Chronik

Chirurgin kritisiert Ärzte ohne Grenzen

Schwere Vorwürfe erhebt eine angesehene Wiener Chirurgin gegen Ärzte ohne Grenzen: Sie sei im Bewerbungsprozess wegen ihrer Homosexualität benachteiligt worden. Ärzte ohne Grenzen weist das zurück, will aber „möglichen blinden Flecken“ proaktiv begegnen.

Begonnen habe im Bewerbungsgespräch alles mit der einfachen Frage, wie ihre Familie damit umgehe, dass sie für Ärzte ohne Grenzen in einem Krisengebiet arbeiten wolle, erzählte Mariam Vedadinejad im Ö1-Interview. „Das ist ja auch ein wichtiger Aspekt“, so die Wiener Chirurgin. Es sei schließlich wichtig, dass man die Unterstützung der Familie habe: „Und da habe ich ganz normal, wie jeder andere Mensch, über meine Beziehung gesprochen. Die aber, also aber – die de facto mit einer Frau ist.“

Ab diesem Zeitpunkt sei der Fokus in dem Gespräch auf ihrem Privatleben gelegen, schilderte die Ärztin. Am Ende sei es ihr negativ ausgelegt worden, dass sie sich ehrenamtlich für Frauenrechte und die Gleichstellung einsetze.

Mangelnder Managementerfahrungen als offizieller Grund

Sie sei dann von einer Person angerufen wurden, so Vedadinejad: „Die meinte dann: Wissen Sie, Ihre Homosexualität und Ihre feministischen Ansichten, gut und lobenswert, aber Sie müssen schon wissen, dass Sie da in unterschiedlichen anderen Kulturen sind, wo größtenteils Männer öffentlich unterwegs sind. Und da ist es mir unmittelbar geschossen, dass das eine eigenartige Konstellation ist, meine Nichtaufnahme zu erklären.“

Offiziell abgelehnt wurde die erfahrene Medizinerin, die vor wenigen Wochen in einem Wiener Spital etwa Fußballlegende Toni Polster operierte, wegen mangelnder Managementerfahrungen. Sie wandte sich an die Gleichbehandlungsanwaltschaft. Ärzte ohne Grenzen wies alle Vorwürfe von sich. Es stand Aussage gegen Aussage.

Ärzte ohne Grenzen: „Müssen kontinuierlich lernen“

Erst auf ORF-Anfrage gibt die Hilfsorganisation mögliche Fehler zu. „Wir sind uns dessen bewusst, dass wir alle – auch als Organisation – immer kontinuierlich lernen und uns weiterentwickeln müssen“, heißt es in einer schriftlichen Stellungnahme. „Oftmals liegen Herausforderungen in kleinen Details, die Menschen, die einer Mehrheit angehören, nicht immer automatisch im Blick haben. Möglichen blinden Flecken möchten wir daher proaktiv begegnen.“

Blinde Flecken gebe es in vielen Organisationen, sagte Christopher Frank vom Klagsverband. Unbewusst würden Personalverantwortliche oft nach Homogenität suchen und Diversität eher ablehnen: „Wenn jemand fragt: Was hast du letztes Wochenende unternommen? Oder: Was hast du in den Ferien gemacht? Und wenn dann eine weibliche Mitarbeiterin sagt, ich war mit meiner Lebensgefährtin auf Urlaub, dann ist das halt nicht nur die Information über den Urlaub, sondern gleichzeitig impliziert halt auch eine Aussage über die eigene sexuelle Orientierung.“ Eine soziale Information würde dann plötzlich sexuell konnotiert wahrgenommen.

Studie: Viele verheimlichen Homosexualität am Arbeitsplatz

„Das Problem ist ja, durch dieses Zwangsouting geraten wir in die Situation, dass wir sozusagen als diverse Menschen gesehen werden und von anderen Menschen, die das als negativ betrachten, abgestempelt werden“, erklärte Vedadinejad. Gegen Ärzte ohne Grenzen will sie nicht weiter vorgehen. Ihr sei es wichtig, das Problem aufzuzeigen, sagte sie, zumal es in Österreich für Homosexuelle nach wie vor kein umfassendes Antidiskriminierungsgesetz gibt.

In einer aktuellen Studie der EU-Grundrechteagentur gibt indes ein Viertel der befragten Menschen an, ihre Homosexualität am Arbeitsplatz zu verheimlichen. Von denen, die geoutet sind, gibt ein Viertel an, bereits Diskriminierung erlebt zu haben.