Turnsaal von innen
Getty Images/kyotokushige
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Chronik

Missbrauch an Schule: Fall weitet sich aus

Nach 25 bekannten Missbrauchsfällen durch einen Lehrer könnte sich die Zahl der Opfer laut einem Zeitungsbericht weiter erhöhen. Denn es soll auch zu Übergriffen auf Sportwochen und im Turnsaal gekommen sein. Das hatte die Bildungsdirektion bisher ausgeschlossen.

Den Ermittlungen zufolge hatte der Lehrer in einer Mittelschule im zweiten Bezirk zwischen 2004 und 2019 zumindest 25 Schüler zwischen elf und 14 Jahren sexuell missbraucht sowie kinderpornografisches Material angefertigt. Zu den Vorfällen kann der Beschuldigte aber nicht mehr befragt werden. Er beging kurz nach einer Anzeige und Hausdurchsuchung im Frühjahr 2019 Suizid. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wurden daraufhin eingestellt.

„Zu viel Material und zu viele mögliche Betätigungsfelder“

Ende Mai dieses Jahres wurde der Fall bekannt. Laut Anwältin Herta Bauer, die einen Betroffenen vertritt, soll der Pädagoge die letzten strafrechtlich relevanten Fotos nur wenige Tage vor der Hausdurchsuchung aufgenommen haben, wie der „Standard“ am Montag berichtete.

Es gebe „zu viel Material und zu viele mögliche Betätigungsfelder“ des Beschuldigten, um nur von 25 Fällen auszugehen, schreibt der „Kurier“ am Dienstag. Werde von den Behörden erst einmal öffentlich gemacht, um welche Schule es sich handelt, gehe man von vielen weiteren Betroffenen aus, heißt es unter Berufung auf „Informationen“, die der Zeitung vorliegen. Der Lehrer, ab 1996 Pädagoge, soll auch lange in Sportvereinen in Wien und in einem Feriencamp tätig gewesen sein.

Berichte von Übergriffen auf Sportwoche und Lesenacht

Während die Bildungsdirektion bisher versicherte, dass die Übergriffe nicht im schulischen Kontext stattgefunden hätten, zeigt sich nun laut den Zeitungsberichten ein anderes Bild. Bildungsdirektor Heinrich Himmer sagte im Mai zur APA, es stehe fest, dass es zu den Übergriffen ausschließlich außerhalb der Schule gekommen sei.

Hilfe im Krisenfall

Berichte über (mögliche) Suizide können bei Personen, die sich in einer Krise befinden, die Situation verschlimmern. Österreichweit und in den Bundesländern gibt es Anlaufstellen, die Rat und Unterstützung im Krisenfall anbieten.

Die österreichweite Telefonseelsorge ist ebenfalls jederzeit unter 142 gratis zu erreichen. Hilfe für Jugendliche und junge Erwachsene bietet auch Rat auf Draht unter der Nummer 147.

Der Pädagoge hatte Schüler mit zu sich nach Hause genommen, wo er ihnen teils K.-o.-Tropfen verabreicht haben soll – mehr dazu in Übergriffe an Schule offenbar seit 2004 (wien.ORF.at; 25.5.2022). Doch laut „Standard“ soll sich ein Opfer selbst auf Fotos, die bei dem Beschuldigten gefunden wurden, identifiziert und diese einer Schulsportwoche im Jahr 2004 zugeordnet haben. Ein weiterer Betroffener soll von einem Übergriff während einer Lesenacht im Turnsaal der Schule berichtet haben.

Bericht der Kommission im November

Der „Standard“ zitierte aus einer Stellungnahme der Bildungsdirektion: „Der Kommission liegen diese Zeugenaussagen nicht vor.“ Es handelt sich um jene Kommission, die von der Bildungsdirektion und der Wiener Kinder- und Jugendanwaltschaft (KJA) im Jahr 2021 eingerichtet wurde, um Versäumnisse des Falls zu erkennen und Lehren für die Zukunft zu ziehen. „Ein vorläufiger Endbericht ist für November 2022 geplant.“

Der jahrelange Missbrauchskomplex, der so lange unentdeckt blieb, rief Kritik der KJA hervor. Die Ombudsstelle sah ein vollständiges Systemversagen des Bereichs Schule.

Neues Kinderschutzgesetz soll kommen

Das Büro von Stadtrat Christoph Wiederkehr (NEOS) verwies auf Anfrage auf die Stellungnahme der Bildungsdirektion gegenüber dem „Standard“, wonach der Kommission diese Zeugenaussagen nicht vorliegen würden. „Kinderschutz muss an erster Stelle stehen und alles auf dem Tisch liegen“, bekräftigte ein Sprecher. Man sei schon sehr gespannt auf den KJA-Bericht, der mit Jahresende vorliegen soll. Ein neues Kinderschutzgesetz soll noch heuer präsentiert werden.

Für die Wiener Polizei ist der Fall seit 2019 abgeschlossen, hieß es auf Anfrage. Alle mutmaßlichen Opfer wurden damals nach dem Suizid des Lehrers vom LKA einvernommen. Nähere Angaben könne man wegen deren Persönlichkeitsschutzes nicht machen.

Himmer: Vieles erst Medien erfahren

Bildungsdirektor Heinrich Himmer bekräftigte am Montag, man habe von den Sauna-Fotos und weiteren fragwürdigen Vorgängen erst aus dem Medien erfahren: „Wir sind keine Ermittlungsbehörde. Wir haben nicht die Möglichkeit, auf Ermittlungserkenntnisse der Staatsanwaltschaft zuzugreifen.“ Es sei außerdem „extremst schwierig, schnell und zielsicher Zusammenhänge zu Sportvereinen herzustellen“, für die der Sportlehrer außerschulisch tätig war.

Informationen von dieser Seite wären aber insofern wichtig, als es sich teilweise um dieselben Kinder gehandelt hatte, „Schüler, die bei seinem Sportverein waren“, sagte Himmer. Wie Himmer betonte, sei man darauf angewiesen, dass sich möglichst viele von Übergriffen betroffene ehemalige Schüler melden. Nach jüngsten Berichten über die sich ausweitenden Missbrauchsvorwürfe verschickt die Bildungsdirektion nun Briefe an alle Jahrgänge bis zurück ins 1996.

Erster Kommissionsbericht im November erwartet

Außerdem hat die von der Bildungsdirektion eingesetzte Untersuchungskommission ihre Prüfung bis zu diesem Zeitrahmen ausgeweitet. Im November soll es einen ersten vorläufigen Bericht geben. Seitens Opfervertretern gibt es Kritik an der Untersuchungskommission, weil diese nicht unabhängig sei. Sie setzt sich aus Vertretern der Bildungsdirektion, der Kinder- und Jugendanwaltschaft (KJA) und der Kinder- und Jugendhilfe Wien zusammen. „Ich vertraue in die Kommission“, betonte Himmer. Er könne als Bildungsdirektor aus gesetzlichen Gründen „keine unabhängige Kommission gründen“.