Wilfried Embacher und Tina verlassen das Gebäude der MA 35
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Chronik

Fall Tina: Weiter kein Beleg für Kindeswohl-Prüfung

Im Fall des rechswidrig aus Wien abgeschobenen Mädchens Tina ist eine Frage weiter offen: Ist das Kindeswohl vor der Abschiebung nocheinmal geprüft worden? Das Bundesasylamt sagt: ja. Doch in den Akten findet sich kein Beleg – eher im Gegenteil.

Drei Tage bevor Tina abgeschoben wurde, hat es laut dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, eine Überprüfung gegeben, ob die Abschiebung noch gerechtfertigt ist oder nicht. Im Akt fand sich diese Überprüfung aber nicht, weshalb das Bundesverwaltungsgericht die Abschiebung kürzlich für rechtswidrig erklärt hat. Die 13-Jährige Tina ist inzwischen mit einem Schülervisum wieder in Wien.

Nun behauptet die Behörde, die Kindeswohl-Überprüfung befände sich nur im elektronischen Akt. Tinas Anwalt Wilfried Embacher hat jedoch Zweifel: „Die jetzige Behauptung, dass eine Prüfung vorgenommen wurde, drei Tage vor der Abschiebung, ist im Akt überhaupt nicht abgebildet. Ich gehe davon aus, dass das auch nicht stattgefunden hat.“ Es habe mit Tina, ihrer Mutter und der Schule auch niemand gesprochen, so Embacher gegenüber „Wien heute“.

Fragen zur Überprüfung des Kindeswohls

Die Diskussion rund um die Abschiebung der damals zwölfjährigen Tina, ihrer damals fünfjährigen Schwester und ihrer Mutter im Jänner 2021 nach Georgien geht weiter. Vor allem die Frage nach der durchführten Überprüfung des Kindeswohls ist noch offen.

Amt sieht in Dokument keine Notwendigkeit für Prüfung

Eine Beschwerdevorlage des Bundesasylamtes legt die lange Asylgeschichte der Familie dar. Auch darin ist von der Überprüfung nichts zu finden. Im Dokument heißt es aber: „Ein Zeitablauf von knapp zwei Jahren (der mit verbesserten Deutschkenntnissen, einem großen Freundes- und Bekanntenkreis, Unterstützungsschreiben oder Einstellungszusagen einhergeht) stellt aber keine wesentliche Sachverhaltsänderung, für eine Neubeurteilung dar.“ Deshalb sei die mit September 2019 erlassene Rückkehrentscheidung „noch wirksam“.

Das Amt teilt also drei Monate nach Tinas Abschiebung nach Georgien mit, dass es selbst keine Notwendigkeit für eine weitere Überprüfung gesehen hat – trotzdem soll sie stattgefunden haben.

Beurteilung oft schwer nachvollziehbar

Generell sei oft schwer nachvollziehbar, auf welchen Erhebungen Beurteilungen des Kindeswohls ruhen, sagt Irmgard Griss, Vorsitzende der Kindeswohlkommission. „Wir haben Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts gesehen, da wird ein Leitsatz vom Verwaltungsgerichtshof zitiert, der eben sagt, dass das Kindeswohl vorrangig zu berücksichtigen ist. Und dann steht: In diesem Fall ist das Kindeswohl nicht verletzt. Aber wie das Gericht zu diesem Schluss kommt, dass das Kindeswohl nicht verletzt ist, das weiß man nicht.“

Auch in diesem Fall bleibt das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Antwort schuldig. Wie die angeblich stattgefundene Prüfung ausgesehen hat, beantwortet die Behörde auf mehrmalige Nachfrage weiterhin nicht.