Schild „Film- und Fotografierverbot“ im Wiener Landesgericht
ORF
ORF
CHRONIK

Mafia-Prozess: Elf Jahre Haft

Ein Komplize des in Wien zu lebenslanger Haft verurteilten Mafia-Paten, der unter dem Namen „Dexter“ bekannt ist, ist wegen Drogenhandels zu elf Jahren Haft verurteilt worden. Der Prozess fand unter hohen Sicherheitsvorkehrungen statt.

„Was machen Sie da? Sie haben keine Beweise!“, rief der 29-Jährige während der Urteilsverkündung dazwischen. Sein Verteidiger meldete Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung an. Der Staatsanwalt legte daraufhin Berufung gegen die Strafhöhe ein. Das Urteil ist somit nicht rechtskräftig.

Bei der Strafbemessung wurden neben der großen Menge an gehandeltem Suchtgift die führende Funktion innerhalb der mafiösen Bande sowie das Handeln aus Gewinnstreben erschwerend berücksichtigt, bei einer Strafdrohung von einem bis zu 15 Jahren erschienen dem Schöffensenat elf Jahre tat- und schuldangemessen.

Drogenschmuggel aus Thailand

Der 29-jährige Angeklagte soll innerhalb von zwei Monaten – zwischen 24. März und 21. Mai 2021 – 43 Kilogramm Kokain und 39 Kilogramm Heroin von Thailand nach Österreich geschafft und sieben Kilogramm Suchtgift in Verkehr gesetzt haben. Er bestritt das so wie eine Einbindung in die kriminelle Organisation von „Dexter“.

Ein zeugenschaftlich vernommener informierter Vertreter des Bundeskriminalamts widersprach dem diametral. Der Angeklagte habe unter dem Pseudonym „Funnynative“ in „Dexters“ krimineller Organisation eine „sehr hohe Position“ inne gehabt: „Ein absoluter Hochkaräter. Es gibt ganz wenige, die in diesem Stil Drogen nach Österreich importiert haben.“

Isolationshaft in der Justizanstalt

Das nach Österreich gebrachte Kokain wies laut Anklage mit einem Reinheitsgehalt von 70 Prozent eine erstklassige Qualität auf. Der Staatsanwaltschaft zufolge wurde die Ware in Zehn-Kilo-Lieferungen nach Österreich geschafft und gewinnbringend an den Mann gebracht.

Der 29-Jährige gilt als hochgefährlich. Er befindet sich in der Justizanstalt (JA) Josefstadt in Isolationshaft und wird bei Spaziergängen im Innenhof des Gefängnisses strengstens bewacht. Vor wenigen Wochen wurde in seiner Zelle eine Razzia durchgeführt und dabei ein illegales Handy beschlagnahmt. Auf diesem fanden sich Textnachrichten bzw. Hinweise, die auf ein konkretes Bedrohungsszenario gegen einen am Verfahren Beteiligten hindeuten.

Die Anklage sei „überhaupt nicht richtig“, sagte der 29-Jährige in seiner Beschuldigteneinvernahme. Er beschwerte sich außerdem über die Haftbedingungen: „Seit ich eingeliefert wurde, werde ich wie ein Terrorist behandelt.“ Er müsse seine Hofspaziergänge mit zu lebenslanger Haft verurteilten Anhängern der Terror-Miliz „Islamischer Staat“ (IS) bestreiten: „Warum werde ich mit den Leuten ins selbe Eck gedrängt?“

Ermittlungen wegen Schießerei in Serbien

Während „Dexter“ im Sommer 2021 im Zuge der Operation „Achilles“ festgenommen wurde, bei der Ermittler im Bereich der Organisierten Kriminalität (OK) mafiöse Strukturen dank der Auswertung von Chats in Kryptomessenger-Diensten zerschlagen hatten, hatte sich der 29-Jährige bereits 2017 nach Thailand abgesetzt.

Zuvor soll er in Serbien an einer tödlichen Schießerei beteiligt gewesen sein – in einer Bar wurde im Zuge einer mutmaßlichen mafiösen Auseinandersetzung ein Mann per Kopfschuss getötet. Gegen den Angeklagten alias „Funnynative“ wird deswegen von den serbischen Behörden wegen Beteiligung am Mord ermittelt.

Festnahme in Thailand

Der mit internationalem Haftbefehl Gesuchte war im Vorjahr in Thailand festgenommen und von Zielfahndern des Bundeskriminalamts nach Österreich gebracht worden – mit erheblichen Schwierigkeiten. „So etwas habe ich noch nie erlebt“, schilderte der Zeuge vom Bundeskriminalamt dem Schöffensenat.

