Der 6-Jährige Matteo bekommt von seinem Vater eine Pumpe in die Nase gesteckt, die seine Nasenschleimhäute reinigen soll.
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Gesundheit

Tausende von seltenen Krankheiten betroffen

Selten ist nicht nur das Datum: Am 29. Februar findet der „Rare Disease Day“ (Tag der seltenen Erkrankungen) statt. In Österreich sind rund 400.000 Menschen von einer solchen Krankheit betroffen.

Als „selten“ gilt eine Krankheit, wenn einer von 2.000 Menschen daran erkrankt ist. Die bekanntesten „Rare Diseases“ sind etwa Mukoviszidose oder die Schmetterlingskrankheit Epidermolysis bullosa, weltweit gibt es allerdings zwischen 6.000 und 8.000 Krankheitsbilder, die als „selten“ bezeichnet werden. Die meisten davon sind genetisch bedingt und werden von den Eltern vererbt.

So auch das MECP2-Genduplikator-Syndrom. In Österreich sind nur acht Personen registriert, die an dem Gendefekt leiden, in Wien sind es zwei. Bei der seltenen Mutation wird das auf dem X-Chromosom gelegene MECP2-Gen verdoppelt. Das duplizierte Gen erzeugt zu viel des MECP2-Proteins, das normalerweise andere Eiweiße reguliert. Durch die Überproduktion kommt es zum Fehler bei der Regulierung, das Resultat sind Entwicklungsverzögerungen.

Langer Weg bis zur Diagnose

Symptome der Krankheit sind geistige Behinderungen, Motorikstörungen, mangelnde Sprachfähigkeit, Spastik und Epilepsie. Vieles davon ist beim sechsjährigen Matteo, der in Wien lebt, schon in frühster Kindheit auffällig geworden. Dennoch hat er seine Diagnose erst im Alter von drei Jahren bekommen, nachdem seine Eltern auf einen Gentest gedrängt hatten. „Wir haben viele Ärzte besucht, um zu wissen, was mit Matteo los ist. Doch es war immer die gleiche Geschichte: Wir sollen warten, er braucht mehr Zeit zum Entwickeln. Aber wir als Eltern wussten, dass es da auch noch etwas anderes gab“, erzählt Mutter Caroline Covini.

Die Diagnose war ein Schock für die Familie, aber auch eine Hoffnung, um Gleichgesinnte zu finden. Von denen könnte es mehr geben, meint Vater David Covini: „Wir denken, dass das Syndrom nicht bekannt genug ist, damit die Ärzte es gleich erkennen.“ Dementsprechend könnte es auch weitere undiagnostizierte Fälle in Österreich geben. Die Covinis haben zur Selbsthilfe den Verein „Lasst uns MDS heilen“ gegründet, bei der sie auch an einer europaweiten Registrierungs-Datenbank arbeiten, um für bessere Vernetzung unter den Betroffenen zu sorgen.

Matteo sitzt zwischen seinen Eltern am Esstisch und blättert in seiner Krankenakte. Die ist ein dicker Ordner.
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Die Krankenakte von Matteo ist trotz jungen Alters bereits gut gefüllt

Neugeborenenscreening als wichtige Maßnahme

Tatsächlich habe es in der Diagnostik von seltenen Krankheiten eine Verbesserung dank des technischen Fortschritts gegeben, meint die Leiterin der Wiener Klinik für Kinder- und Jugendheilkunde, Susanne Greber-Platzer. So könnten manche der Krankheiten bereits vor der Geburt erkannt werden, und auch das österreichische Neugeborenenscreening spiele bei der Diagnostik eine wichtige Rolle. „Wir screenen dabei auf 31 Erkrankungen, davon sind 29 seltene, die auch Konsequenzen haben und eine frühzeitige Therapieoption brauchen“, so Greber-Platzer.

Die größten Hürden, eine seltene Erkrankung zu erkennen, ist die Symptomvielfalt. Wichtig sei es deshalb, Kinder mit unzuordenbaren Auffälligkeiten in einem Krankenhaus untersuchen zu lassen, wo Fachärztinnen- und Ärzte multidisziplinär zusammenarbeiten können, meint Susanne Greber-Platzer. Die Klinik für Kinder- und Jugendheilkunde sei etwa auf seltene Erkrankungen spezialisiert und könne eine Therapie oder Begleitung mit symptomatischer Behandlung anbieten.

Mangelndes Interesse seitens Forschung

Nach einer erfolgreichen Diagnose kommen jedoch neue Hindernisse auf die Betroffenen zu. So würden sich viele Ärzte, aber auch Physiotherapeuten und Logopäden sich zu wenig mit einer spezifischen Krankheit auskennen, schildert die Familie Covini. Wenn ihr Sohn Matteo wegen einer akuten Krankeit etwa ins Spital muss, „wissen wir manchmal mehr als die Ärzte“, seufzt Caroline Covini. Sie tausche sich in solchen Fällen lieber mit den Eltern anderer betroffener Kinder aus.

Die größte Hoffnung der Familie Covini ist es, eine Heilung für ihren Sohn zu finden, doch auch dabei ist der Seltenheitsaspekt vom MECP2-Genduplikation Syndrom ein Nachteil. „Wenn wir so wenige Betroffene sind, gibt es von der pharmazeutischen Industrie kein Interesse, etwas zu entwickeln“, so David Covini. Nicht umsonst werden Medikamente für seltene Erkrankungen im Englischen auch als „Orphan Drugs“, also quasi als Waisenkinder unter den Medikamenten bezeichnet.

Im Falle des MECP2-Genduplikation-Syndroms wird trotz Seltenheit geforscht – der Fokus liegt dabei auf Gentechnik. Möglicherweise könnte in der Zukunft das Duplikat „ausgeschaltet“ werden und die Symptome zurückgehen. Für die Covinis ist das eine große Hoffnung, denn die Krankheit ihres Sohnes verschlechtert sich weiter. Derzeit ist der Sechsjährige zwar geistig und motorisch eingeschränkt, aber dennoch aufgeweckt und aktiv. Doch progressiv können epileptische Anfälle hinzukommen, „und das wollen wir überhaupt nicht erleben“, so die Eltern. Sie hoffen auf einen baldigen Durchbruch in der Forschung.