Übersichtliche Sitzmöglichkeiten im Bruno-Kreisky-Park
ORF/Louis Ebner
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Politik

Eine Stadt für Frauen ist eine Stadt für alle

Wien gilt als Vorreiter in gendergerechter Stadtplanung. Seit den 1990er Jahren orientiert sich die Gestaltung öffentlicher Räume zunehmend am Alltag von Frauen. Als Vorzeigeprojekte gelten etwa die Seestadt, das Sonnwendviertel und auch der Reumannplatz.

Unter „Gender-Planning“ wird eine Strategie der Qualitätssicherung in der Stadtplanung verstanden, bei der gezielt Interessen und Bedürfnisse verschiedener Gruppen beachtet werden. Dabei geht es nicht einzig und allein um das Geschlecht, sondern um soziale Rollen. Es werden verschiedene Altersgruppen, kulturelle Hintergründe und die soziale Situation der Menschen in der Umgebung betrachtet.

„Ein ganz wichtiges Thema ist die sogenannte Care-Arbeit“, sagt Eva Kail, Expertin für gendergerechte Planung in der Stadtbaudirektion, am Montag im Radio-Wien-Interview. Dabei handelt es sich um Haus- und Familienarbeit, also etwa Betreuungspflichten und der Haushalt. Die Gestaltung der Stadt kann Menschen beim Nachgehen dieser Arbeit unterstützen oder einschränken.

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Ein breiter Gehsteig in Mariahilf mit einer Reihe von Parkbänken
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Mariahilf ist der Pilotbezirk des „Gender-Plannings“
Sitzmöglichkeiten entlang der Wien
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Diverse Sitzmöglichkeiten sind für ältere Menschen und Kinder zum Ausruhen und zur Verpflegung notwendig
Der Christian-Broda-Platz mit vielen Sitzmöglichkeiten
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Der Christian-Broda-Platz bietet einen Rückzugsort in der unmittelbaren konsumorientierten Umgebung
Breite Gehsteige in Mariahilf
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Idealerweise sind Gehsteige so breit, dass mehrere Personen nebeneinander gehen können

Frauen öfter zu Fuß oder öffentlich unterwegs

Als vor rund 30 Jahren das erste Mal Verkehrsdaten nach Frauen und Männern getrennt analysiert wurden, zeigte sich, dass Männer häufiger mit dem Auto fuhren, Frauen dahingegen öfter zu Fuß gingen oder öffentliche Verkehrsmittel nutzen. Das gilt bis heute. Eine Ausstellung mit dem Titel „Wem gehört der öffentliche Raum? Frauenalltag in der Stadt“ thematisierte damals erstmals das Zufußgehen, Angst- und Wohlfühlräume, sowie die Bedeutung von Parks und Grünflächen für Kinder, ältere Menschen und Personen, die diese betreuen.

Die 15-Minuten-Stadt

Zunehmend wurde in der Planung des öffentlichen Raums Rücksicht auf den Alltag von Frauen genommen. Zentral sei, dass alles Notwendige im unmittelbaren Umfeld verfügbar ist: Ärztinnenpraxen, Schulen, Einkaufmöglichkeiten. „Für Familien mit Kindern oder älteren Menschen, von denen man weiß, dass der Radius kleiner wird, macht das einen riesengroßen Unterschied“, erklärte Kail.

Bereits vor 30 Jahren wurde dieses Konzept „Stadt der kurzen Wege“ genannt. Heute spricht man von der „15-Minuten-Stadt“, die ein international anerkanntes Konzept geworden ist. „Das sind gemischte Strukturen, durch die ich alles, was ich für meinen Alltag brauche, innerhalb 15 Minuten erreiche“, so Kail.

