„One billion rising“-Kundgebung in Wien
ORF/Doris Manola
ORF/Doris Manola
chronik

Gewalt an Frauen: 245 Hochrisikofälle

245 Hochrisikofälle bei Gewalt in der Privatsphäre hat Opferschutzzentrum der Polizei Wien bisher bearbeitet, seit der Gründung vor vier Monaten . Bei der Kampagne „One Billion Rising“ wurde am Mittwoch in Wien auch durch Tanz auf Gewalt an Frauen aufmerksam gemacht.

Die 245 Hochrisikofälle seien eine Zahl, die die 14 Beamtinnen und Beamten durchaus vor Herausforderungen stelle, wie Leiterin Nina Lepuschitz am Dienstag am Rande einer Pressekonferenz in der Landespolizeidirektion erklärte. „Wir hätten selbst nicht mit diesem Ausmaß gerechnet“, so Lepuschitz. Ende März werde entschieden, ob das Pilotprojekt in den Regelbetrieb gehe.

Die geschulten Polizistinnen und Polizisten des Opferschutzzentrums erstellen bei Fällen von häuslicher Gewalt nach Zuweisung durch den „GiP-Support (Gewalt in der Privatsphäre)“ Gefährdungsanalysen auf wissenschaftlicher Grundlage, nehmen an Fallkonferenzen teil, tauschen sich mit Partnerorganisationen wie dem Wiener Gewaltschutzzentrum und der Präventionsstelle Neustart aus und stehen in engem Kontakt mit Opfern als auch Tätern.

Bilanz zu häuslicher Gewalt

Signa: Verkauf von Luxus-Immobilien | Vollbremsung für Wiens Wohnungsmarkt | Kind von Straßenbahn erfasst | Bilanz zu häuslicher Gewalt | Spatenstich für neue Bim-Linie 27 | Wiener Pratermuseum in neuem Glanz | Meldungen | Online-Umfrage des ORF | „Phantom der Oper“ im Raimund Theater

Verpflichtende Beratung für Hochrisiko-Gefährder

Der regelmäßige Austausch sei dabei besonders im Fokus der Arbeit, sagte Lepuschitz. „Damit uns wirklich kein Fall durch das Netz geht.“ Das hob im Zuge des Medientermins auch Nikolaus Tsekas von Neustart Wien hervor. „Es geht darum, mit unterschiedlichen Bildern zu einer realistischen Risikoeinschätzung zu kommen und Maßnahmen gemeinsam mit der Polizei zu planen und nach Möglichkeit weitere Vorfälle zu verhindern“, so Tsekas. Jeder Hochrisiko-Gefährder müsse nach Gewalttaten binnen weniger Tage zu einer verpflichtenden Präventionsberatung bei Neustart kommen, erklärte Tsekas. Natürlich könnten damit „nicht alle, aber die meisten Gefährder“ erreicht werden, sagte er. „Insgesamt geht es darum, das Dunkelfeld kleiner zu machen.“

Während sich Neustart vor allem mit Tätern arbeite, würden Opfer dagegen von der Polizei sofort an das Gewaltschutzzentrum vermittelt werden, erklärte Geschäftsführerin Nicole Krejci. Aber speziell bei Hochrisikofällen müsse der Fokus auf gemeinsames und koordiniertes Vorgehen gelegt werden. „Nur wenn alle Positionen zusammengetragen werden, können alle Perspektiven abgewogen und abgestimmt werden.“

Rund 350 Betretungsverbote pro Monat

Krejci und Tsekas verwiesen am Mittwoch darauf, dass es auch am Valentinstag zu Gewalteskalationen komme. „Auch heute werden Betretungs- und Annäherungsverbote übermittelt.“ Man habe sich daher bewusst dazu entschieden, am 14. Februar Aufmerksamkeit für das Thema zu schaffen, hieß es.

2023 wurden mehr als 4.200 Betretungsverbote an das Wiener Gewaltschutzzentrum übermittelt, pro Monat spricht die Wiener Polizei zwischen 350 und 360 davon aus. Im Zuge dessen wird automatisch auch das Gewaltschutzzentrum benachrichtigt. Etwa fünf bis sieben Prozent aller dort registrierten Fälle sind dem Hochrisiko-Bereich zuzurechnen. 2023 sind insgesamt 6.708 Opfer durch das Gewaltschutzzentrum Wien betreut worden. Im gleichen Zeitraum wurden wienweit 3.774 Gefährder an Neustart zugewiesen. In der Bundeshauptstadt sind 89 Prozent der Gefährder männlich, im Hochrisiko-Bereich sogar 98 Prozent.

