PROZESS GEGEN GRÜNDER DER „ALT-WIEN“-KINDERGÄRTEN WEGEN SCHWEREN BETRUGS, UNTREUE UND BETRÜGERISCHER KRIDA
APA/HELMUT FOHRINGER
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Gericht

Kindergarten „Alt Wien“: Prozess gestartet

Am Mittwoch hat am Wiener Landesgericht der Prozess gegen den ehemaligen Betreiber der „Alt-Wien“-Kindergärten begonnen, der sich bis zur Pleite seines Vereins im Sommer 2016 von der Stadt Wien Subventionen in Höhe von 36 Mio. Euro erschwindelt haben soll. Der Hauptankgeklagte bekannte sich „nicht schuldig“.

„Er hat sich zu Unrecht mit Steuergeld bereichert“, stellte Oberstaatsanwältin Veronika Standfest fest. Der nunmehr 82-Jährige habe dabei mit „Buchungstricks“, Scheinrechnungen und falschen Jahresabrechnungen operiert.

Der solcherart Gescholtene ließ das nicht auf sich sitzen. Er habe sich nicht um eine so genannte Vollförderung der Stadt Wien gerissen, vielmehr sei die Gemeinde eines Tages auf ihn zugekommen und hätte von ihm „Gründen’S einen Verein, wir geben Ihnen Tipps“ verlangt. Er habe das – gegen den Widerstand seiner Frau – gemacht, anschließend einen Fördervertrag unterschrieben und sei „glücklich mit den höheren Beiträgen“ gewesen.

Prozess gegen Kindergartenbetreiber

Am Straflandesgericht hat der Prozess gegen die Betreiber-Familie der Alt-Wien-Kindergärten gestartet. Sie sollen die Fördergelder der Stadt missbraucht haben.

„Habe die 36 Millionen nicht im Papiersackerl weggetragen“

„Die Gemeinde ist verrückt, dass sie für einen Kindergarten-Platz 400 bis 500 Euro ausgibt“, gab der 82-Jährige in diesem Zusammenhang zu Protokoll. Es habe aus seiner Sicht „aus heiterem Himmel diese Zusatzförderung gegeben. Kein Mensch hat sich dafür interessiert. Wir haben es halt genommen“. Insofern verstehe er nicht, warum man ihm das jetzt vorwerfe: „Ich hab’ die 36 Millionen nicht in einem Papiersackerl weggetragen. Da wurden Löhne bezahlt, Kinder betreut. Die Mitarbeiter haben davon gegessen, die Kinder wurden betreut.“

Auf die Frage der vorsitzenden Richterin Mona Zink-Farkas, ob er denn die Subventionsrichtlinien und Fördervereinbarungen studiert habe, erwiderte der rüstige 82-Jährige: „Kann sein.“ – „Sie hätten sie mit der MA 10 (den Wiener Kindergärten, Anm.) durchgehen können“, warf die Richterin ein. „Die können weniger lesen und schreiben als ich“, erwiderte der einstige Chef über Dutzende Kindergarten-Standorte, „es war kein vis-a-vis da zum Diskutieren.“

Kontrollen: „Fragebögen ganz schön kompliziert“

Die regelmäßigen Kontrollen seitens der Stadt Wien schilderte der 82-Jährige folgendermaßen: „Einmal im Jahr hat es einen Fragebogen gegeben. Der war ganz schön kompliziert, aber nicht sehr aufschlussreich. Den haben wir ein Mal im Jahr abgegeben, Kaffee getrunken und sind dann wieder gegangen.“ Gedauert habe der Termin im Schnitt 15 Minuten, wobei er manchmal, aber nicht immer seine Ordner bei der MA 10 gelassen habe: „Ich weiß bis heute nicht, wie die rechnen.“

Davor hatte die Anklägerin ihr Eröffnungsplädoyer als Abrechnung mit den aus Sicht der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) seit 2009 auf Täuschung, Verschleierung und Betrug ausgerichteten Geschäften des 82-Jährigen gestaltet. Der ausgebildete Mittelschullehrer hatte 1966 den Verein „Alt-Wien“ gegründet und mit den Jahren daraus ein großes Familien-Unternehmen aufgebaut. Zuletzt betreute der Verein an 33 Standorten über 2.000 Kinder, wobei laut WKStA gegenüber der Stadt Wien Gemeinnützigkeit vorgegeben wurde, was sich insofern bezahlt machte, als es dafür eine so genannte Vollförderung gab.

