Polizisteneinsatz Innenstadt
APA/Roland Schlager
APA/Roland Schlager
Politik

Fünf Tote nach Terroranschlag

In der Innenstadt hat es am Montagabend einen Terroranschlag an sechs Tatorten gegeben. Vier Passanten wurde getötet, es gibt mindestens 22 Verletzte. Ein Attentäter wurde von der Polizei erschossen. Die Menschen sollen daheim bleiben, so lautet der Appell der Behörden.

Laut Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) geht man derzeit von mehreren hoch bewaffneten und gefährlichen Tätern aus. Der Terroranschlag sei nach wie vor im Gang. Mindestens ein Täter befinde sich noch auf der Flucht. Die Gefahrenzone wurde auf ganz Wien ausgeweitet, öffentliche Plätze sollen gemieden werden. „Bleiben Sie zu Hause! Meiden Sie die Innenstadt!“, so Nehammer. Zudem wird die Schulpflicht am Dienstag ausgesetzt.

Der Großeinsatz der Exekutive lief auch in den Nachtstunden weiter. So waren 150 Cobra- sowie 100 Wega-Beamte im Einsatz, dazu kamen mehrere 100 Streifenpolizisten sowie Kräfte in zivil. Die Gefahrenabwehr werde mit aller Kraft sichergestellt, sagte der Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit, Franz Ruf. Auch werden in Absprache mit den Partnerländern verstärkt Kontrollen an den österreichischen Grenzen vorgenommen.

Wahllos um sich geschossen

Mit einem Notruf, der gegen 20.00 Uhr mehrere Schüsse in der Seitenstettengasse in der Innenstadt anzeigte, hat ein Großeinsatz der Exekutive begonnen. Die Tat ereignete sich in der Nähe der Israelitischen Kultusgemeinde Wien (IKG) und deren Synagoge. Kurz nach 20.00 Uhr waren laut Augenzeugen mehrere Schüsse zu hören. Die Täter dürften wahllos um sich geschossen haben, dabei ist ein Passant getötet worden. Eine ebenfalls verletzte Frau starb später im Spital.

Einer der Attentäter wurde von der Polizei vor der Ruprechtskirche erschossen. Er dürfte keinen Sprengstoffgürtel, sondern eine Attrappe getragen haben. Dies wird derzeit noch näher untersucht. Die Polizei überprüft derzeit noch die Identität des Attentäters. Sichergestellt wurden ein vollautomatisches Sturmgewehr und viel Munition.

Fotostrecke mit 17 Bildern

Polizisteneinsatz Innenstadt
APA/Roland Schlager
Polizisteneinsatz Innenstadt
APA/Roland Schlager
Polizisteneinsatz Innenstadt
APA/Roland Schlager
Polizisteneinsatz Innenstadt
APA/Roland Schlager
Polizisteneinsatz Innenstadt
APA/Roland Schlager
Bewaffnete Polizei Wegabeamte
APA/Georg Hochmuth
Polizisten mit Waffen
APA/Roland Schlager
Polizisten richten Waffe in die Höhe
APA/Roland Schlager
Polizisten mit Waffen
APA/Roland Schlager
Polizisten mit Waffen
APA/Roland Schlager
Polizeiwagen
APA/Georg Hochmuth
Polizeiwagen
APA/Georg Hochmuth
Polizeiautos in der Innenstadt
APA/Georg Hochmuth
Bewaffnete Polizei Wegabeamte
APA/Georg Hochmuth
Polizeiautos in der Innenstadt
APA/Georg Hochmuth
Polizeiautos in der Innenstadt
APA/Georg Hochmuth
Polizist am Schwedenplatz
ORF

Mindestens sieben Schwerverletzte

Mehrere Passanten und ein Polizist wurden bei der von mehreren Tätern an mindestens sechs bisher bestätigten Orten in der City schwer verletzt, sagte Harald Sörös, Sprecher des Innenministeriums. Neben der Seitenstettengasse waren weitere Orte der Morzinplatz, das Salzgries, der Fleischmarkt, der Bauernmarkt und der Graben. 17 Opfer der Attacke wurden mit Schussverletzungen in Wiener Spitäler eingeliefert. Mindestens sieben dieser Personen seien schwer verletzt.

Nehammer bestätigte Terroranschlag

Es handle sich um einen Terrorattacke, so Nehammer. Man gehe derzeit von mehreren Tätern aus. Die Täter sollen Langwaffen benutzt haben. „Falls sie sich in einem Lokal befinden, bleiben sie darin“, appellierte der Innenminister am Montagabend. Ansonsten solle man öffentliche Plätze meiden und zu Hause bleiben.

Zum Zeitpunkt des Anschlages dürften sich keine Menschen im Stadttempel in der Seitenstettengasse und in den Räumlichkeiten der IKG befunden haben, wie IKG-Präsident Oskar Deutsch berichtete. Man habe die Gemeindemitglieder dazu aufgefordert, nicht das Haus zu verlassen. Auch generell rief die Polizei dazu auf, Wohnungen oder Lokale rund um den Schwedenplatz nicht zu verlassen.

