Der Große Schwurgerichtssaal im Wiener Landesgericht
APA/Helmut Fohringer
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Chronik

Wiener IS-Prozess: Hauptangeklagte verurteilt

Am Wiener Landesgericht ist in der Nacht der große Terrorprozess zu Ende gegangen. Schuldsprüche gibt es für die drei Hauptangeklagten. Verurteilt wurden der ehemalige „Hassprediger“ Mirsad O. und zwei Männer, die für die Terrormiliz Islamischer Staat gekämpft haben sollen. Die beiden Ehefrauen der IS-Kämpfer gehen frei.

Die beiden mutmaßlichen IS-Kämpfer müssen dem Urteil zufolge mehrere Jahre ins Gefängnis. Sie fassten viereinhalb bzw. sechseinhalb Jahre Haft als Strafe aus. Allerdings nur dafür, dass sie Mitglieder der IS Terrormiliz waren. Morde und Gräueltaten konnten ihnen nicht nachgewiesen werden. Ebenfalls schuldig gesprochen wurde der ehemalige „Hassprediger“ Mirsad O. alias Ebu Tejma. Er bekam allerdings keine zusätzliche Strafe mehr, weil er bereits bei einem früheren Prozess zu 20 Jahren Haft verurteilt worden war.

Die beiden Ehefrauen der beiden mutmaßlichen IS-Terrorkämpfer wurden bei dem Prozess freigesprochen. Die Urteile sind allesamt noch nicht rechtskräftig. Verkündet wurden sie erst nach Mitternacht. Die Geschworenen brauchten neun Stunden zur Beratung. Zuvor standen am Dienstagvormittag die Plädoyers der Verteidigung auf dem Programm und die Schlussworte der Angeklagten, die teilweise recht tränenreich ausfielen. In neun Verhandlungstagen wurden die Geschehnisse seit dem Jahr 2013 aufgearbeitet.

Hauptangeklagter soll Miliz angeführt haben

Der Hauptangeklagte, ein gebürtiger Tschetschene, soll mit seiner Ehefrau und der gemeinsamen Tochter Ende August 2013 über die Türkei nach Syrien gereist sein und unter dem Kampfnamen Abu Aische im Bürgerkrieg für den IS gegen das Assad-Regime gekämpft haben. Zunächst kurze Zeit in einer bunt zusammen gewürfelten Miliz, dann bis April 2015 in einer aus Tschetschenen gebildeten Kampftruppe, wobei er laut Anklage eine Führungsfunktion innehatte.

Die Truppe tat sich der Staatsanwaltschaft Graz zufolge, die die Ermittlungen geleitet hatte, offenbar durch besondere Grausamkeit hervor. So soll Turpal I. in der nordsyrischen Stadt Haritan die Erschießung von Bewohnern eines Hochhauses sowie von drei als Sklavinnen gefangen genommenen Frauen angeordnet haben. In Ratjan, einer Kleinstadt nördlich von Aleppo, ließ er laut Anklage zumindest sieben Schiiten mit Messern die Köpfe abschneiden, in der unweit gelegenen Stadt Hajjan soll er sich an ähnlichen Tötungen von Männern und Frauen in einer Wohnsiedlung aktiv beteiligt haben.

Angeklagter bestreitet und sieht Verwechslung

Er bestreitet das. Turpal I. meinte vor Gericht, er werde verwechselt, er habe in Syrien zwei- oder dreimal das Grab seines Schwagers besucht. „Dass ich Gräueltaten begangen habe, das sind falsche Vorwürfe“, meinte der 32-Jährige in seinen Schlussworten. Er betonte erneut, unschuldig zu sein. Für seinen Verteidiger Florian Kreiner gebe es kein Beweismittel, das darauf schließen lasse, dass Turpal I. für die gegen ihn erhobenen Vorwürfe verantwortlich sei. „Wir haben hier massive Gräueltaten, die absolut zu verurteilen sind. Aber damit hat mein Mandant nichts zu tun“, sagte der Anwalt in seinem Plädoyer.

