Die A23 wurde blockiert, Aktivistinnen und Aktivisten klebten sich fest.
Letzte Generation Österreich
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Chronik

Nacktdurchsuchung bei Aktivisten rechtswidrig

Die Durchsuchung des völlig nackten Körpers eines Aktivisten der „Letzten Generation“ durch die Polizei ist rechtswidrig. Das hat das Verwaltungsgericht Wien in einem Erkenntnis nun festgestellt. Das Gericht spricht von einem Einzelfall, der Anwalt von einem Präzedenzfall.

Auslöser für den Gerichtsentscheid war die Maßnahmenbeschwerde eines Aktivisten der „Letzten Generation“ im heurigen Frühjahr wegen Unverhältnismäßigkeit. Ein Beamter hatte den 24-Jährigen am 20. Februar gezwungen, im Polizeianhaltezentrum (PAZ) Rossauer Lände auch seine Unterwäsche hinunterzuziehen.

Der Beschwerdeführer ist laut eigenen Angaben wegen des Verdachts einer geringfügigen Verwaltungsübertretung nach dem Versammlungsgesetz festgenommen worden, leistete keinerlei Widerstand gegen seine Festnahme und wirkte an seiner Durchsuchung am Versammlungsort sowie der Feststellung seiner Identität mit, hieß es in dem rechtskräftigen Erkenntnis zur Vorgeschichte.

Kein Anlass für Nacktuntersuchung

„Es lag kein Anlass vor, davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer (BF) gefährlich sei. Eine erste oberflächliche Durchsuchung des BF am Vorfallsort hatte bereits ergeben, dass er keine bedenklichen Gegenstände bei sich trug“, führt das Verwaltungsgericht aus. „Zusammengefasst bestand sohin keinerlei Grund dafür, den BF zum vollständigen Ausziehen aufzufordern und seinen unbekleideten Körper zu besichtigen.“

In dem Erkenntnis zu der Verhandlung am Freitag bezieht sich das Wiener Verwaltungsgericht auf Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH). Demzufolge könne auch die Besichtigung des nackten Körpers als Personendurchsuchung gelten.

Ablegen der Kleidung nur bei Gefährdungspotenzial

Nach VwGH-Rechtsprechung sei eine derartige Aktion im Fall einer Festnahme zwar in jedem Fall erlaubt, jedoch nur um Eigen- oder Fremdverletzungen zu verhindern sowie einer Flucht vorzubeugen. Mit abnehmendem Gefährdungspotenzial wird „eine Maßnahme wie die Durchsuchung eines unbekleideten Körpers grundsätzlich unverhältnismäßig“.

Am Zweck sei auch die Intensität der Maßnahme zu messen, heißt es in Berufung auf das Höchstgericht. Bestehe der Verdacht, die festgenommene Person trage sicherheitsgefährdende oder fluchtbegünstigende Gegenstände am Körper, die klein genug seien, um übersehen zu werden, sei eine Aufforderung zum Ablegen der Unterwäsche zulässig.

„Andernfalls ist lediglich eine Durchsuchung der Kleidung sowie Besichtigung des bekleideten Körpers zulässig“, argumentiert das Gericht. Generell sei immer der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit anzuwenden. Darüber hinaus stehe das Erkenntnis in diesem Fall auch in Einklang mit der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrecht (EGMR).

Anwalt sieht Präzedenzfall

Clemens Lahner, der zuständige Rechtsanwalt des 24-Jährigen, betonte am Mittwoch gegenüber der APA, dass es sich hier um ein wegweisendes Urteil des Gerichts handle. „Die Entscheidung ist insofern ein Präzedenzfall, als klargestellt wird, dass gewaltfreier Protest keine entwürdigende Behandlung rechtfertigt“, sagte Lahner. „Die Botschaft gerade an junge Menschen ist: Wenn euch ein Anliegen wichtig ist, dann könnt ihr dafür auf die Straße gehen, ohne dass eure Menschenwürde verletzt wird.“

Es mache eben einen Unterschied, „wie intensiv eine Person durchsucht wird und ob sie nur die Oberbekleidung ablegen muss oder auch die Unterwäsche“, so Lahner. „Die Festnahme bei einer friedlichen Sitzblockade rechtfertigt es nicht, einen Menschen nackt auszuziehen, das ist unverhältnismäßig, es verletzt die Menschenwürde und ist daher rechtswidrig.“

Das Gericht weist dagegen darauf hin, dass immer „eine einzelfallbezogene Verhältnismäßigkeitsprüfung zu erfolgen“ hat. Der betroffene Aktivist zeigte sich jedenfalls erfreut über den Entscheid des Gerichts. „Wir sind keine Verbrecher, die gefährliche Gegenstände mit uns führen“, sagte der Student. Die „Letzte Generation“ teilte mit, es werde Zeit, „dass sich die Verantwortlichen den Gerichten stellen, die gerade mit dem Ausbau der fossilen Infrastruktur die Vernichtung unserer Gesellschaft vorantreiben“.

Aktivist verweigerte Untersuchung zunächst

„Ich hatte damals die Info, dass ich das nicht machen muss, und habe mich geweigert“, sagte der 24-Jährige am Freitag am Verwaltungsgericht über den Vorfall im PAZ im Februar aus. „Dann haben wir diskutiert, bis der Beamte seinen Kollegen geholt hat, der in den Raum gekommen ist und sich die Handschuhe übergestreift hat“, so der Aktivist. Aus Angst vor einer möglichen Gewaltanwendung durch die Beamten habe er dann seine Unterwäsche selbst hinuntergezogen. Der Polizist habe „dann kurz hingeschaut“ und gesagt, er könne seine Unterwäsche wieder anziehen.

Der damals zuständige Gruppeninspektor betonte vergangene Woche, bei diesem Vorgehen handle es sich um „Standardprozedere“. Er könne eine Eigen- oder Fremdgefährdung im Vorfeld nie ausschließen, selbst wenn es keine konkreten Anzeichen gebe, sagte der Polizist. Er habe zudem den Verdacht gehabt, möglicherweise Superkleber in der Unterwäsche des Mannes zu finden. „Es hätte sein können, dass sich jemand bei uns im PAZ anklebt, und das brauchen wir nicht.“

Wiener Polizei legt Amtsrevision ein

Die Landespolizeidirektion Wien könne nun theoretisch ein außerordentliches Rechtsmittel gegen die Entscheidung einlegen, so Lahner. Markus Dittrich, Sprecher der Landespolizeidirektion Wien, teilte am Nachmittag mit, dass man diese Möglichkeit auch in Form einer Amtsrevision nutzen wolle. Dafür bleiben nun sechs Wochen Zeit.

„In einer außerordentlichen Revision an den Verwaltungsgerichtshof müsste die Polizei darlegen, dass das Verwaltungsgericht Wien mit dieser Entscheidung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgegangen ist“, sagte Lahner in einer weiteren Stellungnahme. „Ich bin gespannt, wie sie das argumentieren möchte.“