Angeklagter Polizist vor Gericht nach Prügel bei Einsatz in Simmering
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Kopf gegen Asphalt: Polizist freigesprochen

Am Landesgericht ist am Mittwoch der Prozess wegen Amtsmissbrauchs gegen einen Polizisten mit einem Freispruch zu Ende gegangen. Dem Beamten war laut Anklage vorgeworfen worden, im Vorjahr in Simmering den Kopf eines 19-Jährigen mehrfach auf den Asphaltboden geschlagen zu haben.

Der Schöffensenat sah beim Angeklagten keinen wissentlichen Befugnismissbrauch, der Polizist habe bei seiner Gewaltausübung auch „nicht das gerechtfertigte Ausmaß“ überschritten, hieß es in der Begründung. Der Freispruch ist nicht rechtskräftig.

Staatsanwältin kritisierte Befangenheit des Richters

Die Staatsanwältin legte dagegen sofort Nichtigkeitsbeschwerde ein. Sie warf dem vorsitzenden Richter vor, eine von ihm vorbereitete schriftliche Urteilsausfertigung verlesen zu haben. Die Entscheidung sei daher nicht nach eingehender Beratung mit den Schöffen, sondern allein vom Berufsrichter getroffen worden, unterstellte die Staatsanwältin dem Vorsitzenden.

„Das Urteil wurde offensichtlich vorher geschrieben und abgelesen“, stellte die Staatsanwältin sichtlich entrüstet fest, ehe sie grußlos den Gerichtssaal verließ. Zuvor hatte sie noch Befangenheit des vorsitzenden Richters moniert und sich bei der Schriftführerin rückversichert, dass diese ihre Ausführungen protokolliert hatte.

Kopf gegen Asphalt: Polizist freigesprochen

Am Wiener Landesgericht ist am Mittwoch der Prozess wegen Amtsmissbrauchs gegen einen Polizisten mit einem Freispruch zu Ende gegangen. Dem Beamten war laut Anklage vorgeworfen worden, im Vorjahr in Simmering den Kopf eines 19-Jährigen mehrfach auf den Asphaltboden geschlagen zu haben.

Vorfall am Rand von Polizeieinsatz

Was die strafrechtliche Komponente betrifft, hatte die Anklage dem 34-jährigen Beamten, der 2015 in den Polizeidienst eingetreten war, ein „exzessives, nicht gerechtfertigtes Ausmaß“ an Gewalt zur bloßen Durchsetzung einer Identitätsfeststellung angekreidet. Wie die Staatsanwältin zu Verhandlungsauftakt Ende Jänner dargelegt hatte, habe sich der Angeklagte auf den von anderen Polizisten bereits zu Boden gebrachten und fixierten jungen Mann gekniet und „aus der Emotion heraus völlig überschießend, exzessiv reagiert“, indem er den Kopf des Betroffenen „nicht einmal, sondern zweimal mit voller Wucht gegen den Asphalt gedonnert hat“.

Der junge Mann erlitt eine blutende Rissquetschwunde oberhalb des rechten Auges. Ein Puls24-Kameramann filmte die gewalttätigen Szenen mit, der TV-Sender machte das Video öffentlich, das sich in weiterer Folge im Internet verbreitete. Ein weiteres, noch aussagekräftigeres Video wurde im Zug der Ermittlungen sichergestellt: Ein Angestellter eines Imbisslokals hatte die gewalttätigen Szenen mit seinem Handy gefilmt.

Zusätzlich wurden die Aufnahmen einer Überwachungskamera sichergestellt. „Film- und Tonaufnahmen sind in letzter Zeit in Verruf geraten. Im gegenständlichen Fall haben sie dazu geführt, dass nicht das Opfer von Polizeigewalt auf der Anklagebank sitzt, sondern ein nach Ansicht der Staatsanwaltschaft gewalttätiger Polizist“, hatte die Staatsanwältin zu Beginn der Verhandlung festgehalten.

Polizist: Womöglich „aus Versehen zu stark gedrückt“

Für den Verteidiger des Polizisten war dagegen das Agieren des Beamten „verhältnismäßig und gerechtfertigt. Er war davon überzeugt, dass er das Richtige tut.“ Die Amtshandlung habe sich wenige Meter von einem Mordtatort entfernt abgespielt – ein Geldverleiher war auf der Simmeringer Hauptstraße erschossen worden –, den die Polizei abgesperrt hatte.

Der 19-Jährige habe an der Absperrung mit einem Kollegen des Angeklagten „gekämpft“, weil dieser ihn nicht zu einem Bankomaten durchlassen wollte. Es sei zu einer Auseinandersetzung gekommen, der Angeklagte habe eingegriffen, weil der zu Boden gebrachte junge Mann nicht zu bändigen gewesen sei.

