Chronik

Bursch mit Terrorplan kannte Wien-Attentäter

Der 16-jährige mutmaßliche Islamist und Anhänger der Terrormiliz Islamischer Staat (IS), der am 11. September im Hauptbahnhof Passantinnen und Passanten mit einem Kampfmesser niederstechen wollte, hat offenbar den Wien-Attentäter gekannt. Der Jugendliche betrachtete ihn als „Vorbild“.

Der Jugendliche kannte seinen Angaben zufolge den Attentäter von Wien persönlich. Er wollte in Verfolgung seiner Terrorpläne auch eine Pistole kaufen, bekam aber in einem Waffengeschäft in Wien keine.

Mitwisser auf TikTok

Der 16-Jährige hatte offenbar auch einen Mitwisser, mit dem er seit 11. August über TikTok in Verbindung stand. Der Islamist, der in Deutschland vermutet wird und der bisher noch nicht ausgeforscht werden konnte, bestärkte den Wiener Schüler in seinen terroristischen Absichten, indem er ihm unter anderem sinngemäß mitteilte, wenn er seine Pläne durchziehe, bekomme er seine Bittgebete erfüllt.

Ursprünglich hatte der 16-Jährige vor, gleich nach einem Streit mit seinem Vater am 9. September zur Tat zu schreiten, musste das aber verschieben, weil er zu diesem Zeitpunkt – es war ein Wochenende – noch keine Waffe hatte. Das Kampfmesser konnte er sich erst am darauffolgenden Montag, dem 11. September, besorgen, weil da die Geschäfte wieder offen hatten.

Bursch mit Terrorplan kannte Wien-Attentäter

Der 16-jährige mutmaßliche Islamist und Anhänger der Terrormiliz Islamischer Staat (IS), der am 11. September im Hauptbahnhof Passantinnen und Passanten mit einem Kampfmesser niederstechen wollte, hat offenbar den Wien-Attentäter gekannt. Der Jugendliche betrachtete ihn als „Vorbild“.

„Hast du durchgezogen?“

Der 16-Jährige soll daher seinen deutschen Chatpartner gebeten haben, in einer Telegram-Gruppe, in der er den Anschlag angekündigt hatte, mitzuteilen, dass dieser „auf den nächsten Tag verschoben“ sei. Am 11. September wollte der Deutsche dann vom 16-Jährigen wissen: „Hast du durchgezogen?“ Bisher war bekannt, dass der Bursche im Hauptbahnhof im Namen des IS auf Menschen einstechen und diese töten wollte, um anschließend von der Polizei erschossen zu werden.

Anschlag auf Telegram angekündigt

Er machte dann allerdings einen Rückzieher und verließ das Bahnhofsgelände wieder, weil ihn – wie er dazu später erklärte – der Mut verließ. Inzwischen steht auch fest, wo der 16-Jährige die Stunden nach dem abgebrochenen Anschlag und vor seiner Festnahme verbracht hatte. Während die Polizei fieberhaft auf der Suche nach dem Burschen war, vor dem eine Warnung aus dem Ausland eingegangen war – die Cobra brach etwa die Wohnung seines Vaters auf, wo der Jugendliche zuletzt gelebt hatte –, begab sich dieser zunächst in eine bengalische Moschee in Wien-Leopoldstadt, betete dort und führte Smalltalk mit einem Glaubensbruder.

Danach suchte er seine Moschee im zwölften Bezirk auf. Er durfte dort allerdings nicht die Nacht verbringen, sodass er sie nach dem Nachtgebet wieder verließ, um mit der U-Bahn nach Floridsdorf zu fahren. Das Islamische Zentrum hatte allerdings geschlossen, sodass er auf einer Bank auf der Donauinsel nächtigte.

Am nächsten Tag fuhr er zu der Moschee in der Leopoldstadt, wo dann die Festnahme durch die Wega erfolgte. „Zum Zeitpunkt meiner Festnahme hatte ich den Plan schon aufgegeben. Ich habe mich nicht mehr getraut und hatte nach diesem Zeitpunkt keine Anschlagspläne mehr“, sagte der 16-Jährige in seiner jüngsten Einvernahme. Und weiter: „Ich würde diese Sache heute nicht mehr tun. Ich glaube nicht, dass ich so was je wieder tun werden will.“

Jugendlicher in U-Haft

In einem Kanal auf Telegram, in dem 19 junge IS-Anhänger versammelt waren, hatte der 16-Jährige den Anschlag angekündigt. Laut Recherchen der APA postete er unmittelbar vor dem geplanten Anschlag ein Selfie. Angelehnt an den Attentäter, der vor dem von ihm verübten Terroranschlag ein ähnliches Foto von sich online gestellt hatte, posierte der 16-Jährige in einem T-Shirt in Tarnfarbe und mit ausgestrecktem, gegen den Himmel erhobenem Zeigefinger, dem Erkennungszeichen des IS.

