Fahne Österreich EU am Rathaus
ORF.at/Christian Öser
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Politik

Was die EU einer Stadt wie Wien bringt

Am 9. Juni wird in Österreich das neue EU-Parlament gewählt. Während sich die Parteien vorbereiten, ist Österreich in Sachen EU-Skepsis europaweites Schlusslicht. Was die Europäische Union einer Stadt wie Wien konkret bringt, hat wien.ORF.at in Brüssel nachgefragt.

Reisen ohne Geld zu wechseln, telefonieren zum gewohnten Tarif auch im Ausland, vergleichsweise einfache Arbeits- und Wohnortwechsel, Studienaufenthalte – das sind jene Dinge, die mit der Mitgliedschaft Österreichs in der Europäischen Union mehr oder weniger selbstverständlich geworden sind. Dennoch ist die EU für viele Wienerinnen und Wiener im Alltag gefühlt sehr weit weg und oft negativ besetzt. Im letzten Eurobarometer, einer großangelegte Befragung von Bürgerinnen und Bürgern durch die EU, zeigt sich, wie groß die Skepsis ist.

Bei EU-Skepsis europaweites Schlusslicht

Im Herbst 2023 bewerteten nur 42 Prozent die EU-Mitgliedschaft Österreichs als positiv, das ist europaweiter Negativrekord. Auch nur 38 Prozent der Befragten haben ein positives Bild der EU (EU-Schnitt: 44 Prozent). Das schlägt sich auch auf die Wahlbeteiligung nieder: Zuletzt haben in Wien nur 58,8 Prozent ihre Stimme abgegeben. Auch wenn die Tendenz steigend ist – bei den Nationalratswahlen waren es in Wien rund 72 Prozent.

EU-Parlament in Brüssel
ORF.at/Peter Prantner
Bei der Skepsis gegenüber der Europäischen Union ist Österreich europäisches Schlusslicht

„Ich finde das schade“, sagt Monika Vana, langjährige Wiener Stadtpolitikerin der Grünen und nunmehr seit über zehn Jahren EU-Abgeordnete im Interview mit dem ORF Wien in Brüssel. „Ich denke, dass viele Bürgerinnen und Bürger gar nicht wissen, wie wichtig Europa und Entscheidungen von europäischer Ebene für ihr alltägliches Leben sind.“ Das reiche von grundsätzlichen Dingen wie den Bestimmungen zur Gleichstellung am Arbeitsmarkt bis hin zu Wien-Spezifika wie der Zulassung von Drittstaatsangehörigen zum kommunalen Wohnbau.

EU Wahlen: Wie profitiert Wien von EU?

Am 9. Juni wird in Österreich das neue EU-Parlament gewählt. Während sich die Parteien vorbereiten, ist Österreich in Sachen EU-Skepsis europaweites Schlusslicht. Was bringt die Europäische Union einer Stadt wie Wien konkret?

80 Prozent der Gesetze auf EU-Grundlage

Rund 80 Prozent der nationalen Gesetzgebung basiere auf EU-Regelungen, betont auch EU-Kommissar Johannes Hahn (ÖVP), der für eine Verlängerung heuer nicht mehr zur Verfügung steht. Nur im Gefüge der EU hätte Österreich weiterhin eine Chance, im globalen Wettbewerb zu bestehen. „Es fragt auch keiner, ob Wien aus Österreich austreten will“, so Hahn. Die EU sei Realität.

„Wien profitiert in vielen Bereichen von der Europäischen Union und von europäischen Fördermitteln – egal, ob es im Umweltbereich, in Abwassertechnologien oder in der Stadterneuerung ist – die Gürtelbögen etwa sind damals von der EU finanziert worden“, sagt auch Andreas Schieder, der einst Bürgermeister von Wien werden wollte – und nun seit 2019 für die SPÖ im EU-Parlament sitzt. Auch heuer ist er Spitzenkandidat der SPÖ.

Othmar Karas im ORF-Interview
ORF
Für den ersten Vizepräsidentin des EU-Parlaments, Othmar Karas, ist die Antwort auf die EU-Skepsis der Österreicher unter anderem Ehrlichkeit

Förderung von Praterstern bis School Nurses

Tatsächlich finden sich unzählige, auch aktuellere Spuren der EU in Wien: Der Umbau des Praterstern wurde ebenso mit EU-Mitteln mitfinanziert wie das Pilotprojekt der School Nurses, bei dem Krankenschwestern direkt in Wiener Schulen sitzen. Auf der Donauinsel wurde eine Aquakulturanlage zur Aufzucht von Sterlets errichtet oder mit „CoRE“ ein „Centre for refugee empowerment“ gefördert.

Allerdings bekomme Wien nicht so viele Gelder wie andere Gemeinden in Österreich, sagt der erste Vizepräsident des Europäischen Parlaments, Othmar Karas, der heuer nicht mehr für die ÖVP kandidiert. „Weil es ist klar, dass die Regionen, die wirtschaftlich stark sind, natürlich in einer solidarischen Gemeinschaft weniger kriegen, als diejenigen, die benachteiligt sind“, so Karas im ORF Wien-Interview. Dennoch sei eine multikulturelle, pulsierende Stadt wie Wien ohne EU nicht vorstellbar, sind sich alle Befragten einig.

Stimmungstrüber von Grant bis Krise

Woher dann die schlechte Stimmung? Die Österreicher seien eben generell häufig unzufrieden, befindet Hahn. Vana hat noch eine weitere Erklärung: „Es findet auch manchmal ein bisschen ein unwürdiges Ping-Pong-Spiel von nationalen und regionalen Politikern statt, die alles Schlechte auf Brüssel abschieben und die guten Dinge für sich reklamieren.“ Natürlich könne man auch Dinge besser machen, so Schieder. „Die EU muss beispielsweise schneller und sozialer werden.“ Derzeit lähmt das Einstimmigkeitsprinzip manche Entscheidungen.

Die Reise erfolgte auf Einladung der Vertretung der Europäischen Kommission in Österreich sowie des Europäischen Parlaments.

Für Karas ist die schlechte Stimmung auch eine Reaktion auf die vielen parallel stattfindenden Krisen. Die Sorgen der Menschen müsse man ernstnehmen und ihnen mit Mut, Ehrlichkeit und Entschlossenheit antworten. „Und wenn ich von Ehrlichkeit rede, dann müssen wir den Bürgerinnen und Bürgern sagen, wir sind Teil der EU, wir gestalten sie täglich mit – es gibt keine Entscheidung in der EU ohne den Vertreterinnen und Vertretern aus Österreich.“ Zudem müsse man begründen und argumentieren statt mit dem Finger aufeinander zu zeigen.

Großer Plenarsaal im EU-Parlament
ORF.at/Tobias Pehböck
Für Österreich werden 20 Abgeordnete ins Europäische Parlament einziehen

370 Millionen Menschen entscheiden

Vor einem drohenden Rechtsruck im EU-Parlament fürchtet sich jedoch keiner der Interviewten: Man sei zuversichtlich, dass die pro-europäischen Kräfte im europäischen Parlament weiterhin eine Mehrheit bilden werden. Darüber entscheiden am 9. Juni rund 370 Millionen Menschen, die 720 Abgeordnete bestellen – 20 davon aus Österreich.