Eva Kail im Alois-Drasche-Park
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Als Expertin für gender- und alltagsgerechtes Planen achtet Kail besonders auf soziale Rollen

Zudem geht es darum, diese Wege bequem und sicher zurücklegen zu können. Sind Gehsteige zum Beispiel nicht breit genug, dass ein Kinderwagen, neben dem ein weiteres Kind gehen kann, stellen sie junge Familien vor ein Problem. Ihnen wie auch etwa Menschen im Rollstuhl oder mit Rollator kommen mehr Rampen im Stadtbild zu Gute. Auch ausreichend Sitzmöglichkeiten im öffentlichen Raum zum Rasten und Verweilen sind zentral für Kinder und ältere Personen. Als Pilotprojekt wurden ebendiese Maßnahmen in Mariahilf ausgeweitet.

Das Recht des Stärkeren?

Im internationalen Vergleich zeichnet Wien vor allem die gender-sensible Gestaltung von Parks aus. Untersuchungen hätten gezeigt, dass sich ab einem Alter von etwa neun Jahren weniger Mädchen in Parks aufhalten. Das liege daran, dass Spiel- und Sportangebote stark an den Bedürfnissen von männlichen Jugendlichen orientiert waren.

"Wenn die Jugendlichen kamen, warfen sie die jungen Buben aus dem Fußballkäfig und beide waren sich einig, dass Mädchen hier nichts verloren haben. Die untersuchenden Soziologinnen nannten es „das Recht des Stärkeren’“, schildert Kail. Gleichzeitig war aber aus Befragungen bekannt, dass Mädchen zum Beispiel Fußball interessant fanden. In einigen Parks wie dem Alois-Drasche-Park organisierte daraufhin die Parkbetreuung Fußballturniere speziell für Mädchen.

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Die Beleuchtung des Alois-Drasche-Parks bei Nacht
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Der Durchgang im Alois-Drasche-Park ist beleuchtet und die Büsche niedrig geschnitten
Übersichtliche Sitzmöglichkeiten im Bruno-Kreisky-Park
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Im Bruno-Kreisky-Park wurden Sitzmöglichkeiten in einem übersichtlichen Bereich geschaffen
Hängematten im Bruno-Kreisky-Park
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Die Hängematten im Bruno-Kreisky-Park sollen zum Verweilen einladen

Geschützte kommunikative Rückzugsorte

Zudem gebe es aber auch einfach verschiedene Interessenlagen. Mädchen tendieren eher zu Balanciersportarten wie etwa Volleyball und bevorzugen geschützte kommunikative Rückzugsorte. Unter aktiver Einbildung von Mädchen wurden Modellprojekte realisiert.

„Wir haben evaluiert, ob diese planerischen Überlegungen wirklich zu einer verstärkten Präsenz von Mädchen geführt hat, und das wurde bestätigt“, so Kail. Seit 2008 hat die Stadt Richtlinien für eine geschlechtsspezifische Park- und Spielplatzgestaltung.

Entschärfen von Angsträumen

Das Sicherheitsempfinden ist ein weiterer Aspekt, der in der Planung berücksichtigt werden muss. Statistisch gesehen sind junge Männer am häufigsten Täter wie auch Opfer von Gewalterfahrungen im öffentlichen Raum. Mädchen und Frauen sind aber deutlich häufiger sexualisierter Übergriffe und Belästigungen ausgesetzt. Ziel einer gendergerechten Planung ist es, öffentliche Räume so zu gestalten, dass Menschen sich leicht orientieren können.

Orte, die potenziell Unbehagen auslösen, werden als Angsträume bezeichnet. Das Sicherheitsgefühl kann hier durch eine Fülle von Maßnahmen unterstützt werden, etwa indem Spiegel angebracht, Hecken niedrig geschnitten und Orte beleuchtet werden. „Bei der Beleuchtungsstärke geht es darum, dass ich Entgegenkommende bis auf zehn Meter Entfernung einschätzen kann“, erklärt Kail. Die zuständige Magistratsabteilung habe dafür auch Richtlinien ausgearbeitet.