Mit der anderen Hand präsentierte er das gezückte Kampfmesser, wobei an einem Finger ein Siegelring des Propheten Mohammed auffiel. Weiters war der 16-Jährige mit einem Gilet bekleidet, das als Sprengstoffgürtelattrappe erscheinen sollte.

Der mittlerweile in U-Haft befindliche Jugendliche, gegen den von der Staatsanwaltschaft Wien wegen terroristischer Vereinigung und krimineller Organisation ermittelt wird, hat vor Kurzem in einer Beschuldigteneinvernahme angegeben, er habe den späteren Attentäter, kurz nachdem dieser aus dem Gefängnis entlassen worden war, persönlich kennengelernt.

Begegnung in Millennium City

Der HTL-Schüler mit nordmazedonischen Wurzeln hatte sich in Syrien dem IS anschließen wollen und dafür 22 Monate Haft ausgefasst, im Dezember 2019 wurde der spätere Attentäter enthaftet. Wie der 16-Jährige nun darlegte, habe er kurz danach gemeinsam mit anderen den damals 20-Jährigen zufällig in der Millennium City in Wien-Brigittenau getroffen, wobei der spätere Attentäter der Gruppe von seiner Festnahme und der anschließenden Haft erzählt habe.

Diese Begegnung dürfte auf den zu diesem Zeitpunkt 13-Jährigen nachhaltigen Eindruck gemacht haben. Er fühle sich seiner Schilderung zufolge seit seinem 14. Lebensjahr dem IS verbunden, der Wien-Attentäter sei sein „Vorbild“. Er habe ebenfalls vorgehabt, sich eine Schusswaffe zu besorgen, habe aber zu wenig Geld für ein Gewehr gehabt, schilderte der Bursch unlängst dem Wiener Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT).

Schusswaffenkauf an Alter gescheitert

Daher sei er wenige Wochen vor dem September 2023 mit 500 Euro in ein Waffengeschäft an einer U-Bahn-Station gegangen, um sich eine Glock oder eine Beretta zu kaufen. Der Verkäufer habe ihm allerdings erklärt, dass er zu jung für eine Pistole sei und er überdies einen Waffenpass benötigen würde.

Er hätte vorgehabt, seinen Anschlag „genau so zu machen“ wie der Attentäter vom 2. November 2020, „wenn ich die Möglichkeiten, also die Waffen, gehabt hätte“, betonte der 16-Jährige gegenüber dem Wiener LVT. Mangels Schusswaffen habe er sich in weiterer Folge in einem Shop um 20 Euro ein Feldmesser mit einer Klingenlänge von 16,5 Zentimetern besorgt.

„Hätten für mich mehr als drei oder vier Opfer sein sollen“

Damit wollte er gemäß seiner protokollierten Aussage im Hauptbahnhof mehreren Menschen in den Hals stechen: „Es hätten für mich mehr als drei oder vier Opfer sein sollen. Diese sollten nicht nur verletzt sein, sondern getötet werden. Ich wollte dadurch zeigen, dass Menschen Allah fürchten sollen. Ich hätte, während ich die Personen erstochen hätte, auch Allahu akbar (Gott ist groß, Anm.) gerufen, damit alle wissen, warum sie sterben. Durch dieses Töten komme ich ins Paradies, dort ist es sehr schön und ich entgehe der Streiterei mit meinem Vater.“

Er habe „keinen Zorn auf die Menschen allgemein, aber Polizisten, Soldaten und Homosexuelle sollten sterben“, merkte der IS-Anhänger noch an. Der 16-Jährige wuchs als jüngstes Kind einer Familie mit türkischen Wurzeln in Wien auf. Seine Mutter starb, als er sechs Jahre alt war. Der Bursche besuchte eine sonderpädagogische Schule, die er im Sommer abschloss. Danach war er beim AMS als Arbeit suchend gemeldet.

Bedrückende Lebenssituation

Freunde hatte er seinen Angaben zufolge keine, in der Schule wurde er gemobbt. Einmal musste er sogar mit einer Kopfverletzung in ein Spital gebracht werden, nachdem ihn ein Mitschüler gegen eine Eisenstange geschleudert hatte. In dieser bedrückenden Lebenssituation fand der Jugendliche zum Islam. Er begann fünfmal am Tag zu beten und lehnte aus religiösen Gründen Alkohol und Nikotin ab.

Er besuchte schließlich wöchentlich eine Moschee in Wien-Meidling, in der unmittelbar nach dem Anschlag vom 2. November 2020 eine Razzia stattgefunden hatte und die danach vorübergehend geschlossen wurde. Der Wien-Attentäter hatte diese Moschee ebenfalls frequentiert und dürfte sich dort radikalisiert haben.

