Eine Ärztin geht über einen leeren Gang der Klinik Floridsdorf
ORF/Bernt Koschuh
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Coronavirus

CoV-Intensivstation: „Kommen an Grenzen“

Die Situation auf den Wiener Intensivstationen angespannt wie noch nie: 215 Personen müssen derzeit aufgrund einer CoV-Erkrankung behandelt werden. Bei einem Besuch des ORF in der Klinik Floridsdorf berichtet eine Oberärztin: „Wir kommen an unsere Grenzen.“

Die Zahl jener Menschen, die aufgrund einer Coronavirus-Erkrankung intensivmedizinisch betreut werden müssen, ist am Donnerstag damit einmal mehr auf einen neuen Höchstwert geklettert. 80 der Betten auf Intensiv- und Beobachtungsstationen stehen in der Klinik Floridsdorf (ehemals Krankenhaus Nord) zur Verfügung. 37 davon waren am Mittwoch mit Covid-Patienten belegt. Ö1 hatte die seltene Gelegenheit, sich auf einer der Covid-Intensivstationen selbst ein Bild von der Lage zu machen.

Gleich zu Beginn des Besuches eine heikle Situation: Acht Pflegekräfte und Ärztinnen und Ärzte in blauer Schutzkleidung eilen zu einem Patienten in einer Intensivkoje, sie drehen ihn von der Bauchlage auf den Rücken und versuchen, seine Körperfunktionen zu stabilisieren. Die Sauerstoffsättigung in seinem Blut ist auf nur 30 Prozent abgesunken.

Es sind Situationen wie diese, mit denen Oberärztin Barbara Sitter immer wieder konfrontiert ist: „Bei den Patienten, die frisch intubiert sind, ist es meistens leider so, dass sie sehr instabil sind. Wenn man sie nur angreift und minimale Handlungen setzt, die aber notwendig sind, entsättigen sie uns so, dass sie im Blut überhaupt keinen Sauerstoff mehr für die Versorgung des Gehirns haben. Sobald sie ein bisschen gestresst sind, hat der Patient ein höheres Energielevel und es geht noch weniger Luft in die schon kranke Lunge hinein. Das ist leider ein häufiger Notfall, den wir jetzt gerade gesehen haben“, sagt Sitter im Interview mit Ö1.

„Viele weinen auch einmal nach dem Dienst“

Es ist laut der Oberärztin nicht so sehr die Arbeitsbelastung, die dem Spitalspersonal zu schaffen macht. Vielmehr sei es die Psyche. Denn diese Station ist für besonders schwere Fälle gedacht. 50 Prozent der Covid-Intensivpatienten hier sterben, sagt Sitter: „Wir kommen jetzt schon an unsere Grenzen. Wir merken, dass viele Kollegen, sowohl von der Pflege als auch von den Ärzten, ein Deeskalationsgespräch brauchen – auch einmal weinen nach einem Dienst, weil sie nicht mehr können.“

Was Covid-19 und speziell die britische Mutation von anderen Erkrankungen wie Krebs unterscheidet, bringt die Oberärztin so auf den Punkt: „Wir haben keine Zeit.“ Weil sich der Zustand der Patienten oft rasant verschlechtere: „Wir kriegen jeden Tag drei, vier Anrufe von Normalstationen für ein, zwei freie Betten. Das heißt, wir müssen uns immer überlegen: Welcher Patient ist jetzt am schlechtesten?“ Notfalls beginnt die Suche nach Intensivbetten in anderen Wiener Spitälern.

ORF-Reporter Bernt Koschuh und Primar Arschang Valipour
ORF/Bernt Koschuh
Ö1-Reporter Bernt Koschuh konnte sich mit Primar Arschang Valipour ein Bild der Lage auf den Intensivstationen machen

Durchschnittsalter zwischen 40 und 45 Jahren

Immer wieder müssen sich Ärztinnen und Ärzte dabei die belastende Frage stellen: „Habe ich mich richtig entschieden? Habe ich den richtigen Patienten jetzt rechtzeitig auf das Intensivbett gelegt? Komme ich mit dem anderen doch noch über die Nacht drüber?“ Manche Intensivpatienten haben weder Vorerkrankungen noch Übergewicht, sagen die Ärzte hier. Das Durchschnittsalter auf Intensiv- und Überwachungsstationen geben sie mittlerweile mit nur 40 bis 45 Jahren an.

„Das macht sicherlich etwas. Wenn ich weiß, ich habe hier den knapp 40-jährigen Familienvater mit zwei Kindern, die noch im Kindergarten sind, macht das schon was mit den Menschen“, schildert Sitter. Der Primar der Pneumologieabteilung, Arschang Valipour, erzählt: „Wir haben bis gestern eine 18-jährige Patientin auf der Intensivstation behandelt und haben erst vor wenigen Wochen bedauerlicherweise einen jungen Mann mit 26 Jahren verloren. Allerdings hatte dieser Patient doch schwere Stoffwechselerkrankungen und sehr schweres Übergewicht.“

„Ich konnte nicht auf die Toilette gehen“

Ortswechsel auf die Normalstation – hier ist die Stimmung gut. Der 55-jährige Chris Yorke ist so gut wie genesen. Aber auch er hatte massive Atemnot und Schmerzen: „Ich hatte 24 Stunden, vier Tage lang Kopfschmerzen, bevor ich ins Spital kam“, erzählt er gegenüber Ö1. Yorke stammt aus dem Covid-freien Neuseeland und ist Geschäftsführer des Österreich Wein Marketing. Die Atemnot hat ihn völlig kraftlos gemacht, erzählt er. „Ich konnte nicht auf die Toilette gehen und nicht aufstehen.“

Sauerstoffmaske, Medikamente und Physiotherapie samt Ergometer haben dazu beigetragen, dass der 55-Jährige das Spital bald verlassen darf. „Das hat sehr geholfen. Jeden Tag sechs Kilometer mit dem Fahrrad. Und heute Früh zum ersten Mal ohne Sauerstoff mit Physiotherapie“, erzählt er. Das sind die Erfolge, die in den heimischen Spitälern gefeiert werden können – auch in schwierigen Zeiten und vor allem bei Patienten die rechtzeitig in Spitalsbehandlung kommen.