Beethoven Graphik
Michael Zagorski/WIENBEETHOVEN2020
Michael Zagorski/WIENBEETHOVEN2020
Kultur

Vor 200 Jahren: „Götterfunke“ in Wien

Es ist eines der monumentalen Werke der Menschheit, das – zumindest in Auszügen – selbst jene kennen, die sonst keinen Bezug zur klassischen Musik haben: die 9. Sinfonie von Ludwig van Beethoven samt der Ode „An die Freude“. Vor genau 200 Jahren – am 7. Mai 1824 – erlebte sie ihre Uraufführung in Wien.

„An die Freude“ mit den Anfangsworten „Freude, schöner Götterfunken“ ist eines der berühmtesten Gedichte Friedrich Schillers und beschreibt das klassische Ideal einer Gesellschaft gleichberechtigter Menschen, die durch das Band der Freude und der Freundschaft verbunden sind.

Die Ode entstand im Sommer 1785 und wurde von Ludwig van Beethoven im vierten Satz seiner 9. Sinfonie vertont. Dass das musikalische Werk eine neue Phase der Musikgeschichte einläutete, war auch schon bei der Uraufführung klar. Erstmals erklang das weit über eine Stunde dauernde Werk im 1708 fertiggestellten und 1873 abgerissenen Wiener Kärntnertortheater.

Jahrzehntelange Suche nach der Form

Beim Publikum war das Stück sogleich ein Erfolg, die Kritiker beurteilten die musikalische Revolution allerdings ambivalenter. Diese war das Ende eines langen Schaffensprozesses, trug sich Beethoven doch bereits kurz nach dem Erscheinen von Schillers Gedicht „An die Freude“ im Jahr 1786 mit dem Gedanken, das Poem zu vertonen.

Es folgte eine jahrzehntelange Suche nach der Form, die schließlich im Aufbrechen des sinfonischen Kanons mündete, in dem der bereits weitgehend taube Komponist im letzten Satz Chor und Solisten einfügte. Die König Friedrich Wilhelm III. von Preußen gewidmete, letzte vollendete Sinfonie Beethovens ebnete damit den stilistischen Weg für Nachfolger wie Anton Bruckner und Gustav Mahler.

Jubiläum für Beethovens 9. Sinfonie

Beethovens 9. Sinfonie feiert ihr 200-Jahr-Jubiläum. Aus diesem Anlass findet Dienstagabend das Jubiläumskonzert im Wiener Konzerthaus statt.

Mythos der neun Sinfonien

Zugleich begründete das von Richard Wagner als „das menschliche Evangelium der Kunst der Zukunft“ gepriesene Werk den Mythos der neun Sinfonien, die einerseits große Tonsetzer erreichen müssen und andererseits auch schwerlich überschreiten können. Schubert, Bruckner, Dvorak und Mahler sind etwa nicht zur vollendeten 10. Sinfonie gekommen.

Beethovens berühmte Ode „An die Freude“ wurde 1972 vom Europarat zur Hymne erkoren, 1985 von der damaligen Europäischen Gemeinschaft zur Europahymne gekürt. Die 9. Sinfonie wurde 2001 schließlich von der UNESCO zum Weltdokumentenerbe geadelt. Und sie wird in zahlreichen Filmen zitiert oder persifliert, wie von Kurt Sowinetz mit „Alle Menschen san ma z’wider“.

Originalpartitur zu sehen

Zahlreiche Institutionen in ganz Österreich begehen nun den 200. Geburtstag dieses Stücks. Die Wiener Philharmoniker würdigen das Jubiläum gemeinsam mit dem Theatermuseum und der Staatsbibliothek zu Berlin. So hat man es geschafft, die größte je in Österreich gezeigte Auswahl an Blättern der handschriftlichen Partitur temporär von Berlin nach Wien zu holen.

Im einstigen Musikzimmer der Theatermuseumsheimstatt Palais Lobkowitz sind die Blätter noch bis 1. Juli unter dem Titel „Freude, schöner Götterfunken“ zu sehen. Die Wiener Philharmoniker unter Riccardo Muti lassen die Sinfonie seit Samstag in mehreren Terminen im Musikverein erklingen, wobei man sich Stars wie Mezzosopranistin Marianne Crebassa und Bass Günther Groissböck an die Seite geholt hat. Ö1 überträgt das Konzert am Dienstag live – mehr dazu auf oe1.ORF.at. Am Donnerstag zeigt ORF2 ab 22.20 Uhr eine Aufzeichnung.

Zahlreiche weitere Veranstaltungen

Das Konzert ist Teil eines Themenabends, zu dem auch die neue Dokumentation „Beethovens Neunte und das Kärntnertortheater – Ein musikalischer Krimi“ gehört. Darin zeichnet Regisseurin Barbara Weissenbeck die Geschichte des abgetragenen Uraufführungsortes nach, von dem ein bis in alle Details korrektes Modell erstellt wurde, um die damaligen akustischen Bedingungen im Detail nachvollziehbar zu machen.

Im Musikverein nimmt bereits seit 3. Mai die Kinderschiene „Agathes Wunderkoffer“ den „Götterfunken“ ins Zentrum. Die Wiener Symphoniker wollten sich unterdessen am 7. Mai als dem offiziellen Jubiläumstag Joana Mallwitz ans Pult holen, um im Konzerthaus mit Solisten wie Tanja Ariane Baumgartner und Andreas Schager die Sinfonie erklingen zu lassen. Die 37-Jährige musste das Vorhaben jedoch aus gesundheitlichen Gründen absagen. Da sich auf die Schnelle keine andere weibliche Pultkraft auftreiben ließ, springt nun der designierte Chefdirigent der Symphoniker, Petr Polpelka, ein.

Eine Sinfonie, vier Orchester

Das Ganze ist schließlich Teil eines Projekts des Kultursenders Arte, der aus Anlass des Jahrestages zeitversetzt die vier Sätze der Sinfonie gespielt von vier verschiedenen Orchestern überträgt. Den Symphonikern bleibt in diesem Mammutvorhaben der Königssatz, also der vierte, über.

Eröffnet wird dieser Vierstationenabend vom Gewandhausorchester Leipzig unter Andris Nelsons, dem das Orchestre de Paris unter Klaus Mäkelä folgt, bevor Riccardo Chailly mit dem Orchestra del Teatro alla Scala Satz Nr. 3 intoniert. Wer lieber ganz auf Wiener Klang setzt, für den überträgt ORF III ab 20.15 Uhr zeitversetzt das Konzert.

Sonderausstellung in Baden

Noch weit über das eigentliche Jubiläum hinaus ist im Beethovenhaus Baden die neue Sonderausstellung „Der Weg der Neunten – von Baden in die Welt“ zu sehen, die bereits eröffnet ist. Bis 3. November wird hier die umfassende Kulturgeschichte der 9. Sinfonie nachgezeichnet, wobei man sich zwei von Beethoven in Baden verfasste Briefe als Ausgangspunkt nimmt, die vom Beethoven-Haus Bonn zur Verfügung gestellt werden.