„In Wahrheit war der Verein auf Gewinnerzielung und Vermögensvermehrung ausgerichtet“, sagte Oberstaatsanwältin Standfest. Die Stadt Wien bzw. der Steuerzahler sei dadurch getäuscht und um die verfahrensgegenständlichen 36 Mio. Euro betrogen worden.

Stadt Wien „getäuscht“

Zuletzt betreute der Verein an 33 Standorten über 2.000 Kinder, wobei gegenüber der Stadt Wien Gemeinnützigkeit vorgegeben wurde, was sich insofern bezahlt machte, als dafür eine so genannte Vollförderung gewährt wurde. „In Wahrheit war der Verein auf Gewinnerzielung und Vermögensvermehrung ausgerichtet“, sagte die Staatsanwältin. Die Stadt Wien bzw. der Steuerzahler sei dadurch getäuscht und um die verfahrensgegenständlichen 36 Mio. Euro betrogen worden.

16 Mio. Euro für private Zwecke

Davon soll der Kindergarten-Betreiber wiederum 16 Mio. Euro für rein private Zwecke abgezweigt und widmungswidrig verwendet haben, weswegen ihm neben schwerem Betrug auch Untreue angekreidet wird. Die 16 Millionen sollen dem Mann, seiner – mittlerweile verstorbenen – Frau und seinen vier Kindern ein Leben in Wohlstand ermöglicht haben, wobei er die Organe des Vereins ausschließlich mit Mitgliedern der eigenen Familie besetzte.

PROZESS GEGEN GRÜNDER DER „ALT-WIEN“-KINDERGÄRTEN WEGEN SCHWEREN BETRUGS, UNTREUE UND BETRÜGERISCHER KRIDA
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Der 82-jährige Hauptangeklagte beim Start des Prozesses

Für seine Kinder erwarb der Kindergarten-Betreiber etwa um 3,5 Mio. Euro sieben Liegenschaften, errichtete darauf Zinshäuser, sanierte und renovierte bestehende Immobilien, finanzierte einer Tochter einen Reitstall samt Reitschule, seinem Sohn eine Ballettschule und tätigte darüber hinaus Barentnahmen in Höhe von 2,2 Mio. Euro, „die wir nicht dem Betrieb der Kindergärten zuordnen konnten“, wie die Anklägerin anmerkte. Der Mann habe außerdem ein Faible für teure Autos gehabt. Von Geldern des Vereins seien 500.000 in Kleidung, Zahnarztrechnungen und Hausrat und weitere 100.000 Euro in Urlaube, Kreuzfahrten und Konzert- und Theaterkarten geflossen.

Standorte nach Konkurs geschlossen

Erste Hinweise auf Ungereimtheiten in der Buchhaltung traten bereits 2013 bei einer Überprüfung der Stadt Wien zutage. Daraufhin wurde ein Wirtschaftsprüfer beigezogen, der die Unregelmäßigkeiten bestätigte und außerdem den Verdacht auf Privatentnahmen äußerte.

Ein Förderstopp wurde allerdings erst im August 2016 von der MA 10 verhängt, woraufhin die „Alt-Wien“-Kindergärten Konkurs anmeldeten. 773 Kinder standen damals auf der Straße, deren Eltern bzw. die Stadt Wien mussten die Kleinen auf die Schnelle in anderweitigen Betreuungsplätzen unterbringen.

Hauptangeklagte bekannte sich „nicht schuldig“

Der 82-Jährige bekannte sich zu sämtlichen wider in erhobenen Vorwürfen – auch der betrügerischen Krida – „nicht schuldig“. Er sah sich bzw. seinen Verein als Opfer der Stadt Wien, die sein Unternehmen am Ende fallen gelassen hätte: „Das Aus war von langer Hand vorbereitet.“ Damit hätten sich „50 Jahre harter Arbeit in Luft aufgelöst“.

Er sei „in mehr als bescheidenen Verhältnissen“ aufgewachsen, habe zunächst als Mittelschullehrer gearbeitet und dann mit seiner Frau den Verein „Alt-Wien“ aufgebaut, wobei die für den Betrieb erforderlichen Mittel zunächst von seiner Schwiegermutter stammten, schilderte der 82-Jährige. Woher sie das viele Geld hatte, habe er nicht gewusst. „Die Oma“ habe sich dafür Jahrzehnte später „ein wenig Dankbarkeit erhofft“, der Verein habe daher „diese Schulden der Großmutter, die das Ganze aufgebaut und finanziert hat, zurückbezahlt“.

