In Finnland sieht Schule nicht nur anders aus, sie hört sich auch anders an: Statt mit einer Glocke startet der Tag in der Aurinkolahti Gesamtschule in Helsinki mit fröhlicher Musik. Schülerinnen und Schüler sitzen in Grüppchen in der großen Aula, eine Bühne für Veranstaltungen ist hier gleich angeschlossen. Knapp tausend Kinder und Jugendliche im Alter von sieben bis 16 Jahren besuchen diese Schule, erst nach der neunten Schulstufe werden sich ihre Wege trennen.
Neues Bildungszentrum soll Schulen helfen
Personalmangel, Ressourcenknappheit, veraltete Lehrpläne – die Liste der Probleme an Wiens Schulen ist seit Jahren lang. Auf der Suche nach Lösungen fuhr Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr (NEOS) nach Finnland – nun soll ein neues Zentrum für Bildungsinnovationen die Schulen entlasten.
Personalmangel kennt man hier kaum, auf die Direktionsposition haben sich 25 Personen beworben. Es wird nicht das letzte Mal sein, dass Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr und seine kleine Delegation aus Wien staunen. Der Andrang auf die Stelle liegt wohl auch an der Autonomie, die Schulen hier genießen: Direktorin Erja Ursin verwaltet ein Budget von neun Millionen Euro jährlich, bezahlt ihre eigene Stromrechnung und stellt Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein.
Mentale Gesundheit als Lehrgegenstand
Auch die Lehrkräfte genießen viel Spielraum. „Wir versuchen, uns vom traditionellen Frontalunterricht wegzubewegen und die Schülerinnen und Schüler sehr stark einzubinden. Sie sollen ihren Unterricht mitgestalten und selbst Verantwortung übernehmen“, sagt Anne Eerikäinen, die hier Englisch und Schwedisch unterrichtet im „Wien heute“-Interview. Sie selbst habe zwar Vorgaben aus dem Lehrplan, allerdings auch Raum für eigene Ideen und viele Projekte der Schülerinnen und Schüler.
Die beinhalten dann auch etwa die Reparatur des großen Schuhregals beim Eingang oder die Gestaltung der Schulwände – denn die Lehrpläne sehen hier neben mentaler Gesundheit und Selbstfürsorge auch Fähigkeiten des täglichen Lebens vor: Die Schule hat eine eigene Küche und eine große Werkstatt. Der Schulbesuch ist wie überall in Finnland kostenlos. Dazu kommt kostenloses Mittagessen, Schulmaterialien und die Anreise. „Die Kinder müssen zu Beginn nur einen leeren Rucksack bringen“, sagt die Direktorin.
Laptops und Tablets sind ohnehin Selbstverständlichkeit – hier gibt es einen Technikschwerpunkt. „Wir verwenden fast keine Stifte mehr, es ist alles online“, sagt die fünfzehnjährige Amma. Die Geräte werden ebenfalls kostenlos zur Verfügung gestellt. Sein Bekenntnis zur Bildung lässt sich Finnland einiges kosten, es ist eines der Länder mit den höchsten prozentualen Bildungsausgaben weltweit. Dafür liegt man in Studien wie etwa PISA stets auf den vordersten Plätzen.
Wiederkehr: Österreichs Schulsystem „veraltet“
Das alles hätte Wiederkehr auch gerne für Wiens Schulen. Das Schulsystem sei „veraltet“ und „extrem belastet“, sagt er. Mehr Autonomie und modernere Lehrpläne stehen ganz oben auf seiner Wunschliste – genauso wie eine längere Gesamtschule. Unmöglich mache das allerdings das Bildungsministerium, bedauert er. Wien als Stadt kann in vielen Dingen nicht mitentscheiden: „Deshalb setzen wir jetzt auf Bildungsinnovation von außen.“
Wie das gehen kann, zeigt der Helsinki Education Hub. Hier will man Schnittstelle sein und vernetzt Start-ups und Schulen. Konkret heißt das zum Beispiel, dass die neue App für spielerisches Musikverständnis „Big Ear Games“ direkt in den finnischen Schulen getestet werden konnte, bevor sie auf den Markt kam. Davon haben beide Seiten etwas – die Schulen profitieren von innovativen Ideen, die Unternehmen können ihre Marktreife testen. Finanziert wird der Hub übrigens von der Stadt Helsinki – „weil man den Bedarf gesehen hat“, wie es Community Manager Miikka Neuvonen beschreibt.
Neues Zentrum für Bildungsinnovation
So ähnlich soll es nun auch in Wien werden – mit einem neuen Zentrum für Bildungsinnovation. Auch hier sollen sich Start-ups, NGOs und Vereine mit den Schulen vernetzen und so dringend benötigte Ressourcen und Impulse liefern. In eine ähnliche Kerbe hat man schon mit dem ab Herbst startenden Projekt „Bildungschancen“ geschlagen, das Schulen Budget für kostenpflichtige externe Workshops zur Verfügung stellt. Im Herbst ist außerdem ein Festival für Bildungsinnovation geplant.
Details zu dem Zentrum gibt es noch keine, derzeit laufen die Vorbereitungen. Das alles seien zwar keine ideale Lösungen. Aber: „Ich bin pragmatisch und versuche, Erfolge zu erzielen“, sagt Wiederkehr. Die Hilfe von außen ist für ihn deshalb derzeit der beste und vor allem schnellste Weg, um Wiens Schulen zumindest ein wenig finnischer werden zu lassen.