In Wien wurden die Abwasseranalysen in der Hauptkläranlage in Simmering durchgeführt. 443 Milligramm Kokain wurden hier für das Jahr 2023 gemessen. Im Monitoring ein Jahr davor waren es noch 371 Milligramm. Das ist ein Zuwachs von 19,5 Prozent. Bei Methamphetamin, besser bekannt als „Crystal Meth“, sank der Wert hingegen um mehr als ein Viertel – auf 21 Milligramm.
Bei den anderen untersuchten illegalen Substanzen gab es in Wien kaum Änderungen zwischen den Jahren 2023 und 2022. Bei Amphetamin („Speed“) gab es ein leichtes Plus von 1,5 Prozent, ebenso bei MDMA („Ecstasy“), das um 2,6 Prozent zulegte. Bei Cannabis wurde ein Rückgang um 3,6 Prozent gemessen.
Zunehmender Kokainkonsum laut Abwasserstudie
Laut einer aktuelle Abwasserstudie der EU-Drogen-Beobachtungs-Stelle wird der Konsum von Kokain europaweit immer mehr. Auch in Wien gibt es bei Kokain ein deutliches Plus
Niedrigerer Schwarzmarktpreis als eine Erklärung
Warum steigt der Kokainwert in Wien doch deutlich – und warum sinkt gleichzeitig jener für „Crystal Meth“? Der Koordinator für Psychiatrie, Sucht und Drogenfragen der Stadt Wien, Ewald Lochner, hat dafür mehrere Erklärungen. „Einerseits ist es sicher so, dass der Konsum von Kokain derzeit, wie insgesamt der Konsum von Stimulanzien, eher ansteigt. Das hat etwas mit dem multiplen krisenhaften Geschehen zu tun“, so Lochner im ORF-Interview.
Aber auch die Preise auf dem Schwarzmarkt würden bei Kokain eine Rolle spielen: „Wenn der Preis ein relativ geringer ist, dann wird diese Substanz mehr konsumiert.“ Das wirke sich dann auch auf andere Drogen aus, schilderte Lochner. Heißt: "Wenn Kokain so billig ist, wird weniger Crystal Meth konsumiert. Das sind teilweise kommunizierende Gefäße.“
Wie untersucht wird
Die Abwasseranalysen führt in Österreich die Medizinische Universität Innsbruck durch. Eine Woche lang wurden im Frühjahr 2023 täglich Proben entnommen, zwischen März und Mai. Dabei wurde auf potenziell relevante Events Rücksicht genommen, damit keine Verzerrung entsteht. Die angegebenen Drogenrückstände beziehen sich auf die Abwassermenge, die 1.000 Menschen im Durchschnitt produzieren.
Zudem merke man in der Drogenberatungsstelle checkit!, dass die Kokain-Konzentration in den abgegebenen Proben steige. Das Kokain auf dem Markt wird als offenbar immer „reiner“ – was ebenfalls das Abwasserergebnis beeinflussen könnte. Man beobachte noch, ob es sich in Wien tatsächlich um einen Trend handle oder nur um einen einmaligen Anstieg, betonte Lochner. Es gebe aber jetzt schon Maßnahmen speziell in Bezug auf Kokain, etwa das Beratungsangebot „Beyond the Line“.
Wien im Europavergleich im Mittelfeld
Der Wiener Koordinator für Psychiatrie, Sucht und Drogenfragen betonte jedoch auch, das Wien im europäischen Vergleich gut dastehe – speziell im Vergleich mit anderen Großstädten. Grund sei „eine funktionierende und sinnvolle und wirkungsvolle Sucht- und Drogenpolitik, die sehr konstant über Jahrzehnte gemacht worden ist", sagte Lochner. Es gebe niederschwellige Angebote, etwa Spritzentausch, und viele Behandlungsmöglichkeiten. „Ein ganz wichtiger Punkt ist: In Wien sind Suchtkranke zu einem ganz, ganz hohen Prozentsatz, weit über 95 Prozent, wohnversorgt.“ Das sei ein Unterschied zu anderen Großstädten.
Im europäischen Vergleich liegt Wien im Mittelfeld, teilweise auch im oberen Mittelfeld. Bei Kokain ist Wien beispielsweise auf Rang 29 von 90 untersuchten Städten. An der Spitze ist hier das belgische Antwerpen, das auch das MDMA-Ranking anführt. Spitzenreiter bei Methamphetamin ist die tschechische Stadt Ostrava, bei Cannabis das niederländische Rotterdam, bei den Amphetaminen Gävle in Schweden und bei Ketaminen Bristol im Vereinigten Königreich.
Urban Journalism Network
Dieser Artikel entstand in Zusammenarbeit mit dem Urban Journalism Network, das sich den Herausforderungen europäischer Großstädte und Länder widmet. Das Projekt ist eine Fortführung der europäischen Recherche Cities for Rent und wird vom Stars4Media-Programm gefördert.
Allerdings: Auch wenn Wien im Vergleich zu den Spitzenreitern deutlich niedrigere Werte hat – bei allen in Wien untersuchten Drogen liegt die Stadt über dem Median, bei Kokain und Meth sogar sehr deutlich.
Graz und Wiener Neustadt überholten Wien
Innerhalb von Österreich ist Wien im Monitoring übrigens bei keiner einzigen Substanz mehr auf Platz eins. Denn unter anderem Graz verzeichnete starke Zuwächse und verdrängte Wien Amphetaminen und MDMA. Bei „Crystal Meth“ liegt nun Wiener Neustadt vor Wien.
Bei Kokain und Cannabis ist weiterhin Kufstein ganz vorne – wie schon 2022. Die stärksten Zuwächse gibt es in Österreich in Kapfenberg bei Cannabis (plus 215 Prozent), in Purgstall bei MDMA (plus 124 Prozent) und Wildon bei Amphetaminen (plus 123 Prozent). Insgesamt gibt es in Österreich ein Plus bei allen Substanzen, bis auf „Crystal Meth“.
Diesmal Untersuchungen in 94 Städten
Breit bekanntgeworden sind Abwasseruntersuchungen vor allem in der Coronavirus-Pandemie. Auf Rückstände von Drogen wird das Abwasser aber schon länger untersucht. Seit 2011 gibt es dazu eine europaweite Studie, durchgeführt im Auftrag der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMCDDA).
Sechs Substanzen werden untersucht: Kokain, Cannabis, Methamphetamin (besser bekannt als „Chrystal Meth“), Amphetamin („Speed“), MDMA („Ecstasy“) und Ketamin. Jeweils eine Woche lang wurden im Frühjahr 2023 Proben aus Abwasseranlagen entnommen – in insgesamt 94 europäischen Städten. Seit dem Vorjahr werden auch Daten für Wien veröffentlicht.
Kokain und Ecstasy als Wochenenddrogen
Durch die Messungen über eine Woche lassen sich auch interessante Aussagen treffen, welche Drogen wann besonders intensiv konsumiert werden. In Wien sind Kokain und Ecstasy beispielsweise besonders fürs Wochenende beliebt. Cannabis und „Chrystal Meth“ wird im Vergleich dazu relativ gleichmäßig an allen Wochentagen konsumiert.