Der angeklagte Polizist gab dazu an, er habe befürchtet, der 19-Jährige könne sich aus der Fixierung lösen, nach seiner Schusswaffe greifen und damit ihn bzw. seine Kollegen erschießen: „In meinem Kopf ging es um einen Mordtatort mit Schusswaffe.“ Er habe daher verhindern müssen, dass der Mann „aufkommt“, und sich „am Kopf abgestützt“, nachdem er Übergewicht bekommen habe. Beim Abstützen am Kopf des Betroffenen habe er womöglich „aus Versehen zu stark gedrückt“, beim zweiten bzw. dritten Abstützen aber versucht, den Druck zu reduzieren.

Sein Verteidiger zog am zweiten Verhandlungstag überhaupt in Zweifel, dass das Verhalten des Angeklagten Verletzungsfolgen hatte. „Nicht diese Amtshandlung“ habe die Rissquetschwunde bewirkt, sondern „die Reibung, bedingt durch das Halten am Asphalt.“

Richter: Videomaterial „wild“

Das Videomaterial sei „wild“ und löse „Unbehagen“ aus, trug Richter Mathias Funk zu Beginn seiner ausführlichen Begründung für den Freispruch vor. Die Situation sei insgesamt „unnötig eskaliert“ aufgrund „unnötigen Fehlverhaltens von beiden Seiten“, womit sich der Richter auf den 19-Jährigen bezog, der die polizeiliche Absperrung missachtet habe („Polizeilichen Anordnungen ist Folge zu leisten“), aber auch jenen Beamten und Kollegen des Angeklagten, der eine angebliche Anstandsverletzung des 19-Jährigen ahnden wollte und daher dessen Ausweis verlangte.

Als der junge Mann das verweigerte, wurde er per Schulterwurf zu Boden befördert – allerdings nicht vom Angeklagten, der erst später dazukam, weil sich der junge Mann „offensichtlich körperlich gewehrt“ habe, wie der Richter formulierte.

Der Angeklagte habe den linken Arm des in Bauchlage auf dem Boden Fixierten festhalten wollen, da dieser „noch nicht vollständig unter Kontrolle“ gewesen sei. Er habe nach dem Kopf gegriffen, um den 19-Jährigen „zu Boden zu drücken“, um „den Widerstand zu brechen“. Es sei dem Polizisten dabei nicht darauf angekommen, „ihn zu verletzen oder zu schikanieren“, hielt der Richter fest. Insofern liege kein wissentlicher Befugnismissbrauch und damit kein Amtsmissbrauch vor.

Schöffensenat: Handeln „gerade noch vertretbar“

Für das Gericht war der Beamte aber auch nicht wegen Körperverletzung zu verurteilen. Die dem Opfer beigebrachte Rissquetschwunde sei „bedauerlich“, das Verhalten des Angeklagten aber nach der Strafprozessordnung und dem Waffengebrauchsgesetz „gerechtfertigt“ gewesen, da aufgrund der Gegenwehr der Betroffenen die Polizei dessen Festnahme wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt ausgesprochen hätte.

Der Schöffensenat billigte dem Angeklagten folglich einen „in Ausübung seiner Dienstpflicht von der Rechtsordnung anerkannten Rechtfertigungsgrund“ zu, wie der Vorsitzende erläuterte. Es sei zwar „ein Grenzfall“, das gewaltsame Handeln aber „gerade noch vertretbar“ gewesen.

Bereits „Maßnahmebeschwerde gewonnen“

Die Amtshandlung war vom Verwaltungsgericht Wien bereits für rechtswidrig erklärt worden. „Wir haben eine Maßnahmebeschwerde gewonnen“, sagte Clemens Lahner, der Rechtsvertreter des von polizeilicher Gewalt betroffenen 19-Jährigen, im Gespräch mit der APA. In der schriftlichen Entscheidung vom 7. November 2023, wurde eine Rechtsverletzung durch die Schläge unter Zu-Boden-Drücken des Betroffenen in Bauchlage festgestellt. „Die Landespolizeidirektion hat auf eine Gegenschrift zu unserer Beschwerde verzichtet“, sagte Lahner. Es sei daher gar keine Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht anberaumt worden.

Der Rechtsanwalt will nun für den jungen Mann Schadenersatzansprüche nach dem Amtshaftungsgesetz geltend machen. Ein entsprechendes Aufforderungsschreiben werde demnächst an die Finanzprokuratur ergehen, kündigte Lahner an.