Die Aussagen des „Kronzeugen“, der gegen tschetschenischstämmige Foreign Terrorist Fighter ausgesagt hat, bezeichnete Kreiner als „erfundene Geschichten, die von hinten bis vorne nicht stimmen“. Der Mann, der auch vor Gericht mit Erinnerungslücken zu kämpfen hatte, habe sich bereits im Ermittlungsverfahren widersprochen. „Das ist keine Grundlage für eine Verurteilung“, so der Anwalt.

2004 als Flüchtling nach Wien gekommen

Der Tschetschene war 2004 als Flüchtling nach Österreich gekommen und wurde laut Anklage vom radikalislamistischen „Hassprediger“ Mirsad O. für den IS rekrutiert. Er soll mehrere junge Männer dazu gebracht haben, für den IS in Syrien in den Krieg zu ziehen, darunter einen zum Islam konvertierten Steirer und einen jungen Tschetschenen, der im Mai 2013 bei Kampfhandlungen ums Leben kam.

Mirsad O. zeigte sich in dem Verfahren großteils geständig, er habe zu terroristischen Straftaten aufgerufen, von den Gräueltaten, an denen Turpal I. laut Anklage dort beteiligt gewesen sein soll, habe er aber nichts gewusst, sagte sein Anwalt Leonhard Kregcjk. „Es tut mir leid, dass es passiert, ich kann es nicht mehr ändern. Ich hätte mir gewünscht, damals hätte mir einer die Hand gereicht“, sagte der Beschuldigte.

Mirsad O. soll auch den 32-jährigen Steirer rekrutiert haben. Dieser war mit 17 zum Islam konvertiert, weil er sich in eine Muslima verliebt hatte. In weiterer Folge radikalisierte er sich, angespornt von den Predigten und Vorträgen von Mirsad O. Im September 2013 reiste er mit seiner Frau und dem gemeinsamen drei Monate alten Sohn an die türkisch-syrische Grenze. Während Frau und Kind in der Türkei blieben, setzte der Mann nach Syrien über, wo er bereits von IS-Kämpfern erwartet, in ein Haus gebracht und mit einer Kalaschnikow ausgestattet wurde.

„Ich hab nicht gewusst, was Krieg bedeutet“

„Ich hab damals nicht gewusst, was Kampfhandlungen bedeuten, was Krieg bedeutet“, schilderte der Angeklagte. Seine ursprüngliche Bereitschaft, für den IS gegen das Assad-Regime zu kämpfen, schwand jedoch rasch, als seine Truppe von Kampfjets bombardiert wurde. „Ich hätte auch tot sein können. Ich habe die letzten zehn Jahre meines Lebens verschwendet, für diesen Schwachsinn und für diese Ideologie“, sagte der Steirer in seinen Schlussworten.

Er habe seiner Familie „Elend“ beschert. „Ich bereue es zutiefst.“ Aufgrund seines umfangreichen Geständnisses und weil er auch gegen Mitangeklagte ausgesagt hat, hätte er es nicht leicht in der Haft, aber er wolle nicht jammern. „Das Geständnis gehört für mich zur Reue dazu.“ Er wolle dem Sohn und der Tochter eine islamfreie, religionsfreie Zukunft geben, deshalb habe er auch den muslimischen Namen des Buben ändern lassen. „Sie sollen so aufwachsen, wie ich aufgewachsen bin, in der Steiermark, frei von Gewalt.“ Auch seine Eltern, die sich seit zehn Jahren Sorgen gemacht haben, sollen endlich ein normales Leben führen können.

Zwei Ehefrauen mitangeklagt

Mitangeklagt sind neben den beiden Foreign Terrorist Fighters und Mirsad O. die Ehefrau des Steirers und die Ex-Frau von Turpal I., die sich von diesem inzwischen getrennt hat. Staatsanwalt Johannes Winklhofer hatte auch die Eltern von Turpal I. wegen terroristischer Vereinigung angeklagt. Der Vater ist allerdings im Dezember verstorben, die Mutter dürfte untergetaucht sein – Winklhofer beantragte eine Festnahmeanordnung und die Erlassung eines Europäischen Haftbefehls, um ihrer habhaft zu werden.