Politik

Rufe nach Verbesserungen im Gewaltschutz

Nach der Tötung von zwei Frauen in Favoriten sind wieder Rufe nach Verbesserungen im Gewaltschutz laut geworden. „Viel zu viele“ Anzeigen werden wieder eingestellt, lautet die Kritik.

80 bis 90 Prozent der Anzeigen werden eingestellt, klagte Rosa Logar, Geschäftsführerin der Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie. „Viele Gewalttaten bleiben somit ohne Sanktion. Gerade bei Ersttaten wäre es im Sinne des Opferschutzes wichtig, klare Zeichen zu setzen“, sagte sievor dem Hintergrund der Tötung zweier Frauen in Favoriten.

Der Verdächtige ist strafrechtlich unbescholten. Mehrere Anzeigen gegen ihn mit Gewaltkonnex waren eingestellt worden, ein Strafverfahren ist noch offen. Weder in Wien, noch an seinem Wohnort Linz hätten Gewaltschutzorganisationen Meldung über die inkriminierten Vorfälle erhalten, so Logar, diese Stellen sollten aber vielmehr umgehend von Gewalttaten in Kenntnis gesetzt werden. Das Gleiche gelte für die Kinder- und Jugendhilfe.

Frauenmorde: Mann mehrfach angezeigt

Nach der Ermordung von zwei Frauen in Wien Favoriten läuft derzeit die Einvernahme des Verdächtigen. Der 28-Jährige soll am Montag seine Ex-Frau und eine weitere Frau getötet haben. Gegen ihn gab es bereits Anzeigen wegen Vergewaltigungsverdachts.

„Wenn niemand etwas weiß, kann niemand helfen“

„Wenn niemand etwas weiß, kann niemand helfen.“ Zuallererst müssten die Behörden bei Hinweisen auf Gewalttätigkeit die Frage stellen: „Wer könnte dadurch besonders gefährdet sein?“, auch über den gegenständlichen Vorfall hinaus. „Erneut fragen wir uns, warum im Vorfeld nicht entsprechend und konsequent gehandelt wurde, um diese Morde zu verhindern – vor allem wenn der Täter bereits angezeigt wurde“, meinte auch Maria Rösslhumer vom Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser (AÖF). „Wo blieb die Risikoeinschätzung, wo die Gefährlichkeitsprognose seitens der Behörden? Warum wurden beide Verfahren im Vorfeld eingestellt?“

Logar fordert, dass bei Gewalt an Frauen oder in der Familie eine Schutzmaßnahme durch die Polizei gesetzt werden sollte, das könne mit einer Anzeige erfolgen, immer aber müsse eine Meldung geschrieben werden. „Oft gibt es nur eine Eintragung im Tagesbericht“, solcherart würden Vorfälle leicht „untergehen“. „Das ist fatal bei diesen Delikten, die Wiederholungstaten sind und eskalieren können“, warnte sie.

„Bessere Beweissicherung“

Die Expertin urgiert zudem Maßnahmen gegen die schnelle Einstellung von Anzeigen im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt, aber etwa auch bei sexueller Gewalt an Kindern. „Dazu braucht es bei der Justiz Ressourcen, damit eine entsprechend mit Personal ausgestattete Staatsanwaltschaft der Polizei Ermittlungsaufträge geben kann, anstatt wie allzu oft zu sagen: ‚Die Suppe ist zu dünn‘.“ Eine bessere Beweissicherung und genauere Ermittlungen seien nötig, Verletzungen sollten immer mit Fotos dokumentiert werden.

Diese Kritik versuchte das Innenministerium am Abend mit den Zahlen der vergangenen drei Jahre zu entkräften. Demnach gab es 2018 österreichweit 7.407 Betretungsverbote, 2019 waren es 8.254. Im Vorjahr wurden nach den Zahlen des Ministeriums 11.652 Maßnahmen zu Betretungs- und Annäherungsverboten ausgesprochen. In den ersten acht Monaten 2021 waren es nach vorläufigen Zahlen 8.864.

„Freibrief für die Täter“

„Die viel zu vielen Einstellungen reproduzieren das Problem der Wiederholung von Gewalt“, konstatierte Logar. „Wenn Maßnahmen unzureichend angewendet werden, ist das ein Freibrief für die Täter“, so Rösslhumer. Generell sei in den vergangenen drei Jahren ein Einbruch bei Betretungs- und Annäherungsverboten zu erkennen, meinte Logar. Das sei zum Teil vielleicht mit der CoV-Krise zu erklären. In jedem Fall bedeute es, „dass noch weniger Opfer Schutz bekommen“.

„Es braucht dringend die Umsetzung der Fallkonferenzen bei gefährlichen Tätern sowie Information und regelmäßigen Austausch seitens der Behörden mit Opferschutzeinrichtungen, wie Frauenhäuser und Frauenberatungsstellen“, sagte Rösslhumer. „Einmal mehr fordern wir Sensibilisierung durch verpflichtende Schulungen zu häuslicher Gewalt und Partnergewalt für Justiz und Polizei.“

Ruf nach Krisenstab

Klaudia Frieben, Vorsitzende des Österreichischen Frauenrings, forderte am Dienstag von der Regierung, „dem Gewaltschutz endlich oberste Priorität einzuräumen“. Es brauche einen Krisenstab, der sich ausschließlich mit häuslicher Gewalt und Gewalt gegen Frauen beschäftigt, sowie die Abhaltung von Hochsicherheitsfallkonferenzen unter Einbeziehung von Gewaltschutzexpertinnen. Keinesfalls dürften aber „die wiederholten Schreckenstaten“ für Asyldebatten „instrumentalisiert werden“.

„Seit Monaten schlagen die Gewaltschutzeinrichtungen Alarm, warum stellt sich die Bundesregierung, allen voran die Frauenministerin, taub?“, kritisierte SPÖ-Frauenvorsitzende Eva-Maria Holzleitner. „Wir warten noch immer vergebens auf die bundesweite Umsetzung der Hochrisikofallkonferenzen.“

„Chronisch unterfinanziert“

„Der Gewaltschutzsektor ist bis heute chronisch unterfinanziert, und die Umsetzung konkreter Gewaltschutzmaßnahmen ist zu langsam und intransparent“, kritisierte NEOS-Frauensprecherin Henrike Brandstötter. Auch der NEOS-Vorschlag für ein weiteres Gewaltschutzpaket beinhalte eine multiinstitutionelle Einberufung von Fallkonferenzen bei Hochrisikofällen.

Beratung für Männer

„Femizide sind keine Einzelfälle, sondern haben System. Sie sind die extremste Form von patriarchaler Gewalt“, sagte Viktoria Spielmann, Frauensprecherin der Grünen Wien. Zehn der heuer schon 21 Frauenmorde in Österreich seien in Wien begangen worden, so die Gemeinderätin, die zudem darauf verwies, dass es das „Projekt StOP Stadtteile ohne Partnergewalt“ bald in Favoriten geben werde.

FPÖ-Vertreter kritisierten indes unter Verweis auf den Asylstatus des mutmaßlichen Täters Asyl- und Abschiebepraxis. Der Wiener FPÖ-Chef Dominik Nepp forderte: „Frauen müssen besser geschützt werden, Männer, die Gewalt gegen sie als kulturelle Normalität ansehen, haben unser Land unverzüglich zu verlassen.“ Er und der freiheitliche Bezirksparteiobmann Stefan Berger sprachen sich „gegen die Aufnahme weiterer junger Männer aus Nordafrika, Afghanistan oder Syrien“ aus.