Teile des Jagdkommandos aktiviert

Auch das Bundesheer wurde aktiviert. Das Militär übernimmt sämtlichen Objektschutz in der Bundeshauptstadt und Teile des Jagdkommandos stehen zur Unterstützung der Terrorismusbekämpfung zur Verfügung, hieß es aus dem Bundeskanzleramt Montagabend.

„Jetzt ist es wichtig, alle verfügbaren Kräfte in Bereitschaft zu bringen, um die Durchhaltefähigkeit der Exekutive sicherzustellen. Die Bundesregierung hat daher mit sofortiger Wirkung die notwendigen Kräfte des österreichischen Bundesheers aktiviert.“ In einem ersten Schritt übernehmen die Soldaten zur Entlastung der Polizei sämtlichen Objektschutz in der Bundeshauptstadt. Zusätzlich wurden Teile des Jagdkommandos aktiviert und stehen zur Unterstützung der Terrorismusbekämpfung zur Verfügung.

Bewaffnete Polizei Wegabeamte
APA/Georg Hochmuth
Großeinsatz in der Innenstadt

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) ist nach dem Anschlag in Wien laufend in Krisensitzungen und hat bereits mit Bundespräsident Alexander Van der Bellen, dem Wiener Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) und allen Parteichefs telefoniert. Das teilte das Bundeskanzleramt Montagabend mit.

Polizei: „Alle sind im Einsatz“

Im Bereich der Innenstadt errichtete die Rettung einen Triage-Platz, um Verletzte nach Schwere ihrer Blessuren und Dringlichkeit einordnen zu können. Im Einsatz waren der Katastrophenzug und zahlreiche Einsatzkräfte der Partnerorganisationen der Rettung. Nach Informationen der APA wurde Spitalspersonal in mehreren Wiener Krankenhäusern alarmiert. Auch Helfer aus Niederösterreich sind mittlerweile im Einsatz. Die Berufsrettung appelliert auch an die Kollegenschaft, in den Dienst zu kommen, wenn möglich.

Der Terrorangriff hat einen Großeinsatz der Polizei ausgelöst. „Alle sind im Einsatz“, sagte eine Sprecherin der Wiener Polizei. Dazu zählten das EKO Cobra, die WEGA, die Diensthundestaffel und die Bereitschaftseinheit.

Keine Videos veröffentlichen

Ein Video zeigte dramatische Szenen aus der Seitenstettengasse. Ein mit einer Langwaffe bewaffneter Mann läuft die Gasse entlang und schießt auf einen vor einem Lokal stehenden Mann, der daraufhin zusammenbricht. Kurz darauf kehrt der Täter zurück und schießt mit einer Pistole aus kurzer Distanz ein zweites Mal auf den am Boden liegenden Mann.

Auf einem weiteren Video werden vier Männer an der Ecke Graben/Tuchlauben mit erhobenen Händen und nacktem Oberkörper von Sicherheitskräften gestellt. Davon gibt es auch Fotos, darauf knien die Männer am Boden vor den schwer bewaffneten Spezialeinheiten, dem Anschein nach könnte es sich um Festnahmen handeln.

Die Wiener Polizei appellierte, es sollten keine Videos und Fotos von den Vorgängen in Sozialen Netzwerken veröffentlicht werden. „Dies gefährdet sowohl Einsatzkräfte als auch Zivilbevölkerung.“

Kurz: „Sehr angespannte Lage“

Kurz hat in einem Interview mit der ZIB Spezial bestätigt, dass es sich bei der Attacke „definitiv um einen Terroranschlag“ gehandelt habe. Dieser sei „sehr professionell“ vorbereitet worden. Die Täter seien auch sehr gut mit Waffen ausgerüstet gewesen. Es herrsche eine „sehr angespannte Sicherheitslage“, betonte der Kanzler. Mehrere Täter seien nach wie vor unterwegs, der Polizeieinsatz laufe auf Hochtouren.

Ob die Menschen morgen wieder normal auf die Straße gehen könnten, hänge von der kommenden Nacht ab. Die Gefahr sei noch nicht vollständig gebannt. Zum Hintergrund der Bluttat könne man noch nicht wirklich etwas sagen. Angesichts der Nähe des Tatorts zur Hauptsynagoge in Wien sei ein antisemitischer Hintergrund nicht auszuschließen.

Ludwig „Bilder machen fassungslos“

Der Wiener Bürgermeister Ludwig zeigte sich auf Twitter entsetzt und betroffen über den Anschlag in Wien: „Zutiefst bestürzt haben wir die Informationen über die Schießerei in der inneren Stadt erhalten. Die Bilder sind schockierend und machen uns fassungslos.“ Auch er appellierte an die Wienerinnen und Wiener, zu Hause zu bleiben.