Vater verbot Moscheebesuch

Der Vater des 16-Jährigen trat den zunehmend strenggläubigen Tendenzen seines Sohnes entgegen. Er verbot ihm, seine Hosen über die Knöchel hochzukrempeln und einen Bart zu tragen. Als der Bursche auf Letzteres nicht reagierte, rasierte der Vater ihm sogar den Bart ab. Zudem verbot er dem Jugendlichen den Besuch der Moschee in Meidling.

Daraufhin soll ihn ein dort tätiger Koranlehrer in seiner Wohnung aufgesucht haben, wie der Vater in einer Zeugenbefragung dem Verfassungsschutz berichtete: Der Vertreter der Moschee habe ihm erklärt, er wolle seinem Sohn „helfen“, da dieser „den Koran gut lesen könne“. Er habe den Besucher aus der Wohnung gewiesen, da dieser offensichtlich „kein guter Umgang für meinen Sohn“ gewesen sei, hielt der Vater fest, wobei er laut schriftlichem Einvernahmeprotokoll auf den „zotteligen Bart“ und die „unangebrachte“ Bekleidung des Besuchers verwies.

IS-Propagandavideos geteilt

Der 16-Jährige dürfte zu diesem Zeitpunkt jedoch längst eine fortgeschrittene radikalislamische Gesinnung aufgewiesen und diese auch in seiner Schule an den Tag gelegt haben, wie jüngste Handyauswertungen belegen. Am 20. Februar hatte er in einer für seine Schulklasse erstellten WhatsApp-Gruppe IS-Propagandavideos geteilt. Am 7. Mai ließ er einem Mitschüler einen Kampfgesang des deutsch-marokkanischen Salafisten Monir Chouka zukommen.

Und am 7. Juli verbreitete er drei Lichtbilder, die offenbar in den Klassenräumlichkeiten aufgenommen worden waren. Sie zeigen den grinsenden 16-Jährigen mit ausgestrecktem erhobenem rechtem Zeigefinger vor der Schultafel, auf der mit Kreide das IS-Logo und Symbole des IS aufgemalt sind.

Kam mit Messer in die Schule

Weder die Lehrerinnen und Lehrer noch die Schulleitung hatten bis zur Festnahme des Burschen eine Ahnung von dessen Gesinnung. Dass er 2022 mit einem Messer in der Klasse erschienen war, wofür er für zwei Wochen vom Unterricht suspendiert wurde, führte man auf seine Schwierigkeiten mit Mitschülern zurück. Der Jugendliche war bis zu seiner Festnahme auch nicht polizeilich vorgemerkt oder als potenzieller Gefährder aufgefallen.

Eine Lehrerin erinnerte sich allerdings im Nachhinein an einen Schulausflug auf den Schneeberg: Als im Tal Kirchenglocken läuteten, habe der 16-Jährige einen Gebetsteppich aus seinem Rucksack geholt und darauf bestanden, seiner Pflicht zum Gebet nachzukommen.

Böller zu Hause vergessen

Unklar ist weiterhin, was den Jugendlichen dazu gebracht hat, den Hauptbahnhof wieder zu verlassen, ohne das an seiner Hüfte angeklippte Messer in die Hand zu nehmen. Ursprünglich hatte er dazu angegeben, er habe aus Angst sein Vorhaben nicht durchgezogen, wobei er damit argumentierte, er habe befürchtet, den Anschlag zu überleben und festgenommen zu werden, statt als Märtyrer ins Paradies zu kommen.

Zuletzt meinte der Jugendliche, ihm habe „eine innere Stimme irgendwie gesagt, das nicht zu machen“. Möglicherweise spielte aber auch der Umstand eine Rolle, dass er einen Gegenstand in der Wohnung vergessen hatte, der Bestandteil seines Planes war: Seinen Angaben zufolge wollte der IS-Anhänger zunächst einen Böller in die Menschenmenge werfen und in der damit verursachten Aufregung auf Menschen einstechen. Den pyrotechnischen Gegenstand hatte er zu Hause liegen lassen.

Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) betonte am Montag am Rande einer Pressekonferenz in St. Pölten, dass die DSN in dieser Angelegenheit „sehr, sehr erfolgreich gearbeitet hat“. Die Verhaftung sei erfolgt, „bevor irgendetwas passiert ist“. Dem österreichischen Nachrichtendienst sei eine Überwachung von Messengerdiensten nicht gestattet, man sei daher in solchen Fällen „in manchen Bereichen auf internationale Kontakte und Informationen angewiesen“, sagte der Innenminister dazu, dass die Warnung von einem ausländischen Partnerdienst gekommen war.