Kriegsvertriebene aus der Ukraine im Community Center in der Pfeiffergasse
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Politik

Neid auf Vertriebene als Begleiterscheinung

Gratis „Öffi“-Tickets, Solidarität und schnelle Integration in den Arbeitsmarkt: Der Umgang mit geflüchteten Ukrainerinnen und Ukrainern ruft in Teilen der Gesellschaft Neid hervor, so Soziologe Jörg Flecker. Das hänge unter anderem mit der eigenen Enttäuschung an den Sozialstaat zusammen.

Menschen in Not und Krisenzeiten bringen anfangs immer eine große Welle an Unterstützung und Solidarität, so Soziologe Jörg Flecker im „Wien heute“-Interview. Mitgefühl kann aber schnell in Missgunst umschwenken, zu Spaltung führen. So gebe es in einem Teil der Bevölkerung die Haltung, dass Schutzsuchende im Gegensatz zu den Einheimischen bevorzugt werden.

„Das sind dann Gedanken wie ‚Mir hilft keiner, warum wird anderen so stark geholfen?‘ Und dadurch bekommen die Leute den Eindruck, dass andere bevorzugt werden, und im Hintergrund steht die eigene Erfahrung und die Enttäuschung an den Sozialstaat“, erklärte der Soziologe. Das lasse sich dann leicht auf ablehnende Haltung gegenüber Neuankommenden verschieben.

Muster für Solidarität und deren Grenzen

2019 veröffentlichte er gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen des Soziologieinstituts der Universität Wien eine Studie zum Thema „Solidarität“ nach den Fluchtbewegungen 2015/2016. Die Autorinnen und Autoren beschäftigten sich mit dem Wandel und der Komplexität von Solidaritätsvorstellungen. Demnach lassen sich verschiedenartige Muster feststellen, was Motive für Solidarität anlangt, aber auch, wo die Grenzen der Bereitschaft zur Unterstützung gezogen und welche Bedingungen daran geknüpft werden.

Politische Unterschiede bei Umgang mit Kriegsflüchtenden

Emotionale Empörung komme aber auch bei Gruppen anderer Geflüchteter vor. Im Gegensatz zu Asylwerberinnen und -werbern haben Vertriebene aus der Ukraine sofort den Vertriebenenstatus bekommen, konnten sich laut Fonds Soziales Wien (FSW) also viel freier in Österreich bewegen. „Ukrainer:innen unterliegen keiner Wohnsitzbeschränkung, reisen legal ein und aus, haben Zugang zum Arbeitsmarkt. Bei Vertriebenen ist kein Asylverfahren notwendig“, so eine Sprecherin des FSW.

Sendungshinweis

„Wien heute“, 24.2.2023, 19.00 Uhr, ORF2

Laut Flecker ist es sehr deutlich geworden, wie unterschiedlich auch rechtlich mit den diversen Schutzsuchenden umgegangen wurde. Was man in der Verarbeitung und auch in den politischen Reaktionen sehen würde, ist, „dass um die Fluchtbewegung 2015 und danach sehr stark von ‚Leuten aus anderen Kulturkreisen‘ gesprochen wurde und dass das bei den Geflüchteten aus der Ukraine nicht der Fall war“, führte der Soziologe fort.

Ungleichbehandlung sorgt für Frust bei Helfenden

Es ist laut dem Soziologen somit klar, dass diese Ungleichbehandlung verschiedener Gruppen Geflüchteter – sowohl bei den Betroffenen selbst, als auch bei jenen Österreicherinnen und Österreichern, die sich etwa um Kriegsflüchtende aus Syrien oder Afghanistan kümmern – für Frust und Enttäuschung sorgt.

„Wir sehen seit dem Krieg in der Ukraine, dass das jetzt tatsächlich passiert ist“, so Flecker. „Im Grunde müsste man sagen, wenn jemand durch einen Krieg zur Flucht gezwungen wird, dann ist das eine gleiche Situation, egal ob der Krieg in Syrien oder in der Ukraine stattfindet, aber wir sehen, da wurde ein großer Unterschied gemacht“, betonte der Soziologe.

„Rassistische Haltungen wieder salonfähig“

Die Bereitschaft zu helfen hänge von verschiedenen Faktoren ab. „Das kann die Notlage betreffen. Was ist der Grund dafür, dass jemand in Not geraten ist? Das kann aber bis hin zur Hautfarbe, zur Religion gehen. Wir dürfen nicht vergessen, dass in Österreich rechtsextreme Haltungen in die Mitte der Gesellschaft vorgedrungen sind“, sagte Flecker. Er spricht von einer „Verherrlichung des Starken“ und „Verachtung gegenüber des Schwachen“ sowie von reservierten Gruppen, die empfänglich sind für ausgrenzende oder auch fremdenfeindliche Haltungen.

In Hinblick auf die Fluchtbewegungen 2015 und 2016 spricht er von „Islamfeindlichkeit, aber auch Antisemitismus“. In einem Teil der Bevölkerung seien diese politischen Einstellungen „wieder salonfähig gemacht“. Das hänge dann damit zusammen, wer eher Unterstützung erfährt und wer nicht. Letztlich würde es sich oft um rassistische Haltungen handeln, indem zwischen Menschengruppen unterschieden wird. „Oder man kann auch sagen, dass es sich um gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit handelt.“

Wandelnde Solidarität

Solidarität ist laut Flecker grundsätzlich immer im Wandel begriffen und umkämpft. „Da wird öffentlich diskutiert, und das beeinflusst die Haltungen der einzelnen Personen sehr stark. Und dann gibt es individuelle Erfahrungen, die gemacht werden. Man stellt sich vor, jemand ist hilfsbedürftig, und meine Unterstützung ist gefordert. Und dann schaut die Person gar nicht so hilfsbedürftig aus. Die Leute haben sich vielleicht was anderes vorgestellt und dann sind sie möglicherweise enttäuscht.“

Aber es dominiere in der Bevölkerung jene Gruppe, die sehr stark bereit ist zu unterstützen und etwa auch ehrenamtlich zu helfen, „und die auch keinen Unterschied machen, von wo die Leute kommen, ob das Inländer oder Ausländerinnen und Ausländer sind“, betonte Flecker am Ende des Gesprächs.