkt nicht an den Ruhestand. Er könne sich sein Leben nicht vorstellen, ohne dass er schreiben würde, weil Ignoranz und Intoleranz gedeihe und blühe: „Und ich glaube, unsere Aufgabe ist, dagegen anzukämpfen. Und solange mein Kopf funktioniert und ich mich nicht immer wiederhole, werde ich versuchen aufzuklären“, so Paul Lendvai.