Polizisten und Angeklagter in verhandlungssaal
APA/Georg Hochmuth
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Chronik

Mordprozess ohne Leiche: „Nicht schuldig“

Am Wiener Straflandesgericht endete am Donnerstagabend einer der ungewöhnlichsten Prozesse der letzten Jahre: Ein Mordprozess ohne Leiche. Angeklagt war der Ex-Mann einer Frau, die vor 16 Jahren spurlos verschwunden ist. Die Geschworenen haben ihn einstimmig freigesprochen.

Der Wahrspruch der acht Geschworenen fiel einstimmig aus und wurde nach einer erstaunlich kurzen Beratungszeit getroffen. Die Staatsanwältin gab vorerst keine Erklärung ab, der Freispruch ist daher nicht rechtskräftig. Die Staatsanwaltschaft hat bis Montag Zeit eine Nichtigkeitsbeschwerde einzulegen. Der Oberste Gerichtshof entscheidet, ob dieser stattgegeben wird oder nicht. Wenn auf eine Nichtigkeitsbeschwerde verzichtet wird, ist das Urteil am Montagabend rechtskräftig.

Verteidiger Thomas Ressmann, bei dem sich Vater und Tochter noch gebührend verabschiedet hatten, merkte vor der Justizanstalt Josefstadt an, auch ihn hätte die ausgesprochen kurze, keine 20 Minuten dauernde Beratung der Geschworenen über die Schuldfrage überrascht. Die Erleichterung sei natürlich groß. Auf die Frage, ob er davon ausgehe, dass die Staatsanwaltschaft den Freispruch akzeptieren werde, meinte Ressmann angesichts der Beharrlichkeit, mit der die Cold Case-Gruppe des Bundeskriminalamts gegen den 65-Jährigen ermittelt habe, sei nicht unbedingt davon auszugehen.

Entschädigung für Haft steht im Raum

Für den Witwer dürfte sich in jedem Fall die Frage nach einer Haftentschädigung stellen. Immerhin war er im Februar 2021 – mehr als 15 Jahre nach der vermuteten Bluttat – festgenommen worden und seither in U-Haft gesessen. Der Freispruch erfolgte auch nicht im Zweifel, sondern – zieht man die einstimmige Entscheidung der acht Geschworenen in Betracht, die aus formalen Gründen bei der Urteilsverkündung in Entsprechung der Bestimmungen der StPO nicht begründet wurde – in aller Deutlichkeit.

„Ich habe ein reines Gewissen“

„Ich habe sie nicht getötet. Ich habe zu hundert Prozent ein reines Gewissen“, hatte der mittlerweile 65 Jahre alte Witwer in seinem Schlusswort erklärt. Er wurde unmittelbar nach der Verhandlung enthaftet und konnte noch am Donnerstagabend die Justizanstalt Josefstadt verlassen, wo er seit dem Vorjahr in U-Haft gesessen war.

„Fest steht, dass der Angeklagte diesen Mord begangen hat“, stellte die Staatsanwältin fest. Sie ortete eine „geschlossene Indizienkette“ und hielt fest: „Wenn man alles zusammen betrachtet, jedes einzelne Indiz, ist das ein Mosaik. Und das ergibt ein eindeutiges Bild.“

Dass die Frau sich das Leben genommen haben oder verschwunden sein könnte, um sich andernorts ein neues Leben aufzubauen, sei „ausgeschlossen“, sagte die Staatsanwältin: „Sie hätte die Tochter nie alleine zurückgelassen.“ Sie räumte ein, dass im Strafverfahren zwar der Zweifelsgrundsatz gilt: „Aber für mich gab es keine Zweifel. Sonst wäre es zu keiner Anklage gekommen und ich hätte das Verfahren einstellen müssen.“

Barbara Piontek (ORF) vom Landesgericht

ORF-Reporterin Barbara Piontek hat den Prozess beobachtet und erläutert, die der Freispruch im Gerichtssaal aufgefasst worden ist.

Verteidiger: Keine Beweise

Der Verteidiger des Angeklagten betonte in seinem Schlussplädoyer, es gebe „keinen wirklichen Beweis“ für einen Mord. Gegen seinen Mandanten sei „ein Korb aus Vermutungen, unvollständigen Ermittlungen und viel Schmutzwäsche“ aufgefahren worden. Man habe nach dem Verschwinden der Frau „von Anfang an mit Scheuklappen“ und ausschließlich gegen den Angeklagten ermittelt.

