Musiker Herwig Zamernik, Karoline Guiela Nguyen (Dir. Theatre National de Strasbourg), Regisseur Milo Rau, Komponistin Bushra El-Turk und Florentina Holzinger (Choreografin und Performancekuenstlerin)
APA/Eva Manhart
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Politik

Antisemitismusdebatte um Festwochen

Zwei Monate vor dem Start der Wiener Festwochen ist eine Antisemitismusdebatte entbrannt. Es geht dabei um Vorwürfe gegen die französische Schriftstellerin Annie Ernaux und den griechischen Ex-Finanzminister Gianis Varoufakis. Die beiden sind aber bei den Festwochen gar nicht anwesend.

Die Wiener Festwochen rufen ab 17. Mai unter ihrem neuen Intendanten Milo Rau die Freie Republik Wien aus. Ernaux und Varoufakis wurden als Mitglieder eines „Rats der Republik“, einer Art fiktiven Parlaments, ausgewählt. Ihnen wird ein problematisches Verhältnis zu Israel bzw. dem Terrorakt vom 7. Oktober vorgeworfen. Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) fordert deren Ausladung, wie der „Kurier“ am Freitag berichtet. Man nehme die vorgebrachten Bedenken „sehr ernst“, betonte Rau am Freitagnachmittag in einem der APA übermittelten Statement.

Sobotka sei aber falsch informiert: „Weder Ernaux noch Varoufakis werden als ‚Stargäste‘ teilnehmen, noch bei den Festwochen persönlich präsent sein. Wie über 100 andere Menschen aus Wien und der ganzen Welt werden sie Teil des ‚Rats der Republik‘ sein, der die Festwochen bei der Abfassung der ‚Wiener Erklärung‘ gemäß ihrer unterschiedlichen Expertise unterstützt. Zu dieser Expertise gehört nicht ihre jeweilige politische Haltung zum Krieg in Israel und Palästina.“

Auftritte für Sobotka „skandalös“

Literaturnobelpreisträgerin Ernaux unterstützt die Israelboykott-Kampagne BDS, ist aber kein Mitglied. Die Organisation spricht sich in Teilen gegen das Existenzrecht Israels aus. Ökonom Varoufakis hat eine Petition für den Ausschluss Israels von der Venedig-Biennale unterschrieben, im Text wird Israel „Völkermord“ vorgeworfen, der Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober dagegen völlig verschwiegen.

Sobotka fand in einem Statement gegenüber dem „Kurier“ scharfe Worte: „Für mich ist es unerträglich, dass unter dem Vorwand der Kunst- und Meinungsfreiheit, so wie das schon bei der documenta in Kassel passiert ist, der Antisemitismus über die Hintertür zu uns ins Land getragen wird.“ Die Auftritte von Ernaux und Varoufakis seien „skandalös“, befindet Sobotka.

Einstimmige Ablehnung im Gemeinderat

Auch alle im Wiener Gemeinderat vertretenen Parteien distanzieren sich vom geplanten Auftritt von Anni Ernaux. Bei der Sitzung am Mittwoch wurde eine gemeinsame Resolution eingebracht und einstimmig verabschiedet. Darin wurde die Verantwortlichen in der Veranstaltungsprogrammierung der Festwochen aufgefordert, die Einladung an Ernaux „nachhaltig zu überdenken“.

In der Resolution wurde darauf verwiesen, dass der Wiener Gemeinderat bereits hat am 27. Juni 2018 eine Resolution gegen die BDS-Bewegung einstimmig beschlossen hatte. „Der Wiener Gemeinderat ist Repräsentant der Menschenrechtsstadt Wien und steht in seiner Tradition für die strikte Bekämpfung von Antisemitismus, in welcher Form auch immer. Antisemitismus ist inakzeptabel und darf nicht toleriert werden, insbesondere im Zusammenhang mit einer öffentlichen Veranstaltung“, hieß es in der Resolution am Mittwoch.

Rau weist Vorwürfe zurück

Ernaux aufgrund ihrer Kritik gewisser Aspekte der israelischen Politik als „Antisemitin“ zu bezeichnen, sei „so falsch und absurd“, als würde man sie aufgrund ihrer Kritik der iranischen Regierung als „Islamhasserin“ oder aufgrund der Kritik ihrer eigenen Regierung als „frankophob“ bezeichnen, schrieb Rau in einem Offenen Brief. „Mit solchen Aktionen entleert man den Begriff des Antisemitismus, der ein reales Problem darstellt, das es gemeinsam zu bekämpfen gilt. Ernaux geht es bei all ihrer literarischen und politischen Arbeit um die Anklage von Gewalt und ein gewaltloses Zusammenleben.“

Zu Varoufakis äußerte sich Rau in einem Interview mit dem „Standard“ (Freitagausgabe). Im „Rat der Republik“ sollen Mitglieder aus allen politischen Lagern sitzen. „Ich oder das Team der Festwochen sind mit keinem der Mitglieder des Rats in allen Punkten einverstanden. Und so bin ich etwa mit Varoufakis in der Frage dieser Petition nicht einverstanden.“ Aber sei es illegal oder antisemitisch, sie zu unterschreiben? „Nein“, so Rau. „Das Prinzip der Demokratie und Meinungsfreiheit muss bestehen bleiben. Sonst können wir gar nicht mehr miteinander diskutieren.“

Man sei „sehr stolz“, so Rau gegenüber der APA, „dass die Nobelpreisträgerin Ernaux, Schöpferin einer neuen biografischen Literaturgattung und für ihr soziales und feministisches Engagement berühmt, sowie Yanis Varoufakis mit seinem Engagement für eine demokratischere EU im Rat sind“. Zugleich hielt er fest: Jüdisches Leben in Europa sei zentrale Programmlinie der Wiener Festwochen 2024, mit Stücken von Elfriede Jelinek bis Kornel Mundruczo, oder der „Rede an Europa“ des deutsch-israelischen Philosophen Omri Boehm, der gerade mit dem Preis für Europäische Verständigung ausgezeichnet wurde.

Currentzis-Auftritt abgesagt

Für Kontroversen hatte bereits die Programmierung des Dirigenten Teodor Currentzis gesorgt, dem mangelnde Distanzierung vom Kreml vorgeworfen wird. Die ukrainische Dirigentin Oksana Lyniv verwehrte sich dagegen, dass ihr Auftritt mit dem Requiem „Babyn Yar“ gemeinsam mit dem Currentzis-Dirigat von Benjamin Brittens „War Requiem“ beworben wurde. Aus Respekt ihres Wunsches, „aktuell nicht in einen inhaltlichen Kontext mit Currentzis gestellt zu werden“, sagten die Wiener Festwochen daraufhin den Currentzis-Auftritt ab.