Ludwig selbst ist beim Krisenstab der Polizei eingetroffen. Die Bevölkerung solle daheim bleiben und Ruhe bewahren, so Ludwig gegenüber dem ORF. Was man derzeit wisse, ist, dass sich die Attentäter von der Seitenstettengasse in die Innenstadt aus bewegt haben. Dabei hätten sie „wahllos“ auf Gäste in Lokalen geschossen. Zum Teil auf Personengruppen in Schanigärten.

Die Landespolizeidirektion Wien forderte die Bevölkerung via Twitter auf, sich von allen öffentlichen Plätzen fernzuhalten. Die öffentlichen Verkehrsmittel sollten ebenfalls gemieden werden, appellierte die Polizei in einem auf Englisch verfassten Tweet.

Zeuge: „Der hat mit automatischer Waffe wild geschossen“

„Es hat sich nach Krachern angehört“, schilderte ein Augenzeuge, der anonym bleiben wollte, in einer Sonderausgabe der ORF-Sendung Zeit im Bild. „Dann hat man gemerkt, das sind Schüsse. Dann sah man eine Person die Seitenstetten herunterlaufen, der hat mit einer automatischen Waffe wild geschossen. Der ist dann abgebogen, hinunter, beim (Lokal) ‚Roter Engel‘ von dort in Richtung Schwedenplatz. Er hat dort wild weitergeschossen. Dann kam die Polizei und hat geschossen.“

Gemeinderabbiner Schlomo Hofmeister wurde Zeuge, wie auf Menschen im Bermuda-Dreieck geschossen wurde. „Mindestens ein Angreifer – es ist sehr schwer zu sagen, wie viele es waren – hat auf die Menschen geschossen, die vor den Bars und Pubs im Bermuda-Dreieck gesessen sind“, sagte Hofmeister in der ZIB. Daraufhin seien die Menschen panisch in die Lokale gerannt, der oder die Angreifer hinterher. Laut Hofmeister wurde auch in den Bars noch geschossen. „Plötzlich waren in den Hauseingängen überall Sondereinheiten positioniert. Die Polizei hat nach eventuellen Verletzten gerufen und aus den Bars hörte ich Rufe: ,Ja, hier gibt es zwei Verletzte! Und hier ist auch einer.’“

„Verlassen Sie den ersten Bezirk!“

Die Polizei wies alle Passanten an, den ersten Wiener Gemeindebezirk zu räumen. „Verlassen Sie den ersten Bezirk!“, riefen schwer bewaffnete Polizisten in Schutzausrüstung Radfahrern, Spaziergängern und Passanten zu. Auch Fahrzeuge wurden angewiesen umzudrehen. „Es gibt einen Terroranschlag“, so die allgemeine Auskunft. Relativ rasch kehrte gespenstische Stille ein, Bundeskanzleramt und Bundespräsidentschaftskanzlei waren verwaist, keine Polizisten ohne Schutzausrüstung, keine Menschen auf der Straße. Der Bezirk wurde weitläufig abgesperrt.

Ein ähnliches Bild zeigte sich auch auf der Mariahilfer Straße. Die Polizei sperrte die Straße weiträumig ab, Passanten wurden weggeschickt, der Polizeihubschrauber kreiste. „Verlassen Sie die Straße, suchen Sie Schutz in Gebäuden!“, forderte die Polizei via Lautsprecher die Passanten auf. Die Stimmung war angespannt, Menschen schrien einander gegenseitig an, die Straße zu verlassen.

Polizisteneinsatz Innenstadt
APA/Roland Schlager
Mindestens ein Täter ist noch auf der Flucht

Spekulationen über Jihadisten-Hintergrund

Die Hintergründe des Anschlags waren zunächst unklar. Auf sozialen Medien folgten schnell Spekulationen über einen dschihadistischen Hintergrund. Das wurde zunächst nicht bestätigt. Das auf die Überwachung islamistischer Websites spezialisierte US-Unternehmen SITE hat auf seiner Homepage einen Jihadisten zu dem mutmaßlichen Anschlag in Wien zitiert: „Jihadist sagt, der Angriff in Wien ist Teil der Rechnung für die österreichische Beteiligung an der US-geführten Koalition“, heißt es dort in einem Satz. Beigestellt ist ein Bild aus der Wiener Innenstadt.

Bermuda-Dreieck als Ziel

Die Attentäter von Wien haben sich wohl nach Vorbild des Pariser Anschlags im Jahr 2015 als Ziel einen Ausgeh-Hotspot ausgesucht. Die Terrorattacke nahm ihren Ausgang in der Seitenstettengasse. Dort befindet sich nicht nur die jüdische Synagoge, sondern auch das Bermuda-Dreieck, ein alt gedientes Lokalviertel in der Wiener Innenstadt.

Das Bermuda-Dreieck erstreckt sich vom Rabensteig über die Seitenstettengasse bis zur Judengasse und zum Ruprechtsplatz, alles nahe dem Verkehrsknotenpunkt Schwedenplatz. Angesichts der milden Temperaturen und der morgen coronavirusbedingt startenden Gastrosperre war die Gegend, in der sich Lokal an Lokal reiht, auch an einem Montagabend belebt.