Polizei und Klimakleber auf A2
FREIWILLIGE FEUERWEHR WR NEUDORF
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Politik

Ermittlungen gegen „Letzte Generation“

Die Staatsanwaltschaft Wien ermittelt gegen die Klimaschutzgruppe „Letzte Generation“ wegen des Verdachts auf Bildung einer kriminellen Vereinigung (Paragraf 278 StGB). Grundlage sind die jüngsten Proteste im November.

Dabei hatten sich die Protestierenden mit einer Sand-Superkleber-Mischung auf der Südautobahn (A2) und auf dem Wiener Ring festbetoniert. Ein entsprechendes Verfahren werde gegen mehrere Mitglieder geführt, bestätigte Sprecherin Judith Ziska der APA.

Schwer beschädigte Infrastruktur

„Die Proteste haben damit ein neues Level erreicht“, so Ziska. Der Anfangsverdacht gründet sich laut Staatsanwaltschaft darauf, dass Autobahnen sowie Verkehrsknotenpunkte als Teile der kritischen Infrastruktur schwer beschädigt worden seien. Zudem habe es schweres Gerät erfordert, um die Aktivistinnen und Aktivisten von der Straße zu lösen, erklärte Ziska.

Sie nannte in diesem Zusammenhang die Definition einer kriminellen Vereinigung nach Paragraf 278 StGB. Dort wird unter anderem auf die Begehung von „nicht geringfügigen Sachbeschädigungen“ verwiesen. „Dabei handelt es sich um jene Sachbeschädigungen, die sich gegen wesentliche Teile der kritischen Infrastruktur richten“, so Ziska.

Keine Hausdurchsuchungen

Zu Hausdurchsuchungen – wie bei Ermittlungen auf Basis von Paragraf 278 StGB oft der Fall – sei es nicht gekommen, hieß es weiter. Gegen wie viele Personen konkret ermittelt wird, ist noch unklar. Es seien noch weitere Berichte ausständig. „Es handelt sich aber jedenfalls um jene Personen, die sich seit 20. November an Autobahnen oder anderen Verkehrsknotenpunkten mit dieser neuen Klebemischung befestigt haben“, sagte Ziska. Die „Letzte Generation“ sprach ihrerseits gegenüber der APA von 23 Personen, gegen die bisher auf Basis des Paragrafen 278 StGB ermittelt werde.

Vor mehr als einer Woche hatte die Staatsanwaltschaft Wien nach einer Aktion mit „Mumienhänden“ bereits Untersuchungshaft wegen schwerer Sachbeschädigung gegen die 26-jährige deutsche Klimaaktivistin Anja Windl beantragt. Das Landesgericht hatte den Antrag jedoch unter anderem wegen „gelinderer Mittel“ abgewiesen. Wie nun bekanntwurde, läuft auch gegen Windl ein Verfahren wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung.

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Klimaaktivistinnen und -aktivisten der „Letzten Generation“ bei Straßenprotest
APA/Letzte Generation Österreich
Klimaaktivistinnen und -aktivisten der „Letzten Generation“ bei Straßenprotest am Kai
APA/Letzte Generation Österreich
Klimaaktivistinnen und -aktivisten der „Letzten Generation“ bei Straßenprotest bei Matzleinsdorferplatz, Triesterstraße
APA/Letzte Generation Österreich

Kritik an Ermittlungen

„Der Paragraf 278 StGB wurde für die Bekämpfung organisierter Kriminalität geschaffen“, sagte Rechtsanwalt Ralf Niederhammer, der die 26-Jährige vertritt. „Nun wird er gegen eine als ‚lästig‘ empfundene zivilgesellschaftliche Bewegung verwendet.“ Niederhammer verwies zudem darauf, dass das Landesgericht von keinem dringenden Tatverdacht bei Windl ausgehe. Er rechne mit einer Einstellung des Verfahrens.

Noch deutlicher formulierte Rechtsanwalt Clemens Lahner seine Kritik an den Behörden. Der Vorwurf der kriminellen Vereinigung sei „lächerlich“, so Lahner zur APA. „Dieser Versuch, den legitimen Protest zu kriminalisieren, anstatt endlich auf die Wissenschaft zu hören, die Ärmel hochzukrempeln und die Klimakrise anzugehen, ist ein Armutszeugnis“, sagte Lahner. „Das wird nach hinten losgehen“, hieß es. „Junge Menschen haben heute mehr Angst vor der Klimakatastrophe als vor Repression durch Polizei und Staatsanwaltschaft. Je aggressiver die Unterdrückung des Protests, desto stärker die Solidarität.“

„Kriminalisierung friedlicher Proteste“

Die „Letzte Generation“ sprach am Montag von einer „Kriminalisierung friedlicher Proteste“ und wiederholte ihre Forderungen an die Politik. „Sobald die Empfehlungen des Klimarates umgesetzt werden, sind unsere Proteste nicht mehr notwendig“, sagte Aktivistin Laila Fuisz. „Wir sind entschlossen, die Aktionen fortzusetzen, bis die Regierung mit der Umsetzung der Empfehlungen des Klimarates beginnt“, ergänzte Sprecherin Marina Hagen-Canaval.