ABD0024_20240214 – WIEN – …STERREICH: Nicole Krejci (Gewaltschutzzentrum Wien), Nina Lepuschitz (Opferschutzzentrum der LPD Wien) und Nikolaus Tsekas (Verein Neustart) am Mittwoch, 14. Februar 2024, anl. der PG der Landespolizeidirektion Wien „Gewalt in der PrivatsphŠre“ in Wien. – FOTO: APA/HELMUT FOHRINGER
APA/HELMUT FOHRINGER
Nicole Krejci (Gewaltschutzzentrum Wien), Nina Lepuschitz (Opferschutzzentrum der LPD Wien) und Nikolaus Tsekas (Verein Neustart) zum Thema „Gewalt in der Privatsphäre“

Opferschutzzentrum im Probebetrieb

Die Wiener Polizei stellte die Arbeit mit Opfern (in der Regel Frauen und Kinder) zuletzt auf neue Beine und etablierte im vergangenen Jahr das Opferschutzzentrum als Teil des Landeskriminalamts (LKA) im Probebetrieb. Das österreichweit einzigartige Projekt gilt als Vorzeigemodell. Landespolizeipräsident Gerhard Pürstl betonte bereits im Jänner im APA-Gespräch, dass das Opferschutzzentrum wohl in den Dauerbetrieb gehen könnte. „Das scheint gut anzulaufen und wir hoffen, das auch als Dauerorganisation implementieren zu können“, sagte Pürstl damals.

„One Billion Rising“: Tanz gegen Gewalt

Im Zuge der weltweiten Aktion „One Billion Rising“, auf Deutsch „Eine Milliarde erhebt sich“, fand am Mittwoch auch in Wien eine getanzte Kundgebung gegen Gewalt an Frauen statt. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer versammelten sich am Nachmittag vor dem Parlament. Auch in anderen österreichischen Städten fanden Kundgebungen statt, etwa in St. Pölten und Graz.

„One billion rising“-Kundgebung in Wien
ORF/Doris Manola
In Wien fand die „One Billion Rising“-Kundgebung vor dem Parlament statt

Tanz und Musik als künstlerisches Mittel sollen Bewusstseinsbildung fördern und dafür sensibilisieren, Gewaltprävention voranzutreiben. Es soll ein Zeichen für ein Ende der Gewalt an Frauen und Mädchen gesetzt werden. "Unser Gebiet ist nicht Symptombekämpfung und Schadensbegrenzung, sondern die Gründe und Ursachen zu thematisieren und präventiv zu minimieren“, so die künstlerische Leiterin Aiko Kazuko Kurosaki. Um zu verändern, müssten Politik, NGOs und Zivilgesellschaft gemeinsam daran arbeiten.“

Mit der Aktion wolle man "die Politik in Österreich für das Thema sensibilisieren und davon abgeleitet politische Schritte setzen“, sagte Ewa Ernst-Dziedzic, Mitbegründerin von „One Billion Rising Austria“ und Grüne Nationalratsabgeordnete. Man müsse täglich darauf aufmerksam machen, wie weit verbreitet Gewalt sei und wie notwendig es sei, etwas dagegen zu tun. Der Veranstaltungsort Parlament ist daher wohl er nicht zufällig ausgewählt worden.

Gewalt gegen Frauen weit verbreitet

Eine Forderung der Aktion ist die Umsetzung der Istanbuler Konvention, dem Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, in Österreich. In Österreich ist laut Zahlen der Statistik Austria aus dem Jahr 2021 jede dritte Frau von körperlicher und bzw. oder sexueller Gewalt innerhalb oder außerhalb von intimen Beziehungen betroffen. Das seien nahezu 35 Prozent der weiblichen Bevölkerung. Mehr als jede vierte Frau musste eine Form von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz erfahren (fast 27 Prozent) und mehr als jede fünfte Frau ist von Stalking betroffen (fast 22 Prozent).

„Wir nehmen das Jahr 2024 zum Anlass, eine Replik über die Lage der Frauen, die sich in den letzten Jahren durch konservativ geprägte Frauenpolitik entwickelt hat, Revue passieren zu lassen und unsere Analyse dazu zu veröffentlichten“, meinte Klaudia Frieben, Vorsitzende Österreichischer Frauenring. „Gerade die letzten Jahre haben einen Backlash mit sich gebracht, der die Lage der Frauen noch mehr verschärft hat.“

14. Februar als größter Aktionstag

„One Billion Rising“ steht für alle gewaltbedrohten Frauen auf der Welt. Der 14. Februar ist der größte Aktionstag der Bewegung. Nicht nur in Wien, sondern auch in Nordamerika, Südafrika und Australien gibt es Tanz-Kundgebungen. Die aktionistische Kampagne entwickelte sich 2012 aus der V-Day-Bewegung – einer globale Bewegung, die 1998 von der New Yorker Künstlerin Eve Ensler ins Leben gerufen worden war. Seitdem ist der 14. Februar nicht nur Valentinstag, sondern auch V-Day. Das „V“ in V-Day steht für Victory (Sieg), Valentine (Valentinstag) und Vagina.