Ilse Helbich
APA/Georg Hochmuth
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Kultur

Autorin Ilse Helbich mit 100 Jahren gestorben

Erst als 65-Jährige begann sie, Prosa zu schreiben. Ihren ersten Roman brachte Ilse Helbich mit 80 heraus, ihr Lyrikdebüt „Im Gehen“ erschien mit 94 Jahren. Am Freitag ist Ilse Helbich im hohen Alter von 100 Jahren in ihrer Geburtsstadt Wien verstorben, teilte ihr Verlag Droschl mit.

„Ihre Texte bestechen durch die so unnachahmliche Schärfe von Beobachtung und Benennung, ob sie nun Alltägliches, das Leben im hohen Alter oder das Wien ihrer Kindheit beschrieb. Eine große Ruhe und Klarheit des Geistes ist Voraussetzung für derart präzise, plastische und intensive Bilder“, würdigte das Verlagshaus seine langjährige Autorin.

Geboren wurde Ilse Helbich am 22. Oktober 1923 in Wien, wo sie später Germanistik studierte. Sie arbeitete publizistisch etwa zur Biografie Ludwig Wittgensteins, schrieb zahlreiche Radiocollagen für den ORF sowie Kolumnen für „Die Presse“. Ihre späte Autorinnenkarriere schlug sich u.a. in den Büchern „Schwalbenschrift“ (2003), „Die alten Tage“ (2004), „Iststand. Sieben Erzählungen aus dem späten Leben“ (2007) und „Fremde. Erzählungen“ (2010) nieder.

Bilder, Klänge und Gerüche als Prosaminiaturen

In ihrem Roman „Das Haus“ (2009) verarbeitete sie die Geschichte eines von ihr 1985 im Ortszentrum von Schönberg am Kamp erworbenen alten Hauses, das sie renovieren ließ. 2012 erschien der Band „Grenzland Zwischenland. Erkundungen“, vorsichtige Erfahrungsberichte von den einschneidenden Veränderungen, die das Alter mit sich bringt, vom Leben mit zunehmender Erblindung, vom Kampf um die Hoheit über das eigene Wort und die eigene Erinnerung. In „Vineta“ (2013) erinnerte sie sich in vielen kurzen Kapiteln an ihre Kindheit in Wien. In Prosaminiaturen werden Bilder, Klänge und Gerüche von einst heraufbeschworen, vom Kreischen der Tramwaybremsen bis zum Teppichklopfen.

2017 erschien ihre Sammlung früher und später Gedichte „Im Gehen“, in dem auch die zunehmende Immobilität und andere Veränderungen im hohen Alter thematisiert werden. Darin hieß es: „Es ist gesagt, was zu sagen war. Das Andere, das jetzt ist, entzieht sich den Worten. Tief innen ist jetzt eine Melodie, die sich dem Nachsingen versagt.“ Doch das war nicht ihr letztes Wort: 2020 versammelte in dem Band „Diesseits. Gesammelte Erzählungen“ einen Rückblick auf ihr Prosaschaffen, in dem sie auch noch unveröffentlichtes Material fand.

Letztes Buch kurz vor dem 100er

Im Alter von 97 Jahren legte sie schließlich „Gedankenspiele über die Gelassenheit“, in der sie teils hochdramatische Erinnerungen ans Tageslicht holte: von der schweren Lungenentzündung als Vierjährige bis zum Aufgespießtwerden durch einen großen Holzspan als Dreizehnjährige. „Und ich selbst weiß noch immer nicht, ob ich eine gelassene alte Frau geworden bin“, schreibt sie dort. „Und dennoch. Ich werde zuhause bleiben in meiner Gelassenheit, zuhause in diesem Lebensvertrauen, dem ich mich anvertraue.“ Im Vorjahr folgte schließlich der Band „Anderswohin. Vom Träumen, Suchen und Finden“, in dem sie Erinnerungen, Selbstreflexionen, philosophische Sequenzen sowie eingestreute „Protokolle“ von Gedanken verband.

Kurz vor dem 100er erschien im Droschl Verlag ein neues Buch von Ilse Helbich: „Wie das Leben so spielt“ versammelt drei literarische Dorfgeschichten, in denen ab und zu „Krimi-Elemente aufblitzen, sich Abgründe auftun und die Zugereisten als Störenfriede, Wunden-Aufreißer oder Außenseiter in Erscheinung treten“.

Würdigung für Helbich

„Spät, aber dafür umso produktiver hat die außergewöhnliche und antizyklische Biografie Ilse Helbich zur Schriftstellerin gemacht. Mit ihrer empfindsamen, vielfarbigen Erzählstimme ist es ihr immer wieder gelungen, gewichtige und auch existenzielle Themen berührend und mit einer gewissen Leichtigkeit zu verknüpfen“, würdigte Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer (Grüne) die Verstorbene. „Ihr Tod ist ein großer Verlust für ihre Leserinnen und Leser und für die gesamte österreichische Gegenwartsliteratur.“