Ausstellungsansicht „In the Eye of the Storm. Modernismen in der Ukraine“
Belvedere/Johannes Stoll
Belvedere/Johannes Stoll
Kultur

Große Ukraine-Schau im Unteren Belvedere

Das Untere Belvedere zeigt aktuell eine große Ausstellung über moderne Kunst aus der Ukraine. Die meisten Werke sind aus dem Nationalen Kunstmuseum in Kiew, das kriegsbedingt schließen musste. Realisiert wurde die Schau unter dramatischen Umständen.

Im Herbst 2022 wurden die Kunstwerke für die Ausstellung aus dem Nationalen Kunstmuseum in Kiew geholt. Man habe zunächst gedacht, die Werke an einem Montag abtransportieren zu lassen, erzählte Museumsdirektorin Julija Lytwynez. „Doch Kiew wurde am Montag immer beschossen und so haben wir auf Dienstag verschoben. Doch auch an diesem Dienstag wurde geschossen, und das war sehr unangenehm. Beim Transport ist die Gefahr am größten“, sagte Lytwynez.

Als der Lastwagen es schließlich bis zur polnischen Grenze geschafft hatte, sei zudem eine russische Rakete auf dem Gebiet Polens explodiert und alles sei erneut aufgehalten worden. Unabhängig davon habe man die permanente Sorge, dass eine russische Rakete das im Regierungsviertel befindliche Museum einfach zerstören könnte. Das könnte in der Ukraine derzeit freilich jedem Haus passieren, sagte sie.

Oleksandr Bohomasow, Schärfen der Sägen, 1927
Nationales Kunstmuseum der Ukraine, Kyjiw
Oleksandr Bohomasows futuristisches Werk aus 1927 zeigt Säger bei der Arbeit

Schau in Wien umfangreicher als in Köln und Madrid

Schließlich gelang es, die Kunstwerke unbeschädigt ans Ziel zu bringen. Die Schau mit dem Titel „In the Eye of the Storm. Modernismen in der Ukraine“ wurde bereits im Madrider Museo Thyssen-Bornemisza sowie im Museum Ludwig in Köln gezeigt. Die Variante in Wien ist nun jedoch umfangreicher.

Der Untertitel sei bewusst „Modernismen in der Ukraine“ und nicht „Ukrainische Modernismen“ betonte der Kunsthistoriker Konstantin Akinsha. Er kuratierte die Ausstellung gemeinsam mit Katia Denysova. „Denn die Rede ist von unterschiedlichen Künstlern, das waren neben Ukrainern auch Juden, Russen und Polen, die einen Beitrag zur Entwicklung der ukrainischen Kunst geleistet haben“, so Akinsha. Keinesfalls wolle man sich damit beschäftigen, Künstler zu ethnischen Ukrainern zu erklären.

Ausstellungshinweis:

„In the Eye of the Storm. Modernismen in der Ukraine“, Unteres Belvedere in Wien, bis 2. Juni 2024

Lange Konzentration auf „russische Avantgarde“

„Kasimir Malewitsch ist bei uns nicht deshalb in der Ausstellung, weil er ein Ukrainer wäre – das wäre Blödsinn“, sagte der Kurator. Malewitsch sei beispielsweise in die Ukraine gekommen, hätte zwei Jahre hier gewirkt, theoretische Werke publizierte und auf Studenten eingewirkt. Malewitsch (1879-1935) stammte aus einer polnischen Familie, wurde in Kiew geboren und war vor allem in Moskau und St. Petersburg tätig.

Malewitsch ist freilich der bekannteste Künstler in der Schau. Gezeigt werden eine Skizze für ein geplantes Fresko aus dem Nationalmuseum sowie zwei bekannte Gemälden aus dem Museum Ludwig und der Wiener Albertina. Viele seiner in der Ukraine aktiven Zeitgenossen wurden international indes jahrzehntelang kaum gezeigt. Einer der Gründe: Auch westliche Kunsthistorikerinnen und -historiker konzentrierten sich lange Zeit vor allem auf eine „russische Avantgarde“ in Moskau und St. Petersburg.

Anatol Petryzkyj, Kostümentwürfe für das Ballett „Exzentrische Tänze“ des Moskauer Kammerballetts, 1922
Theater-, Musik- und Filmmuseum, Kyjiw
Von Anatol Petryzkyj sind auch diese Kostümentwürfe für das Moskauer Kammerballett aus 1922 zu sehen

Vermutlich versteckte Zeichnung mit Faltspuren

Oleksandr Bohomasow (1880-1930) mit seinen gerade noch etwas futuristischen „Sägern bei der Arbeit“ und Oleksandr Syrotenko (1897-1975) mit seinem Landarbeiterbild „Pause“ können deshalb im Westen nahezu als Entdeckung gelten. Dies gilt auch für Sara Schor (1897-1971), die sich insbesondere mit jüdischen Ästhetiken beschäftigte, oder für Mychajlo Saposchnikow (1871-1935) und seine verstörend surrealen Malereien.

Ein Geheimtipp sind zudem die Bojtschukisten: Diese linke Künstlergruppe um Mychjalo Bojtschuk (1882-1937) mit sehr erkennbarer Bildsprache und Frauenporträts mit Kopftüchern fiel 1937 einer stalinistischen Säuberungswelle der ukrainischen Intelligenzija zum Opfer. Im selben Jahr wurde auch der futuristische Dichter Mychajl Semenko exekutiert, den Anatol Petryzykyj (1895-1964) in einer ebenso ausgestellten Zeichnung porträtiert hat. Das Blatt zeigt Spuren einer Faltung und dürfte während der Stalin-Zeit versteckt gewesen sein. Es zu zeigen, hätte damals lebensgefährlich sein können.

Neben Themenblöcken wie internationale Einflüssen, Kubofuturismus, relevanten Städte, die jüdische-jiddische Kulturliga oder die späten Zwanzigerjahre in den größeren Sälen präsentiert die Ausstellung im Unteren Belvedere Specials in den Nischenräumen. Darunter Arbeiten aus dem Theaterbereich sowie herausragende Grafiken etwa von Heorhij Narbut (1886-1920), der das politische Design der kurzlebigen und schließlich von den Bolschewiken zerstörten „Ukrainischen Volksrepublik“ (1917-1921) entworfen hatte.