Michael Vallender, der Verteidiger des 82-Jährigen, betonte, sein Mandant habe keine Untreue-Handlungen gesetzt und dessen Verein sei sehr wohl gemeinnützig gewesen. Was die Buchhaltung betrifft, „können Fehler passiert sein“, räumte Vallender ein. Absichtlich seien diese aber nicht passiert, bestritt der Verteidiger die Darstellung der Anklägerin, die dem 82-Jährigen „ganz bewusstes Manipulieren der Buchhaltung“ unterstellt hatte.

Auf Steuerberater bzw. Buchhalter verzichtet

Der 82-Jährige ließ in seiner Einvernahme ein befremdliches Verständnis von Buchhaltung und Rechnungswesen erkennen. Er beklagte zunächst eine „überbordende Bürokratie seitens der Gemeinde“. Er habe dagegen geglaubt, „die Verwaltung werde immer billiger“, und daher auf einen Steuerberater bzw. Buchhalter verzichtet. Um die Buchhaltung habe er sich selbst gekümmert.

„Und das hat funktioniert?“, wunderte sich die vorsitzende Richterin. „Natürlich hat es funktioniert. Jedes Kind wurde betreut. Wenn 300 Mitarbeiter zufrieden sind und 2.000 Kinder auch, denke ich mir, so falsch machen wir es nicht.“ „Hat es eine interne Kontrolle gegeben?“, hakte die Richterin nicht. „Nein“, erwiderte der 82-Jährige, „meine Frau hat das nicht interessiert. Sie hat sich nur für die Kinder interessiert. Wer hätte das kontrollieren sollen?“

Vier Kinder des Hauptangeklagten mitangeklagt

Mitangeklagt sind die vier erwachsenen Kinder des Hauptangeklagten, die im Wissen um die aus kriminellen Machenschaften stammenden Gelder sich einen durchaus luxuriösen Lebensstil gegönnt haben sollen. Die WKStA unterstellt ihnen Geldwäscherei. Die Rechtsvertreter der Mitangeklagten im Alter zwischen 43 und 56 Jahren wiesen das zurück.

„Bei Zuwendungen der Eltern nehmen sie nicht an, dass das aus strafbaren Handlungen stammt“, führte Verteidiger Stefan Stoiber aus, der eine Tochter vertritt. Lukas Kollmann, der Verteidiger der anderen drei Kinder, merkte an, deren Vater sei ein „Patriarch“ gewesen, der seinen Kindern „Geschenke“ gemacht habe. Diese hätten sich diese Großzügigkeit mit „der reichen Oma“ erklärt. „Sie haben nicht gewusst, dass die Gelder aus strafbaren Handlungen stammen“, sagte Kollmann.

Geld von Großmutter

Seine Kinder hätten „von klein auf bekommen, was sie gebraucht haben“, merkte der Hauptangeklagte zu diesem Thema an, „die eine hat ein Pferd gekriegt, die andere ein Auto.“ Hinterfragt hätten das seine Nachkommen nie. Auch als sie Liegenschaften bekamen, hätten sich die Kinder nicht gewundert, woher das dafür nötige Bare kam. Sie hätten ja gewusst, dass ihre Großmutter reichlich finanzielle Mittel hatte.

Auf die Frage der Richterin, wie diese Großmutter denn zu ihrem Vermögen gekommen sei, sagte der 82-Jährige: „Das waren Zuwendungen von einem steinreichen Bauern aus einem Viertel, – Wald-, Wein- oder Mühlviertel, genau weiß ich es nimmer.“ Der Großgrundbesitzer habe die Mutter seiner Schwiegermutter vergewaltigt und geschwängert und dafür offenbar „Schweigegeld“ bezahlt.

Bis zu zehn Jahre Haft

Eine ehemalige Mitarbeiterin des „Alt-Wien“-Betreibers nahm als Sechstangeklagte auf der Anklagebank Platz. Sie soll für Scheinrechnungen in Höhe von rund 174.000 Euro verantwortlich gezeichnet und damit Verschleierungshandlungen gesetzt haben – für die Anklagebehörde hat sie damit Beihilfe zur Untreue begangen. Ihre Verteidigerin Sophie Krennmayr kündigte ein „umfassendes Geständnis“ an, ihre Mandantin habe „fingierte Rechnungen erstellt“, meinte Krennmayr.

Der Prozess ist vorerst bis Ende Oktober anberaumt, weitere Verhandlungstage im Spätherbst dürften folgen. Für den vormaligen „Alt-Wien“-Chef geht es im Fall einer Verurteilung um bis zu zehn Jahre Haft.