Zum Verbleib der Frau meinte der Verteidiger, er glaube, dieser könnte auch ein Unfall zugestoßen sein: „Oder sie ist zu einem Unbekannten ins Auto gestiegen, der nichts Gutes wollte.“

Tathergang unbekannt

Zuvor waren am vierten Verhandlungstag ehemalige Arbeitskolleginnen der Architektin, langjährige Freundinnen und Bekannte sowie eine frühere Liebhaberin und die beste Freundin des Angeklagten als Zeuginnen und Zeugen vernommen worden. Auch eine Psychologin, mit der der 65-Jährige und seine verschwundene Ehefrau Kontakt hatten, wurde befragt. Verfahrensrelevantes war dabei nicht zutage gekommen.

Der Mann soll laut Anklage seine Frau „auf bisher unbekannte Art“ getötet und an einem unbekannten Ort abgelegt haben. Er bestreitet das und will mit dem Verschwinden der damals 31-Jährigen nichts zu tun gehabt haben. Nachdem sie am vorangegangenen Wochenende aus der ehelichen Wohnung ausgezogen war, hatte sie am Nachmittag des 6. Dezember 2005 die letzten Sachen aus dieser geholt, wobei sie die seinerzeit zweieinhalbjährige Tochter dabei hatte.

Diese wollte dann beim Vater bleiben, was die angeblich depressive Mutter dessen Darstellung zufolge weiter verstimmt haben soll. Seit diesem Tag fehlt von ihr jede Spur. Die Staatsanwaltschaft glaubt beweisen zu können, dass sie vom Angeklagten an diesem Abend vorsätzlich getötet wurde.

Mordprozess ohne Leiche: „Nicht schuldig“

Am Wiener Straflandesgericht endete am Donnerstagabend einer der ungewöhnlichsten Prozesse der letzten Jahre: Ein Mordprozess ohne Leiche. Angeklagt war der Ex-Mann einer Frau, die vor 16 Jahren spurlos verschwunden ist. Die Geschworenen haben ihn einstimmig freigesprochen.

Psychologin sollte Mann beraten

An die als Zeugin geladene Psychologin war der Ehemann herangetreten, nachdem seine Frau aus der ehelichen Wohnung ausgezogen war und die Scheidung betrieben hatte. „Sein Anliegen war, dass er das Mädchen bei sich haben wollte, weil er sich die Zeit frei einteilen konnte“, schilderte die Zeugin.

Die berufstätige Frau sei in dieser Hinsicht weniger flexibel gewesen. „Die Mutter sollte das Kind aber auch haben“, betonte die Psychologin. Diese habe die Sorge gehabt, „auf die psychiatrische Schiene gelegt zu werden“ und deshalb von ihrer Tochter ferngehalten zu werden. Der Mann sei dieser Befürchtung aber entgegengetreten und habe bekräftigt, „dass sie die Tochter natürlich auch sehen soll“.

Mordprozess ohne Leiche: Tochter als Zeugin

Im Fall der seit 2005 vermissten Architektin hat am Montag am Wiener Landesgericht für Strafsachen die Tochter ausgesagt. Sie war zum Zeitpunkt des Verschwindens ihrer Mutter zweieinhalb Jahre alt. Ihr Vater wird verdächtigt, die Frau getötet zu haben.

Positives und Negatives über Angeklagten

In den höchsten Tönen sprach danach eine Frau vom Angeklagten, die ursprünglich an einer Beziehung mit diesem interessiert gewesen war. „Es war ein Versuch“, sagte sie, „aber ich bin beziehungsunfähig.“ Seither sei der Angeklagte „mein bester Freund“. Sie habe sich immer auf ihn verlassen können. „Ich vermisse ihn seit einem Jahr“, betonte sie. Der 65-Jährige war 2021 wegen Mordverdachts wieder in U-Haft gekommen.

Weniger gut zu sprechen war eine andere Zeugin auf den Angeklagten. Sie berichtete dem Gericht, sie sei mit diesem seinerzeit dreimal intim geworden: „Und dann stellte sich heraus, dass es eine Wette war. Ich war menschlich enttäuscht von ihm.“ Nach einiger Zeit hätten sich ihre Kontaktdaten einschließlich ihrer Handynummer auf Autobahn-Raststätten gefunden.

Sie sei davon ausgegangen, dass der 65-Jährige diese an die Wände gekritzelt hatte. Es hätten sich auch an Sex-Dates interessierte unbekannte Männer bei ihr gemeldet. Der Angeklagte meldete sich nach dieser Aussage zu Wort und gestand, dass er dafür verantwortlich war: „Ich schäme mich dafür. Ich möchte heute den offiziellen Rahmen dafür nutzen und mich dafür entschuldigen.“ Die 51-jährige Frau akzeptierte die Entschuldigung: „Danke.“