Ermittlungen gegen „Letzte Generation“

Der jüngste Protest der „Letzten Generation“ hat Folgen. Die Staatsanwaltschaft Wien ermittelt gegen Mitglieder der Klimaschutzgruppe. Der Verdacht: Die Bildung einer kriminellen Vereinigung. Grund für die Ermittlungen sind jene Protestaktionen, bei denen sich Aktivisten auf den Ring und die Südautobahn festbetoniert haben.

Rückendeckung von Umweltschutzorganisationen

Rückendeckung bekamen die Aktivistinnen am Montag auch vom Ökobüro, dem Dachverband der österreichischen Umweltschutzorganisationen. In einer gemeinsamen Stellungnahme äußerten unter anderem NGOs wie Global 2000 und WWF harsche Kritik an dem Verfahren. „Wir verurteilen die Kriminalisierung von friedlichem Protest aufs Schärfste und sehen das Vorgehen der Staatsanwaltschaft auf Basis der vorliegenden Informationen als überschießend und unverhältnismäßig“, hieß es in einer gemeinsamen Stellungnahme am Vormittag. Versammlungsfreiheit und die Möglichkeit zu Protest seien ein Grundrecht der Demokratie. Die Organisationen forderten die „Einhaltung der demokratischen Grundprinzipien“ und den Schutz von Protestierenden.

In Schutz genommen wurde die „Letzte Generation“ auch von „Scientists For Future“. Die Initiative verwies am Montag auf die bereits im Frühjahr 2023 gestartete Petition „Handeln statt kriminalisieren“ der deutschsprachigen Wissenschaftscommunity. Die Aktivistinnen wiesen mit friedlichen und offenen Protesten auf schwerwiegende staatliche Versäumnisse hin und „setzen ihre Aktivitäten nicht leichtfertig, sondern als letztes Mittel ein“, um auf einen dringenden politischen Handlungsbedarf aufmerksam zu machen, hieß es. „Daher ist ihr Protest als ziviler Ungehorsam zu werten, welcher als Bestandteil jeder reifen politischen Kultur nicht nur legitim, sondern – in gewissen Situationen – sogar notwendig ist.“

Bundeskanzler zeigte sich „froh“

Begrüßende Reaktionen kamen von der ÖVP. Bundeskanzler Karl Nehammer zeigte sich am Montag „froh“, dass die Justiz gegen die Aktivistinnen und Aktivisten der „Letzten Generation“ ermittle. „Ich finde es richtig und wichtig, dass hier die Rechtsstaatlichkeit tatsächlich ein starkes Zeichen setzt“, sagte Nehammer in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem tschechischen Premier Petr Fiala in Wien.

Die Form des Protests erweise dem „wichtigen Anliegen des Klimaschutzes“ keinen Dienst. Nun werde mit allen rechtsstaatlichen Konsequenzen gegen „jene vorgegangen, die sich über alles hinwegsetzen, die glauben, für sie gelten keine Regeln, und Zehntausende Menschen belastet haben“, kritisierte Nehammer. Ähnlich äußerten sich Jugendstaatssekretärin Claudia Plakolm und der Wiener Landesparteiobmann Karl Mahrer (beide ÖVP).

In dieselbe Kerbe schlug am Montag die FPÖ: Verkehrssprecher und Generalsekretär Christian Hafenecker bezeichnete das Verfahren wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung „als längst überfällig“. Er wiederholte bereits bekannte Forderungen nach härteren Strafen für die Aktivistinnen und Aktivisten. „Das hat mit zivilgesellschaftlichem Protest oder legitimem Aktivismus überhaupt nichts zu tun“, wurde Hafenecker in einer Aussendung zitiert.

Als „eindeutig nicht extremistisch“ eingeordnet

Die Proteste ab 20. November hatten unter anderem auf der Südautobahn (A2), der Südosttangente (A23), dem Ring und weiteren Stadteinfahrten nach Wien für großflächiges Verkehrschaos gesorgt.

Im Mai war es bereits in Bayern zu Razzien bei Mitgliedern des deutschen Ablegers der Gruppe aufgrund eines ähnlichen Paragrafen gekommen. Das Münchner Landgericht I bestätigte die Rechtmäßigkeit der Hausdurchsuchungen sowie einen entsprechenden Anfangsverdacht auf eine kriminelle Vereinigung erst vor weniger als zwei Wochen. So seien der Zweck und die Tätigkeit auf das Begehen von Straftaten ausgerichtet, hieß es. Das Münchner Gericht verwies zur Begründung unter anderem auf Blockaden von Straßen und Flughäfen durch die Gruppe.

In Österreich hatte die Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) gegenüber der APA noch im Oktober betont, dass man die Gruppe als ungefährlich einstufe. Die „Letzte Generation“ in Österreich sei „eindeutig nicht extremistisch“ und „absolut transparent“, wurde damals mitgeteilt.

Grünen zeigen sich verwundert

„Dass die ‚Letzte Generation‘ nun mit dem Verdacht auf Bildung einer kriminellen Vereinigung konfrontiert ist, irritiert und verwundert mich daher sehr“, so Lukas Hammer, Klimaschutzsprecher der Grünen. Diesen Vorwurf halte er für „unverhältnismäßig, denn schon jetzt gibt es genügend rechtliche Möglichkeiten, um einzugreifen, etwa dort, wo eine Behinderung von Einsatzfahrzeugen oder Sachbeschädigung passiert“, hieß es weiter.