Grosser Schwurgerichtssaal im Wiener Straflandesgericht
ORF.at/Roland Winkler
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Politik

Strafmündigkeit: Kritik an ÖVP-Vorschlag

Strafen schon mit zwölf statt mit 14 Jahren: Das haben Innenminister Karner und Verfassungsministerin Edtstadler (beide ÖVP) vorgeschlagen. Anstoß dazu ist der Fall einer zwölfjährigen Wienerin, die von 18 teils unmündigen Jugendlichen missbraucht wurde.

Der Fall des Mädchens aus Favoriten, das über Monate hinweg missbraucht wurde, habe gezeigt, dass sich das System ändern müsse, betonte Karner in einer Pressekonferenz: „Unser Plan: Auch Zwölfjährige hinter Gitter. Unser Plan ist auch, die Eltern deutlich stärker zur Verantwortung zu ziehen.“ – mehr dazu in ÖVP will Strafmündigkeit auf zwölf Jahre senken (news.ORF.at).

Die Senkung soll aber nur „bei schweren Gewaltdelikten“ zur Anwendung kommen. Es gehe nicht darum, „Kinder ins Gefängnis zu bekommen“, ergänzte Edtstadler, aber es seien durchsetzbare Konsequenzen im Fall schwerer Straftaten nötig. Der nicht neue Vorstoß ist aber umstritten. Kritik kommt besonders aus den Reihen von Kriminalsoziologen und Juristen. Es seien andere Strafformen durchaus denkbar und auch die Frage der Verantwortung von Eltern oder Organisationen sei zu hinterfragen.

Haft könnte Start einer kriminellen Karriere sein

„Wenn man sagt, okay, man geht in Richtung Kriminalisierung, dann würde das bedeuten, dass die Jugendlichen gleich von Anfang an mit der Härte des Strafgesetzes angepackt werden“, sagte etwa Kriminalsoziologe Hermann Kuschej. Das würde bedeuten, dass Jugendlichen vor Gericht stehen und dann sogar im Jugendstrafvollzug enden. Das sei niemals eine gute Idee, denn dort habe „schon so manche kriminelle Karriere erst begonnen“.

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Sehr wohl eine Option wäre für Kuschej ein außergerichtlicher Tatausgleich, etwa in Form von Sozialarbeit. Zu stellen wäre sicher aber auch die Frage der Verantwortlichkeit, ob nicht auch Eltern oder Institutionen zur Rechenschaft gezogen werden sollten – was sich ja auch die ÖVP vorstellen könnte. Eltern wären demnach zum Beispiel verpflichtet, Kinder und Jugendliche bei polizeilichen Vorladungen zu begleiten.

Lieber bei Prävention ansetzen

Neben Kriminalsoziologen reagierte auch die Richtervereinigung skeptisch auf den ÖVP-Vorstoß. So meinte etwa Daniel Schmitzberger von der Fachgruppe Jugendstrafrecht der Richtervereinigung, dass eine Herabsetzung der Strafmündigkeit keine einzige Straftat verhindern würde: „Die Strafmündigkeit zu senken bedeutet, zwölf- und 13-jährige Kinder in Gefängnissen einsperren zu wollen. Alle anderen Maßnahmen können im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe besser, früher und einfacher umgesetzt werden.“ Wolle man verhindern, dass Kinder zu Tätern werden, müsse man an der Prävention ansetzen.

Ein Zeichen des Scheiterns?

Bereits Ende März wollte die FPÖ die Strafmündigkeit herabsetzen. Die ÖVP sprach sich damals im Parlament gegen einen Schnellschuss aus, wollte zuerst eine Diskussion mit Experten. Nun gibt es einen Richtungsschwenk, den die Präsidentin des PEN-Clubs, Marion Wisinger, einem „dauerhaften Wahlkampf“ zuordnet: „Wir wissen, je mehr man nach rechts blickt, umso eher werden eben rechte Kräfte gestärkt. Das ist eine politikwissenschaftliche Binsenweisheit.“

Es sei eben eine Verlockung, einfache Lösungen anzubieten, eine ministerielle Expertengruppe hinzusetzen, um dann scheinbar politische Maßnahmen zu ergreifen. Die Fehlentwicklungen, auch was den Fall in Favoriten angehe, könne man nicht leugnen. Ein Staat, der Kinder ins Gefängnis einsperren möchte, sei für Wisinger ein Zeichen, dass man mit den vorherrschenden Umständen nicht mehr zurande komme.