Politik

Russland-Wahl: Nicht mehr Wähler in Wien

Viele Menschen haben sich am Sonntag vor der russischen Botschaft in Wien angestellt, um an der Präsidentenwahl teilzunehmen. Sie stimmten mehrheitlich gegen Wladimir Putin und für den bedingt liberalen Kandidaten Wladislaw Dawankow.

Trotz längerer Wartezeiten vor der russischen Botschaft hat sich die Zahl der abgegebenen Stimmen bei den Präsidentschaftswahlen im Vergleich zu jenen im März 2018 kaum verändert: 2018 hatten 2.250 Personen abgestimmt, am Sonntag waren es 2.278. Sie wählten mehrheitlich den bedingt liberalen Kandidaten Dawankow. Auf ihn entfielen 43,60 Prozent, für Putin votierten 33,98 Prozent.

Die Botschaft hatte angesichts vieler Wartender die Schließung des Wahllokals zunächst um eine Stunde verschoben. Um 21.00 Uhr verkündete die diplomatische Vertretung schließlich das Ende des Urnengangs. Alle gesetzlich vorgesehenen Maßnahmen seien ergriffen worden, um die Ausübung des Wahlrechts möglichst vielen Landsleuten zu ermöglichen, hieß es auf Telegram. Doch nach Widerspruch von der Straße wurden laut Angaben von Aktivisten nach einer viertelstündigen Pause weitere 50 Personen in die Botschaft gelassen. Kurz nach 22.00 Uhr verließ der letzte Wähler das Gebäude.

Lange Warteschlange vor Russland-Botschaft

Außergewöhnlich viele Menschen haben sich am Sonntag vor der russischen Botschaft angestellt, um an der Präsidentenwahl teilzunehmen. Ein aus Russland stammender Politologe wertete das als ein Zeichen des Protests gegen den amtierenden Präsidenten Putin.

Protestaktion zu Mittag

Der große Ansturm vor allem nach 12.00 Uhr – Anhänger von Nawalny hatten zur Protestaktion „Zu Mittag gegen Putin“ aufgerufen – hatte am Nachmittag in Wien zunächst eine höhere Wahlbeteiligung suggeriert: In Österreich lebende Russen konnten sich nicht erinnern, dass es vor diesem Wahlsonntag bei Urnengängen zu Schlangen von mehreren hundert Meter Länge vor der russischen Botschaft gekommen wäre.

Anstellzeiten von teils mehr als fünf Stunden wurden von Beobachtern Sonntagabend mit einem deutlich langsameren Prozedere in Verbindung gebracht: Insbesondere die Sicherheitschecks und die obligatorische Abgabe von Mobiltelefonen im Eingangsbereich kostete Zeit. Eine größere Anzahl an Personen dürfte sich zudem angestellt haben, um Zeit mit Freunden zu verbringen, fand letztlich jedoch nicht den Weg in das Wahllokal.

Nach APA-Beobachtungen standen Russinnen und Russen zur Spitzenzeit knapp 350 Meter lang an, die Schlange selbst bewegt sich etwa 50 Meter pro Stunde weiter. Laut dem Einsatzleiter der Wiener Polizei warteten zur Spitzenzeit etwa 1.200 bis 1.300 Personen auf Einlass.

Warteschlange vor Russlands Botschaft
ORF

„Sichtbare Ablehnung von Putin“

„Das ist eigentlich eine Demonstration, denn ohne den Aufruf zur Aktion ‚Zu Mittag gegen Putin‘ gäbe es hier keine derartige Schlange“, erklärte der prominente russische Politologe Kirill Rogow im Gespräch mit der APA vor der Botschaft. Viele dieser Menschen seien gekommen, um mit ihrer bloßen Präsenz zu zeigen, dass sie gegen den russischen Präsidenten eingestellt seien.

Die Wahlen selbst seien dabei gar nicht mehr so wichtig, erläuterte der seit 2022 am Institut für die Wissenschaft vom Menschen (IWM) in Wien tätige Experte. Zahlreiche Gesprächspartner der APA in der Warteschlange bestätigten diesen Eindruck.

Demonstration und kleinere Gerangel

Mit deutlichem Abstand zur Botschaft hielt die Initiative „Russians against war“ eine Demonstration ab. Laut Behördenangaben protestierten etwa 70 Personen lautstark gegen Putin. Neben politischen Slogans wurden auch bekannte Protestsongs gesungen. So intonierte etwa eine Aktivistin inbrünstig „Das geht vorbei“ der russischen Punkgruppe Pornofilmy. Der Song selbst ist in Russland als „extremistisches Material“ verboten.

Am Rande kam es am frühen Nachmittag zu kleineren Konfrontationen. Eine ältere Frau, die gegen Putin am Zaun der Botschaft protestierte, zog sich bei einem kleinen Gerangel eine leichte Kopfverletzung zu. Ein Putin-Kritiker schrie eine Putin-Anhängerin an. In beiden Fällen konnten anwesende Polizistinnen und Polizisten die Situation beruhigen.

Sicherheitspersonal nahm Handys ab

Im Eingangsbereich zum Botschaftsareal gab es Sicherheitschecks: Ein bulliger Wachmann mit einem großen „Z“ am Sakko, dem Symbol des russischen Angriffskriegs, schob Handgepäck durch einen Röntgenapparat, die Wähler mussten vor ihrem Urnengang ihre Mobiltelefone abgeben. Oppositionsaktivisten interpretierten das als Versuch, das Fotografieren des eigenen Wahlzettels zu verhindern.