Spiegel in einer verwinkelten Durchführung
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Die Mögklichkeit, durch die Spiegel um die Ecke sehen zu können, kann das Sicherheitsgefühl erhöhen

„Gender-Planning“ kann allerdings nur bedingt zum Gewaltschutz beitragen. „Angsträume sind oft keine Tatorte. Wir wissen, dass der gefährlichste Ort für Frauen leider das eigene zuhause ist“, so Kail. Angst an öffentlichen Orten grenze aber die Mobilität massiv ein. Das Entschärfen dieser Angsträume trage so zur verbesserten Lebensqualität von Mädchen und Frauen bei.

Klimakrise als Chance

Eine der größten stadtplanerischen Herausforderungen der heutigen Zeit ist das Vermeiden von urbanen Hitzeorten. „Kinder und ältere Menschen sind besonders hitzeempfindlich. Aus Daten wissen wir auch, dass Frauen im Alter hitzeempfindlicher werden als Männer“, so Kail. Simulationen sogenannter Mikroklimata, also lokaler Klimabedingungen, werden immer wichtiger.

Dazu tragen vielerlei Faktoren bei wie Begrünung, Durchlüftung und Sonneneinstrahlung zu den jeweiligen Jahreszeiten, die die Planung durchaus „knifflig“ gestalten würden. „Planerisch glaube ich wirklich, dass die Klimakrise unsere Städte vor eine große Herausforderung, aber auch große Chancen gestellt hat“, sagt Kail. Besonders die Bereiche Mobilität und nachhaltige Energieformen würden planerisch Potenziale bieten. Photovoltaik-Module an den Dächern der Nachbarschaft, die damit auch Gemeinschaftsdachgärten beschatten könnten seien ein Beispiel, aber auch Bäume, die parkender Autos ersetzen, denn Bäume kühlen den Straßenraum, während parkende Autos ihn zusätzlich aufheizen.

Vorzeigeprojekte Seestadt und Sonnwendviertel

In den Stadtentwicklungsgebieten Seestadt und Sonnwendviertel wurde versucht, viele dieser Maßnahmen zu vereinen. Zudem wurde in beiden Gebieten auch in Bezug auf die Straßen- und Platzbenennungen ein Zeichen gesetzt: Fast alle Straßen und Plätze tragen Namen weiblicher Künstlerinnen und Wissenschaftlerinnen. Denn im Rest Wiens sind überproportional viele Orte nach Männern benannt. Dazu sagt Kail: „Da kann man sagen, das ist Symbolpolitik, aber es ist ein wichtiges Signal und hat eine wichtige Vorbildfunktion für Kinder und Jugendliche.“

Als Vorzeigeprojekt für Bürgerinnen- und Bürgerbeteiligung gilt die Umgestaltung des Reumannplatzes. Die Verlängerung der U1 machte es möglich, die Straßenbahngleise, die den Reumannplatz entzwei teilte zu entfernen. Das beauftragte Landschaftsplanungsbüro „tilia“ plante Aktivitäten mit Angeboten für verschiedene Gruppen. So wurden etwa Menschen an verschiedenen Orten mit Kaffee und Kuchen auf mehreren Sprachen zu ihren Bedürfnissen befragt.

Die erste Favoritner Mädchenbühne am Reumannplatz
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Die erste „Favoritner Mädchenbühne“ am Reumannplatz wünschten sich die Mädchen einer Schule in der Umgebung

Erste Favoritner „Mädchenbühne“

Besonders wurden auch die Schülerinnen und Schüler einer Schule in der Nähe in den Entstehungsprozess eingebunden. So entstand die erste Favoritner „Mädchenbühne“. Die Bühne im öffentlichen Raum haben sich die Mädchen für Veranstaltungen gewünscht. „Sie steht natürlich auch anderen Gruppen zur Verfügung, aber es steht ‚Mädchenbühne‘ dort, was ein starkes Zeichen im öffentlichen Raum ist.“