Es habe ein Privatflugzeug gechartert werden müssen, nachdem der Mann sich in einer Linienmaschine mit massiver Gewalt und Selbstverletzungen – er soll seinen Kopf gegen den Boden geschlagen haben – gegen das Außer-Landes-Bringen gewehrt hatte. Der Pilot der Linienmaschine hätte sich geweigert, mit dem renitenten Passagier den Flug von Thailand nach Europa anzutreten.

Text- und Audionachrichten entschlüsselt

Die Anklage stützt sich – wie bereits im Prozess gegen „Dexter“ – auf Text- und Audionachrichten, die die beiden in vermeintlich abhörsicheren Chats geteilt hatten. Die Gruppierung um „Dexter“ nutzte Krypto-Handys, bei denen nicht ein Mal eine Standort-Peilung möglich war. Man konnte mit den Geräten auch nicht telefonieren, dafür aber Bilder, Videos und Audio-Nachrichten verschicken.

Europäischen Strafverfolgungsbehörden war es gelungen, die Kommunikation der Kriminellen um „Dexter“ zu knacken und die Inhalte, die über Server in Kanada und Frankreich liefen, zu sichern. In weiterer Folge wurden die Chats mit Hilfe des FBI entschlüsselt. Bei den von „Dexter“ genutzten Geräten traten dokumentierte Drogen-Lieferungen, Anweisungen an seine Untergebenen und sogar eine Art Buchhaltung zutage.

Letzten Endes wurde er auf Basis dieser Beweise vor knapp drei Monaten für über 300 Drogen-Deals, die nach Ansicht des Erstgerichts die Einfuhr und das Inverkehrsetzen von hunderten Kilogramm Heroin und Kokain belegten, zur Höchststrafe verurteilt. „Dexters“ Verurteilung zu lebenslanger Haft ist allerdings nicht rechtskräftig – ein dagegen eingebrachtes Rechtsmittel ist beim Obersten Gerichtshof (OGH) anhängig.

Verteidiger: Chats unzulässig

Für den Verteidiger von des 29-Jährigen war die Heranziehung der Chats unzulässig. „Der Staat verpflichtet sich, sich an strenge Regeln zu halten. So funktioniert der Rechtsstaat“, meinte der Anwalt. Im vorliegenden Fall wisse man schlicht nicht, wie die Chats zustande kamen und wo diese aufgezeichnet wurden, und vor allem sei Österreich gar nicht im Besitz der vom FBI ausgelesenen Unterhaltungen: „In Österreich hat aber ein Angeklagter das Recht, diese Chats zu sehen.“ Werde seinem Mandanten dies verwehrt, „wird ihm das fundamentalste Recht genommen, sich zu verteidigen. Auf dieser Grundlage kann man kein Verfahren führen“.

„Die aktuelle Rechtslage ist so, dass diese Chats verwendet werden dürfen“, hielt dem am Ende der Senatsvorsitzende in der Urteilsbegründung entgegen. Somit lägen ausreichende Beweise vor, „dass Sie ‚Funnynative‘ sind. Die Kausalitätskette zu Ihnen ist geschlossen“, meinte er in Richtung des 29-Jährigen, der die Ausführungen des Richters immer mit Zwischenrufen auf Serbisch oder Englisch unterbrach.

Hohe Sicherheitsvorkehrungen im Landesgericht

„Dexter“ wurde im Verfahren gegen seine mutmaßliche „rechte Hand“ als Zeuge vernommen – allerdings im Weg einer Videokonferenz mit der im selben Gebäudetrakt untergebrachten JA Josefstadt. Ausschlaggebend dafür waren wiederum Sicherheitsgründe. Der 35-Jährige behauptete, er kenne den Angeklagten nicht. Somit war nach wenigen Minuten die Befragung des mutmaßlichen Mafia-Bosses auch schon wieder beendet.

Die Sicherheitsvorkehrungen für den Prozess waren enorm: Der gesamte Trakt, der zum Verhandlungssaal führte, war am Dienstag gesperrt. Wer passieren und zur Verhandlung wollte, musste sich per Ausweis legitimieren, wobei die Daten von Beamtinnen und Beamten des Bundeskriminalamts schriftlich erfasst wurden. Durchgelassen wurde man nur, nachdem man sich neuerlich einer Durchsuchung auf verdächtige Gegenstände gestellt hatte – eine erste eingehende Überprüfung hatte es bereits im Eingangsbereich des Gerichts gegeben.

Fotografen und Kameraleute wurden nicht durchgelassen – das Präsidium hatte ein absolutes Fotografier- und Filmverbot verhängt. Die anwesenden Medienvertreter und sonstigen Besucherinnen und Besucher hatten im Gerichtssaal unter der Androhung, ansonsten den Saal verlassen zu müssen, ihre Handys abzuschalten.