Häusliche Gewalt
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Chronik

Häusliche Gewalt: Polizei betreut langfristig

Die Wiener Polizei zieht eine erste Bilanz zur Arbeit des Opferschutzzentrums. Diese Abteilung wurde im Oktober als Pilotprojekt zur langfristigen Betreuung von Betroffenen nach schweren Gewaltakten eingerichtet. In den ersten drei Monaten gab es 190 Hochrisikofälle.

350 bis 360 Betretungsverbote pro Monat spricht die Polizei bei häuslicher Gewalt aus. Die weitere langfristige Betreuung nach schweren Gewaltakten übernehmen nun die Spezialistinnen und Spezialisten des Opferschutzzentrums. Im Fokus steht Prävention. Die Arbeit umfasse dabei nicht nur Gefährdungsanalysen, sondern umfassende Gespräche mit Opfern als auch Gefährdern, sagte Sprecher Markus Dittrich von der Landespolizeidirektion. Die 14 Beamtinnen und Beamten der neuen Abteilung nehmen auch an Fallkonferenzen teil und sind mit Partnerorganisationen vernetzt.

Risikoeinschätzung nach standardisierten Verfahren

Allein in den ersten drei Monaten gingen laut Polizei rund 190 Hochrisiko-Akte ein – Fälle, „wo eine schwere Körperverletzung oder gar eine Todesfolge sogar erwartet werden kann“, wie Landespolizeipräsident Gerhard Pürstl vor kurzem erklärte. „Irgendwann laufen Betretungs- und Annäherungsverbote aus, aber wir wollen jemanden haben, der lange darauf schaut, wie es in der Familie weitergeht, ob sich eventuell auch neue Gefährdungssituationen ergeben“, begründete Pürstl damals die Entscheidung für die Neustrukturierung.

Bei Amtshandlungen zu einem Betretungs- und Annäherungsverbot wird von der Polizei stets der „GiP-Support (Gewalt in der Privatsphäre)“ zur niedrigschwelligen Risikoeinschätzung nach einem standardisierten Verfahren kontaktiert. Dabei gebe es drei Stufen: „Niedriges Risiko, erhöhtes Risiko oder Hochrisiko für erneute Gewalttätigkeiten“, führte Dittrich aus. „Ab dem Zeitpunkt, wo im GiP-Support ein Hochrisiko als Ergebnis aufscheint, wird dieses sofort an das Opferschutzzentrum weitergeleitet.“

Gespräche über Verhaltensmuster des Gefährders

Dort erstellen die Beamtinnen und Beamten daraufhin individuelle Gefährdungsanalysen und evaluieren Risiken für eine mögliche weitere Gewalteskalation. „Konnte eine unbehandelte Alkoholsucht als eindeutiger Auslöser des gewalttätigen Verhaltens in den letzten Jahren verifiziert werden, werden eine freiwillige Abstinenz thematisiert und Kontaktdaten zu einer professionell unterstützten Entzugstherapie zur Verfügung gestellt“, schildert Dittrich ein Beispiel. Parallel dazu gibt es Gespräche mit dem Opfer über Verhaltensmuster des Gefährders, „die anzeigen, dass die Situation wieder eskalieren könnte und wie sich das Opfer am besten verhalten könnte“.

Im Zuge der Opferschutzarbeit werden auch weitere Informationen zu beiden Personen wie „möglicher Drogenkonsum, belastende Ereignisse in der Vergangenheit, zukünftige Ereignisse oder psychische Probleme erfragt“, um die Gefährdungsanalysen noch treffsicherer zu machen und die Schritte individuell an den Fall anzupassen. Begleitend setzen die Sicherheitshauptreferenten der jeweiligen Bezirke oder Juristen des LKA stets sicherheitsbehördliche Maßnahmen.

Auch Beamte mit Psychologie-Studium

Im weiteren Verlauf der Arbeit folge stets ein Monitoring samt weiteren Gesprächsterminen mit Opfer und früherem Täter. Nachgefragt werde dann bei solchen Gesprächen unter anderem zum aktuellen Status der beiden, Vorfällen in der Zwischenzeit und zur Sicherheit. In jedem Fall erfolgt zudem ein direkter Austausch mit dem Wiener Gewaltschutzzentrum und dem Bewährungshilfe-Verein Neustart. Von der Polizei werde stets das persönliche Gespräch gesucht. „Die Häufigkeit der Gespräche richtet sich einerseits nach der Risikostufe und andererseits nach der Kooperationsbereitschaft von Opfer und Gefährder.“

Für die fordernde Arbeit werden die Präventionsbeamtinnen und-beamten speziell psychologisch geschult. „Die Schulung beinhaltet wesentliche Bestandteile einer Risikoprognose und andererseits einen Überblick über psychische Erkrankungen und eine angepasste Kommunikation für besonders traumatisierte Opfer oder auch Täter mit psychischen Erkrankungen.“ Auch Beamte mit abgeschlossenem Psychologie-Studium oder einer pädagogischen Ausbildung befinden sich im Team.

Obwohl Opfer in der Regel Frauen oder Kindern seien, komme es auch vor, dass sich Männer an das Opferschutzzentrum wenden. „Zudem gibt es auch einige Männer, die als Gefährder genauso froh sind, wenn sie ihre Probleme auch einmal erzählen können“, so der Sprecher.